Diskussionen um Trumps Twitter-Sperre
15. Januar 2021Für einige mag es überraschend geklungen haben, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel sich über die Sperrung des Twitter-Kontos von US-Präsident Donald Trump äußerte. Sie halte die dauerhafte Suspendierung von Trumps Account für problematisch, ließ Merkel verlauten. Soziale Netzwerke seien zwar verantwortlich dafür, dass auf ihren Plattformen kein Hass oder Anstiftungen zur Gewalt gepostet werden. Aber die Meinungsfreiheit einzelner dürfe nicht von privaten Unternehmen eingeschränkt werden, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Es ist richtig, dass der Staat, der Gesetzgeber dazu einen Rahmen setzt", sagte Seibert Journalisten am Montag.
Trump hatte fast 90 Millionen Twitter-Follower und nutzte den Kurznachrichtendienst als seine Hauptkommunikationsplattform. Kaum ein Tag, an dem der US-Präsident nicht – mehrfach – twitterte. Twitter suspendierte den Account, nachdem Anschuldigungen laut wurden, Trump habe mit seinen Äußerungen den Mob angestachelt, der am 6. Januar das Kapitol stürmte.
Während und direkt nach dem gewalttätigen Aufstand verharmloste er die Handlungen der Täter in seinen Tweets. Seitdem er die Präsidentschaftswahl im November verloren hatte, behauptete Trump bei Live-Auftritten und in den sozialen Medien pausenlos, die Demokraten versuchten, durch Wahlbetrug die Macht an sich zu reißen – und patriotische US-Amerikaner dürften sich das nicht gefallen lassen.
Kampf gegen Fehlinformationen oder politische Zensur?
Darüber, was unter dem Banner der Meinungsfreiheit durchgeht und inwiefern soziale Medien regulierend eingreifen sollen, gehen die Meinungen weit auseinander.
"Ich denke, die sozialen Netzwerke mussten aktiv werden", sagt Pinar Yildirim, Marketingprofessorin an der Wharton Business School der University of Pennsylvania, über die Suspendierung von Trumps Accounts bei Twitter, und auch bei Facebook. "Sie konnten nicht einfach dasitzen und einen Austausch auf ihren Plattformen stattfinden lassen, der zu Gewalt führen könnte."
Den Verantwortlichen dürfte die Entscheidung schwergefallen sein, sagte Yildirim, die zur politischen Nutzung sozialer Medien forscht, im DW-Interview. "Sie wollen ihren Usern die Möglichkeit geben, sich auszudrücken. Aber gleichzeitig müssen sie sicherstellen, dass durch Kommunikation bei ihnen keine Personen zu Schaden kommen, und dass die Demokratie keinen Schaden nimmt."
Mark Weinstein, der Gründer des sozialen Netzwerks MeWe, steht Twitter und Facebook hingegen kritisch gegenüber. "Ihre Zensur ist dubios", sagte Weinstein der DW. Seitdem Twitter Posts von Präsident Trump immer häufiger mit Warnmeldungen bezüglich Falschinformationen versah, stieg die Anzahl gerade konservativer MeWe-Nutzer an. Auf dem Portal werden Fake News oder irreführende Posts nicht reguliert.
Die großen sozialen Netzwerke "zensieren mal eine Sache, aber dann eine andere, die sehr ähnlich ist und sich nur mit einem anderen Thema beschäftigt, wieder nicht", sagt Weinstein. "Dieses Schema, wie und warum sie zensieren, hat Milliarden Menschen weltweit frustriert, weil sie [die User] es nicht verstehen. Es scheint politisch motiviert zu sein und das ist einfach nicht richtig."
Genugtuung in China, Sorge bei russischer Opposition
Der Rauswurf Trumps durch Twitter sorgt auf der ganzen Welt für Diskussionen. In China, einem Land, in dem Twitter offiziell durch die Regierung gesperrt ist, sorgte die Nachricht an einigen Stellen für Genugtuung - aber nicht, weil der US-Präsident seine Unterstützer nicht mehr anstacheln kann, sondern weil ein soziales Netzwerk regulierend in die Meinungsäußerung seiner Nutzer eingriff.
"Es scheint, dass die Meinungsfreiheit in jeder Gesellschaft wirklich nicht ohne Grenze ist und die Menschen noch nicht in der Lage sind, die absolute Meinungsfreiheit zu meistern", schrieb Hu Xijin, Chefredakteur der chinesischen Global Times. "Das ist bedauerlich, aber es ist die Realität."
Die Global Times ist ein Ableger der "Renmin Ribao", oder Chinesischen Volkszeitung, dem Parteiorgan der Kommunistischen Partei Chinas, und gilt als regierungstreu.
Auch in Russland wird darüber diskutiert, ob es sich bei der Sperrung von Trumps Twitter-Account um Zensur handelt. Als einer der ersten äußerte sich dazu der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Er hält die Suspendierung für einen "inakzeptablen" Akt der Zensur, der auf "persönlichen politischen Präferenzen" basiere.
"Diesen Präzedenzfall werden Feinde der Freiheit auf der ganzen Welt aktiv ausnutzen. Auch in Russland", so Nawalny. "Jedes Mal, wenn irgendwas gesperrt werden soll, werden sie sich darauf berufen: Das sei weltweit üblich, auch Trump sei auf Twitter gesperrt worden."
Doch es gibt in Russland auch Befürworter der Sperrung von Trumps Twitter-Account. Der frühere Schachweltmeister und russische Oppositionelle Garri Kasparow widerspricht Nawalny. Kasparow findet, dass die Entscheidung von Twitter völlig gerechtfertigt war. Nawalnys Äußerungen über Zensur seien zu einfach und auf "fehlende Kenntnis konkreter Besonderheiten der amerikanischen Politik" zurückzuführen.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Elena Barysheva.