Diskriminiert in Serbien, unerwünscht in Deutschland
10. August 2015Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!
In den vergangenen Wochen geht es immer irgendwie auch um Dragan. Er ist Roma und stammt aus der serbischen Stadt Šabac. Über Menschen wie ihn schreibt die Presse, und die regierenden Politiker empören sich in Interviews, weil Dragan die Großzügigkeit des deutschen Sozialsystems angeblich missbrauche. Nun sitzt er auf einer Bank vor der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Bonn-Muffendorf, wo er zur Zeit untergekommen ist. Was hat ihn dazu gebracht, hierher zu kommen, gut 1400 Kilometer von seiner Heimat in Serbien entfernt? "Probleme, mein Bruder, was sonst? Ich habe gehört, man könne hier Asyl bekommen und sein Leben in Ordnung bringen."
Schlechte Aussichten
Dragan, der eigentlich anders heißt, kam mit seiner Frau und drei Kindern und wartet jetzt bis ihn ein Sachbearbeiter des Flüchtlingsamts zur Anhörung bestellt. Dort wird er wenige Stunden Zeit haben, um zu erklären, warum er in der Bundesrepublik Deutschland Schutz sucht. Dragan wird vom Elend in der Heimat berichten, von verächtlichen Blicken bei der Jobsuche, von Provokationen und Erniedrigungen, die er fast täglich erlebt. "Ich werde die Wahrheit sagen. Es kommt, wie es kommt", sagt der junge Mann.
Es wird wohl nicht so kommen, wie Dragan es sich wünscht: dass er und seine Familie in Deutschland Asyl bekommen und hier ein neues Leben beginnen können. Denn er stammt aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland - und er ist jung und gesund. Deutschland biete nur Menschen aus dem Balkan vorübergehenden Schutz, die schwer krank seien, erläutert der Präsident des Flüchtlingsamtes, Manfred Schmidt, im DW-Interview die Lage. Die Quote für Bürger vom Balkan, in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt zu werden, liegt bei lediglich 1 bis 2 Promille.
In Serbien, Mazedonien und Bosnien gebe es keine politische Verfolgung, heißt es immer wieder, genauso wie in Albanien, Montenegro und dem Kosovo, die bald auch auf Deutschlands Liste der sicheren Herkunftsstaaten landen sollen. Es gibt allerdings andere Deutungen, etwa die von Norman Paech. "Man kann diesen Staaten in der Tat nicht vorwerfen, dass sie Roma politisch verfolgen", so der Völkerrechtler und ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete. Angesichts des Elends, in dem Roma in Serbien leben, könne man aber von "kumulativer Verfolgung" sprechen, sagte Paech der DW, also dem Zusammenspiel verschiedener Arten von Drangsalierung, die sich gegenseitig verstärken. Nach Paechs Meinung missachtet Deutschland jene EU-Richtlinien, die Verfolgung breiter definieren als nur als staatlichen Akt.
Diskriminierung und Rassismus
Mehr als 90 Prozent der Asylbewerber aus Serbien sind Roma - ein trauriger Rekord in der Region. Nach der offiziellen Volkszählung leben 155.000 Roma in Serbien. Doch diese Zahl täuscht. Denn der Nationalrat der Roma-Minderheit geht davon aus, dass viele aus Angst vor Diskriminierung ihre Volkszugehörigkeit vertuschten. Schätzungen gehen von bis 500.000 Roma aus. Ein Großteil lebt unter der Armutsgrenze in Slums, oftmals ohne Leitungswasser, Strom und medizinische Versorgung. Die Kinder gehen selten in die Schule, und nicht einmal ein Prozent der Roma in Serbien haben einen Universitätsabschluss. Das erkennen nicht nur Kritiker aus Nichtregierungsorganisationen an, sondern es geht auch aus offiziellen Dokumenten der Republik Serbien hervor.
"Man sollte es deutlich aussprechen: Die Roma in Serbien werden wie eine minderwertige Rasse betrachtet und behandelt", beklagt der serbische Soziologe Dario Hajrić. Roma würden als unhygienisch und dumm, als Vergewaltiger und Pädophile bezeichnet. "Fast keiner möchte Roma als Nachbarn, Freunde, Kollegen oder Familienmitglied", sagt Hajrić. Diese Haltung führe gelegentlich zu Übergriffen auf Roma oder ihre Blechhütten-Viertel.
Beispiele für diese Form von Rassismus gibt es viele. So muss die Redaktion der serbischen DW-Internetseite immer wieder bestimmte Leserkommentare löschen. Denn manche User schreiben dort ungeniert, dass sogenannte "Zigeuner" Abschaum und Lügner seien, die unzählige Kinder produzierten, um mehr an Sozialleistungen zu bekommen.
"Falsche Asylanten von Beruf"
Der Soziologe Hajrić meint, die Belgrader Regierung liefere Munition für rassistische Äußerungen dieser Art. Die Machthaber bemühen sich, das proeuropäische Image des Landes zu pflegen - und bezeichnen trotzdem Tausende Bürger als "falsche Asylanten von Beruf". Der serbische Premier Aleksandar Vučić behauptete jüngst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, die Roma "wollen nur deutsches Geld". Die deutschen Journalisten wollten wissen, warum ausgerechnet Roma es schwerer hätten als andere. "Aus historischen Gründen. Roma sind traditionell sehr arm", antwortete Vučić schlicht.
Auch deutsche Populisten leisteten ihren Beitrag zu dieser Stimmung, meint Lina Hüffelmann, die im Kölner Flüchtlingsrat Asylbewerber berät. Die demokratisch gewählten Politiker machten mit ihren Statements den Antiziganismus gesellschaftsfähig. "Hier geht es leider nicht nur um die CSU. Am ganz rechten Rand gibt es immer wieder neue Formierungen und zunehmend eine breite Mitte der Gesellschaft, die das Ganze lautstark mitträgt", kritisiert sie. Das alles beeinflusse auch die Entscheidungen von deutschen Mitarbeitern des Flüchtlingsamts: Hüffelmann berichtet von Fällen, in denen Sachbearbeiter noch vor der Anhörung des Asylbewerbers aus dem Westbalkan vorgefertigte ablehnende Asylanträge vor sich hatten.
Weiß Dragan, der serbische Asylbewerber in Bonn-Muffendorf, was deutsche Politiker über ihn und seinesgleichen denken? Ja, das habe er auch schon gehört, sagt der junge Mann und lächelt nervös. Seine Familie wird in Deutschland 143 Euro monatlich pro Kopf bekommen - deswegen sei er aber nicht gekommen. "Vielleicht kommen manche nur wegen des Geldes. Viele fliehen aber wegen echter Probleme." Er wirkt dabei wie ein Mann, der genau weiß, dass es für ihn kein Asyl geben wird. In etwa drei bis vier Monaten wird Dragan wohl wieder in seiner Heimstadt Šabac sein. So lange dauern die Verfahren für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern immer noch im Schnitt. Die Politik ist bemüht, sie zu beschleunigen.