#DoNotTouchMyClothes
15. September 2021Die Szene aus einem Hörsaal der Universität von Kabul wirkt beklemmend. Bis oben hin sitzen fast ausschließlich voll verschleierte Frauen im Auditorium und zeigen sich mit der neuen Kleiderordnung der Taliban für Studentinnen solidarisch - und noch darüber hinaus: Viele tragen ein Banner mit sich, auf dem es heißt: "Wir sind mit der islamischen Einstellung und dem Verhalten der Mudschaheddin zufrieden."
Die Veranstaltung hat Signalwirkung an diesem 11. September 2021, dem zwanzigsten Jahrestag von 9/11. Die Bilder aus der Kabuler Universität gingen um die Welt.
Die neuen Machthaber in Afghanistanhaben den Frauen noch nicht verboten, öffentlich ihr Gesicht zu zeigen. Diese Freiheit endet jedoch auf dem Gelände der Universität. Frauen dürfen zwar weiterhin studieren. Allerdings unter den strengen Gesetzen der Scharia. Sie dürfen nur noch komplett verhüllt in die Uni, die Vorlesungen sind geschlechtlich getrennt.
"Die Koedukation [gemeinsamer Unterricht von Frauen und Männern, d. Red.] steht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Islam sowie zu den nationalen Werten, Sitten und Gebräuchen", sagte der amtierende Minister für höhere Bildung, Abdul Baki Hakkani, zur Begründung. "Wir haben keine Probleme damit, das gemischte Bildungssystem abzuschaffen. Die Menschen sind Muslime und werden es akzeptieren."
Die britisch-afghanische Politikerin Peymana Assad bezeichnet dies als "unfassbar fremd in der afghanischen Kultur". Dieser Angriff auf die afghanische Identität habe sie unglaublich wütend gemacht, sagte sie in einem Statement gegenüber internationalen Nachrichtenagenturen.
Mit ihrer Haltung ist Peymana Assad nicht alleine. Inzwischen folgen Frauen weltweit einer Kampagne auf Twitter. Unter dem Hashtag #DoNotTouchMyClothes protestieren sie gegen die neue Kleiderordnung und posten Bilder von sich in bunten traditionellen afghanischen Gewändern. Und sie zeigen dabei ihr Gesicht.
Initiatorin ist die Akademikerin und Entwicklungsexpertin Bahar Jajali. "Keine Frau in der Geschichte Afghanistans hat so etwas getragen. Diese Kleidung ist der afghanischen Kultur völlig fremd", schrieb sie auf Twitter und postete dieses Bild:
Andere Frauen wollen die Vielfalt der afghanischen Kultur deutlich machen. Mehr als 50 verschiedene Volksgruppen gibt es in Afghanistan. So zahlreich die verschiedenen kulturellen Einflüsse sind, so unterschiedlich ist auch die traditionelle Kleidung. Und so präsentieren die Frauen neben ihren farbenfrohen Kostümen auch ihren Schmuck und tragen Make-up. Wie die in Deutschland lebende Mayala.
Auch die Leiterin der afghanischen Redaktion der DW, Waslat Hasrat-Nazimi, möchte mit zur Diskussion beitragen. Die deutsch-afghanische Journalistin zeigt sich im traditionellen afghanischen Gewand mit aufwändigem Kopfschmuck. "Das ist afghanische Kultur und so kleiden sich afghanische Frauen", schreibt sie in ihrem Tweet.
Wie zu erwarten, bekommt auch diese Kampagne Gegenwind. So erntet der Journalist Sharif Karimi unter seinem Tweet hämische Kommentare, in denen unter anderem gefragt wird, warum er denn Jeans trage, wo er doch so sehr auf traditionelle afghanische Kleidung stehe.
Auch die extravaganten Modevorlieben des US-Realitystars Kim Kardashian werden von Gegnern der Kampagne bemüht. Kardashian tauchte bei der "Met Gala" in New York im hautengen schwarzen Ganzkörperdress auf, auch Gesicht und Hände waren verhüllt. Und dies wenige Tage nach der Pro-Taliban-Demonstration an der Kabuler Universität. Süffisant fragt dieser User nach dem Unterschied.
Wieder andere kritisieren, dass es sich bei den meisten Frauen, die bei der Kampagne mitmachen, um Schauspielerinnen und Models handelt, die vor allem nicht in Afghanistan leben, sondern in Sicherheit sind. Natürlich ist es für Frauen im Ausland einfacher, so deutlich Position zu beziehen. Doch eines hat die Kampagne längst geschafft: Sie hat Aufmerksamkeit erreicht, und das weltweit. Immer noch beteiligen sich selbstbewusste und lebensfrohe Frauen unter den Hashtags #Don'tTouchMyClothes oder #AfghanistanCulture an der Twitter-Aktion und dokumentieren, wie stolz sie auf ihr Land und ihre Kultur sind.
Für die Initiatorin Jalali ist das ein wichtiges Zeichen, denn sie will mit dieser Kampagne "informieren, bilden und mit der Falschinformation, die von den Taliban verbreitet wird, aufräumen."