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Debatte um sichere Herkunftsländer

Nemanja Rujević30. Juli 2015

Bei vielen Bewerbern vom Balkan, sagt der Chef des Flüchtlingsamts, Manfred Schmidt, ist von vornherein klar, dass sie kein Asyl erhalten werden. Daher solle man das Asylverfahren wesentlich beschleunigen.

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Flüchtlinge aus dem Kosovo (Foto:
Flüchtlinge aus dem KosovoBild: Armend Nimani/AFP/Getty Images

DW: Herr Schmidt, die Zahl der Asylbewerber aus dem Westbalkan ist schon seit zwei Jahren relativ hoch. Der Flüchtlingsstrom aus dem Kosovo hat im Februar und März nachgelassen. Haben wir es also dem Sommerloch oder der CSU zu verdanken, dass Asylbewerber aus dem Balkan es in diesen Tagen auf die Titelseiten schaffen?

Manfred Schmidt: Asylbewerber aus dem Westbalkan schaffen es nicht wegen des Sommerlochs auf die Titelseiten, sondern weil die Zugangszahlen insgesamt – gerade was im Frühjahr den Kosovo betraf und was jetzt im Moment Albanien betrifft – natürlich eine erhebliche Herausforderung für unsere Verwaltung sind. Wir haben im Jahr 2015 Anträge von mehr als 28.000 Albanern erhalten. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht prognostizieren konnten und die uns gerade aus Albanien, aber auch aus dem Kosovo sehr überrascht hat.

Und Sie meinen, dass Albanien, Kosovo und Montenegro auch zu den "sicheren Herkunftsländern" gehören sollen?

Wir haben auch bei den Herkunftsländern, die heute als sicher eingestuft sind, seit 2012 einen erheblichen Zugang. Das sind Serbien, Bosnien und Mazedonien. Diese Länder haben eine Schutzquote von knapp 0,1 oder 0,2 Prozent und damit praktisch keine Aussicht auf einen Schutz in der Bundesrepublik Deutschland. Das führte dazu, dass diese Länder, die auch EU-Beitrittskandidaten sind, als sichere Herkunftsländer ausgewiesen worden sind. Und dasselbe stellen wir in diesem Jahr im Kosovo und Albanien fest: auch hier geht unsere Schutzquote praktisch gegen Null. Wenn momentan knapp 30.000 Albanern hier einen Antrag stellen und wir – auch durch die Gerichtsentscheidung bestätigt – immer wieder nur zu einer Anerkennung von 0,1 Prozent der Anträge kommen, dann ist Albanien aus unserer Sicht ein Kandidat für eine sicheres Herkunftsland.

Aber hilft das überhaupt? Aktuelle Zahlen zeigen, dass nicht weniger Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien kommen, obwohl das sichere Herkunftsländer sind.

Es müssen mehrere Maßnahmen zusammentreffen. Die Ausweisung als "sicheres Herkunftsland" ist natürlich ein Signal in die Region hinein. Wir müssen die Verfahrenszeiten deutlich verkürzen. Es darf sich nicht mehr lohnen, in der Bundesrepublik Deutschland über einen längeren Zeitraum zu bleiben. Wir werden ab August, wenn das neue Bleiberecht in Kraft tritt, bei den offensichtlich unbegründeten Anträgen eine schengenweite Wiedereinreisesperre und ein Aufenthaltsverbot aussprechen. Das wird insbesondere Menschen aus dem Balkan treffen. Ich denke, in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen sollte man stärker auf Sachleistungen setzen und weg von Bargeldleistungen. Ich glaube, dass alle Maßnahmen zusammen ineinander greifen müssen. Wir haben Rückgänge aus Serbien: im Oktober und November 2014 hatten wir noch 3000 bis 3600 Anträge pro Monat, jetzt sind wir bei 1700. Aber wir hatten da einen größeren Effekt erwartet. Deshalb werden wir zu weiteren Maßnahmen greifen.

Manfred Schmidt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Foto: Geiger)
Manfred Schmidt ist Präsident des Bundesamtes für Migration und FlüchtlingeBild: Geiger

Stichwort "Wirtschaftsflüchtlinge": Sie behaupten also, diese Menschen kommen nur, um 143 Euro im Monat pro Person zu kassieren?

Das ist in vielen Fällen das, was uns in den Anhörungen vorgetragen wird. Unser Kerngeschäft ist die Anhörung, wir hören uns die Fluchtgeschichte oder die Geschichte der Situation im Herkunftsland an und bewerten sie. In 99 Prozent der Fälle wird uns vorgetragen: "Wir kommen hierher, um Arbeit zu finden, wir kommen hierher, damit die Kinder eine Schulausbildung bekommen, wir kommen hierher, um das Gesundheitssystem in Anspruch zu nehmen." Uns wird auch vorgetragen, dass die Menschen ein halbes Jahr in Deutschland bleiben wollen, damit sie genügend Mittel haben, um in den Herkunftsländern für die nächsten neun bis zwölf Monate leben zu können. Wenn uns das vorgetragen wird, dann muss auch mein Amt danach entscheiden.

Sie haben erwähnt, dass die Anerkennungsquote für Bewerber aus Mazedonien oder Serbien bei 1 bis 2 Promille liegt. Warum erhalten doch einige Asylschutz?

Wir haben unterschiedliche Formen des Asyls. Es gibt die Flüchtlingseigenschaft, es gibt den subsidiären Schutz, zum Beispiel, weil demjenigen im Herkunftsland die Todesstrafe droht. Und es gibt eine weitere Form: Wenn ein Mensch eine schwerwiegende Krankheit hat, die in der Heimat nicht behandelt werden kann, können wir diesen Menschen nicht zurückschicken. Das sind die Gründe, die in diesen 0,1 Prozent enthalten sind. Alle anderen Vorträge entsprechen nicht der Genfer Flüchtlingskonvention, die regelt, wer Flüchtling ist. Die Menschen aus dem Balkan, die hierher kommen, kommen eben nicht aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention. Es gibt Menschen, die in den Anhörungen sagen: "Lasst mich doch noch vier Wochen hier bleiben, ich will mir ein neues Auto kaufen, ich habe sogar die Bargeld dabei". Also wenn man so etwas hört, hat das schlicht und ergreifend überhaupt nichts mit Asyl und Flüchtlingsschutz zu tun.

Solche Beispiele gibt es bestimmt. Aber für dieselben Menschen ist die Anerkennungsquote in anderen westeuropäischen Ländern deutlich höher. Etwa in Frankreich oder Schweiz, wo ein Drittel der Asylsuchenden aus Serbien Schutz bekommen, oder in Finnland, wo die Hälfte Kosovaren aufgenommen werden. Interpretiert man in Deutschland Asylrecht zu restriktiv?

Wir haben sehr unterschiedliche Zusammensetzungen von Gruppen in den unterschiedlichen Ländern. Wenn in Frankreich z.B. aus einem Herkunftsland wesentlich mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kommen, dann ist die Schutzquote trotz des gleichen Herkunftslandes eine andere als in Deutschland. 85 Prozent aller Anträge aus dem Balkan werden in der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Wir haben die Europäische Flüchtlingsagentur in EASO in Malta gefragt, die ein Gutachten zu den Ursachen einer derartigen Antragstellung in Deutschland erstellt hat. Die Kollegen in Malta haben ganz Europa analysiert und haben festgestellt, dass auf der einen Seite die lange Verfahrensdauer ein Grund ist – die ist bei uns zu lang, das werden wir jetzt rigoros abkürzen – und natürlich auch die Transferleistung.

Was halten Sie von der Idee, die Visumspflicht wieder einzuführen, was natürlich alle Menschen auf dem Balkan betreffen würde?

Ich glaube, die Wiedereinführung der Visumspflicht ist wirklich das allerletzte Mittel. Wir haben ja auch erhebliche Zuwanderung aus dem Balkan in unseren Arbeitsmarkt. Im Moment haben wir in der Bundesrepublik Deutschland etwa 700.000 Menschen aus Serbien, Bosnien, Montenegro, Albanien und Kosovo mit einem EU-Aufenthaltstitel oder mit einem deutschen Aufenthaltstitel, die hier völlig legal leben und arbeiten. Die Wiedereinführung der Visumspflicht würde auch die Menschen, die aus dieser Region legal nach Deutschland kommen, betreffen. Das wäre diesen Menschen gegenüber ungerecht.

Auch wenn der Flüchtlingsstrom aus dem Balkan gedämpft würde, ist Deutschland gut genug gerüstet für Aufnahme und Entscheidung über so viele Asylanträge aus Krisenregionen?

Wir sind gut vorbereitet und bereiten uns auch weiter vor auf die tatsächlichen Flüchtlinge aus den Krisenregionen dieser Welt, aus dem Norden des Irak, aus Syrien, Flüchtlinge aus der Bekaa-Ebene im Libanon, die mit Sicherheit in einer anderen Situation sind als Menschen im Kosovo oder in Albanien. Aber noch einmal zu der Dimension: Wenn von den 200.000 Anträgen, die wir in diesem Jahr bearbeiten, rund 94.000 aus dem Balkan kommen, dann stimmt in dem Gefüge etwas nicht. Auf Menschen, die aus Bürgerkriegssituationen kommen, wie zum Beispielsyrische und irakische Flüchtlinge mit einer Anerkennungsquote von fast 100 Prozent, sind wir vorbereitet.

Dr. Manfred Schmidt, 1959, ist seit 1. Dezember 2010 Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Er ist promovierter Rechtswissenschaftler.