Weg aus der EU-Krise?
23. April 2007Die Verfassung kommt offenbar doch, aber unter neuem Namen: "Grundlagenvertrag" soll sie heißen, oder so ähnlich. Auf jeden Fall wird das Wort "Vertrag" darin vorkommen und nicht das Wort "Verfassung". In der Diskussion, die das Scheitern der EU-Referenden in den Niederlanden und Frankreich im Jahre 2005 zu erklären versucht, wird immer wieder behauptet, der Titel "Verfassung" sei irreführend gewesen. Populisten in Europa hätten ihn benutzt, um mit ihm die Drohkulisse eines europäischen Superstaates aufzubauen - ein Europa, das den Bürgern die nationale Identität rauben wolle. Ironischerweise hatten die Verfassungsväter diesen Titel gewählt, um ein Zugehörigkeitsgefühl bei den Europäern zu wecken.
Neue Debatte über Inhalte
Bundeskanzlerin Angela Merkel macht Tempo. Sie will während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht nur einen Fahrplan für die weiteren Beratungen entwickeln, sondern bis zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Juni 2007 auch zu einer "inhaltlichen Orientierung" kommen.
Auch der britische Premierminister Tony Blair hat Schwung in die Debatte gebracht. In einem Gespräch mit Auslandskorrespondenten plädierte er für eine rasche Einigung der 27 EU-Regierungen. Blair sprach von einem "vereinfachten Vertrag", einem "Änderungsvertrag".
Keine Referenden
Tony Blair hat sich explizit gegen ein Referendum über den künftigen EU-Vertrag ausgesprochen, weil klar ist, dass er es nicht gewinnen kann. Die Europaskepsis auf der Insel ist zu groß. Auch Martin Schulz, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion Europas im Europäischen Parlament (SPE), ist gegen die Abstimmung durch Volksentscheide. Die "Handlungsfähigkeit der Regierungen auf internationaler Ebene" würde sonst eingeschränkt, weil sie dem "innenpolitischem Populismus unterworfen würden", so Schulz gegenüber DW-WORLD.DE.
Der scheidende Premier Blair hatte im Jahr 2004 den Verfassvertragsentwurf unterzeichnet - heute vertritt er eine andere Position. Er will einen neuen Vertrag. Markus Ferber, EU-Parlamentarier und Vorsitzender der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, verwundert dieser Meinungswandel nicht. Blair habe schon immer eine "Zwitterrolle in der Europapolitik gespielt". Der eigentlich pro-europäische Politiker muss der skeptischen Meinung der Mehrheit der Briten Rechnung tragen. Im Kreise der Staats- und Regierungschefs wolle er aber "nicht als der Bremser dastehen", sagt Ferber.
Warnung vor einem "diffusen Europa"
Die Ablehnung Tschechiens gegen den Vertrag zeige exemplarisch dass "wir zwar sehr schnell erweitert haben, aber die Menschen und die politischen Eliten nicht mitgenommen haben". Was "die EU-Mitgliedschaft und was internationale Solidarität wirklich bedeutet", müsse aufgearbeitet werden, "sonst werden wir mittelfristig ein so diffuses Europa bekommen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, die Aufgaben zu bewältigen und auch wirklich erfolgreich zu lösen", sagt Ferber.
Als Beispiel nennt er das Thema Energiesicherheit: Die Mitgliedstaten beharrten oft darauf, dass der "Energiemix eine nationale Aufgabe" sei. Jeder merke aber, "allein als Einkäufer von Primärenergie sind wir zu schwach". Hier müsse europäisch gehandelt werden. Wir "brauchen wir eine ordentliche Rechtsgrundlage, die den Mitgliedsstaaten Freiräume lässt, die aber auf der anderen Seite die Einkaufsmacht Europas bündelt und [es] damit weniger angreifbar macht".
Energieversorgung und Terrorismusabwehr
Auch die Abwehr des internationalen Terrorismus sei unbestritten eine europäische Herausforderung. Aber es gäbe keine Rechtsgrundlage dafür. "Wir arbeiten im Prinzip auf Übergangsartikeln, wie sie in den jetzigen Artikeln vorgesehen sind. Damit können könne wir nicht die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger garantieren, wie es notwendig ist", sagt Ferber.
Die Probleme - Energie, Terrorismus - seien "zu sensibel, als dass sie nur auf der Basis von Einstimmigkeit vorangebracht werden können". Europa brauche nicht mehr viele neue Zuständigkeiten. Es gehe um die Handlungsfähigkeit, und die sei bei 27 Mitgliedern und einem weitreichenden Einstimmigkeitsprinzip nicht möglich.
Polens Protest
Energie und Sicherheit sind zwei der Themen, die in den neuen Vertrag einfließen sollen. Diese Themen an sich allerdings sind nicht das Problem. Die Ausgestaltung der Umsetzung der Politiken aber doch. So tun sich die Mitgliedsstaaten sehr schwer, in diesen strategischen Feldern Macht abzugeben.
So hat sich Polen am 18.4.07 bei der EU-Kommission gegen den in der EU-Verfassung vorgesehenen Verlust von Stimmrechten gewehrt. Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski sagte, es dürfe in Europa keine Hegemonialstellung einzelner Länder geben. Das in der Verfassung vorgesehene Stimmensystem führe dazu, dass Polen besonders stark an Einfluss verliere. Der polnische Ministerpräsident deutete damit an, dass nach dem Verfassungsentwurf bevölkerungsreiche Länder wie Deutschland bei EU-internen Abstimmungen an Einfluss gewinnen würden.
In dem Entwurf ist für Abstimmungen im Rat, der Vertretung der EU-Regierungen, eine doppelte Mehrheit vorgesehen: Für einen Beschluss ist die Zustimmung von mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten erforderlich, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren müssen. Im bisherigen System hat jeder EU-Staat eine festgelegte Anzahl von Stimmen. Bei der Berechnung dieser Stimmanteile wurde zwar ebenfalls die Bevölkerungsstärke zu Grunde gelegt, die mittelgroßen EU-Staaten Spanien und Polen wurden aber überproportional großzügig bedacht. Kaczynski erklärte wörtlich: "Natürlich ist Polen nicht damit einverstanden, von einer relativ privilegierten Stellung nach dem Vertrag von Nizza zu dem am wenigsten privilegierten Land in der EU zu werden."
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso versuchte, die Wogen zu glätten. Er rief Polen auf, zu einer Einigung über einen neuen EU-Vertrag beizutragen. "Wenn Europa stärker ist, dann ist auch Polen stärker", sagte er. Barroso warnte davor, erneut über Kernbereiche zu verhandeln. "Wir sind dafür, so viele Dinge unverändert zu lassen wie möglich." Die EU brauche den neuen Vertrag.
Chefgespräche geplant
Das "Nein" bei den Volksabstimmungen in Niederlanden und in Frankreich 2005 wirkt immer noch traumatisch auf Europapolitiker. Angela Merkel will daher ab Mitte Mai offiziell Chefgespräche führen, um die Widersacher zu besänftigen. Sie hat sich bereits am Dienstag (17.4.) mit dem tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus getroffen, der als einer der größten Kritiker der EU-Verfassung gilt.
SPD-Mann Martin Schulz steht hinter der Kanzlerin. Er hoffe, dass sie die gesteckten Ziele erreiche, damit 2009 bei den nächsten Europawahlen schon auf der Grundlage des neuen Vertrages abgestimmt werden könne. Dass der dann nicht Verfassung hieße, störe ihn nicht, er nennt das Regelwerk den "konstituierenden Vertrag".