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Die Rückkehrer von Agadez

Adrian Kriesch11. August 2016

Mehr als 100.000 Migranten aus Westafrika passieren Jahr für Jahr den Ort Agadez im Niger auf dem Weg nach Europa. Immer mehr kommen ein zweites Mal hier an: auf ihrer Rückreise in die Heimat.

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Niger John Silva in Agadez
Bild: DW/A. Kriesch

John Silva ist ein Muskelpaket und sieht aus wie ein Rapper. Der 20-Jährige trägt ein Muskelshirt, ein riesiges "FUCK" steht auf seinem Baseball-Cap. Als wolle er damit seine Lebenssituation zusammenfassen.

Vor einem Jahr entschloss sich Silva, seine Heimat in dem kleinen westafrikanischen Land Gambia zu verlassen. Als junger Fischer sah er keine Möglichkeit mehr, sich zu entwickeln, in der Gesellschaft aufzusteigen. Also brach er auf nach Europa. Doch die libysche Hauptstadt Tripolis war seine Endstation. Die Polizei nahm ihn fest, steckte ihn drei Monate ins Gefängnis. Er musste seine Familie anrufen und um Geld bitten, damit die Libyer ihn wieder gehen ließen. Schon für die Reise hatte die Familie zusammengelegt. Jetzt reichte es ihm: er zog die Reißleine. "Ich will zurück nach Gambia und wieder als Fischer arbeiten", sagt Silva.

Traumatisiert und verzweifelt

Seit zwei Wochen lebt er nun im Welcome Center der Internationalen Organisation für Migration, kurz IOM, in Agadez. 600 Migranten warten hier auf ihre Rückkehr ins Heimatland. "Sie wollen dringend nach Hause, und wir müssen schauen, dass wir das logistisch so schnell wie möglich über die Bühne bringen", sagt Marina Schramm, Programmkoordinatorin der IOM. Das bedeute nicht nur, Tickets zu organisieren, sondern vor allem neue Reisedokumente bei den Botschaften anzufordern. Viele haben wie Silva ihre Dokumente unterwegs verloren. Die Neubeschaffung ist ein langwieriger Prozess - und sie strapaziert die Geduld vieler Migranten, deren Reise hier zu Ende ist. Immer wieder kommt es zu Konflikten im Camp. "Die Menschen kommen oft sehr traumatisiert und verzweifelt zurück", so Schramm.

Niger Konvoi in Agadez
Jeden Montag bricht in Agadez ein Konvoi auf nach LibyenBild: DW/A. Kriesch

Neben John Silva sitzt sein gambischer Freund Musa Colley. Zunächst starrt er nur auf den Boden und hört zu. Doch irgendwann platzt es aus ihm heraus. "Die Schwarzen sterben in den Gefängnissen in Libyen", sagt der 22-Jährige. "Die Libyer hassen die Schwarzen." Er selbst war dort drei Monate in Haft. Mehrmals wurde er überfallen und verprügelt. Colley hatte sich einst nach Europa aufgemacht, um seine Mutter in Gambia unterstützen zu können. Im Gefängnis in Libyen war er es nun, der seine Mutter anbetteln musste, ihn freizukaufen, damit er zurückkehren kann.

Karte Niger Agadez Deutsch
Bild: DW

"Folter, Terror, Ausbeutung und Erpressung"

Es sind Geschichten wie diese, die sich der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller bei einem Besuch in Agadez anhört. "Gerade in Libyen herrschen fürchterliche Verhältnisse: Folter, Terror, Ausbeutung und Erpressung", sagt Müller. Darum unterstütze Deutschland die Arbeit der IOM in Agadez, um so den Migranten "ein Stück ihrer Würde zurückzugeben".

Müller will aber auch herausfinden, warum die jungen Menschen sich auf den Weg gemacht haben - und wie er dem vorbeugen kann. Der Niger ist ein Transitland für Migranten aus Westafrika, mehr als 100.000 von ihnen passieren Agadez jedes Jahr. Die Flüchtlingszahlen aus dem Niger selbst sind dagegen verschwindend gering: In den ersten fünf Monaten des Jahres 2016 wurden gerade mal sieben Nigrer aus Deutschland abgeschoben. Insgesamt halten sich knapp 1200 Nigrer in Deutschland auf, rund 250 von ihnen droht die Abschiebung.

Profitable Migration

Viele Menschen in Agadez profitieren vom Geschäft mit den durchreisenden Migranten: Hotels, Restaurants, Geschäfte für Geldüberweisungen sieht man an fast jeder Straßenecke. Und natürlich profitieren Transportunternehmer und Schleuser. "Die Jugend arbeitet in dieser Schleuser-Industrie, weil es keine Alternativen gibt", sagt der nigrische Außenminister Ibrahim Yacouba im Gespräch mit der DW. "Früher gab es in Agadez noch Tourismus. Dort haben die Leute, die jetzt als Schleuser arbeiten, ihr Geld verdient." Doch der Tourismus verträgt sich nicht mit dem Geschäft der Schlepperbanden. Deshalb will die Regierung in der Hauptstadt Niamey gegen die Migration vorgehen - auch wenn das in Agadez vielen nicht passt. In der Wüstenstadt ist es ein offenes Geheimnis: Ohne die Flüchtlinge würde ein profitabler Wirtschaftszweig wegfallen. Ein Tourismus, der erst wieder aufgebaut werden müsste, könnte das so schnell nicht auffangen.

In einer Ansprache an die Nation hat der nigrische Präsident Mahamadou Issoufou vor Kurzem erstmals deutlich den Schleusern den Kampf angesagt. Der deutsche Entwicklungsminister hegt "keine Zweifel" am Willen der nigrischen Regierung, die sogenannte irreguläre Migration einzudämmen. Issoufou weiß sehr wohl um seine privilegierte Stellung in Europa: Der Niger gilt als starker und stabiler Partner, auch im Kampf gegen den Terror. Das Land ist umgeben von Krisenherden in Libyen, Mali und Nigeria. Für den Kampf gegen Migration sieht er Europa im Zugzwang. Issoufou hat ein Konzept dazu vorgelegt - und fordert 650 Millionen Euro. Bei seinem Besuch machte Müller zunächst zusätzliche Zusagen über 15 Millionen Euro.

Niger Sicherheitskräfte in Agadez
Die nigrischen Sicherheitskräfte ignorieren die irreguläre Migration bisher weitgehendBild: DW/A. Kriesch

Diktatur statt Europa

Für John Silva und seinen Freund Musa Colley geht es momentan nur noch um ein paar Euro für die Bustickets nach Gambia. Bei allem Frust überraschen Silvas Worte zum Abschied: "Ich bin nicht enttäuscht von den Europäern", sagt der frühere Fischer. "Ich mag es, wie sie dort die Menschen behandeln. Darum zieht die afrikanische Jugend doch nach Europa - dort kann man frei sein, auch als Schwarzer." In wenigen Wochen wird er wieder in seinem Heimatland sein, regiert von Diktator Yahya Jammeh. Inhaftierungen von Oppositionellen, Folter und staatlich angeordnete Morde sind dort an der Tagesordnung. Auf dem Weg dorthin werden Silva in der Gegenrichtung Busse mit Migranten entgegen kommen, die es deshalb trotzdem versuchen, nach Europa zu kommen.