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Das Europaparlament positioniert sich in der Verfassungsfrage

Bernd Riegert / (stl)17. Januar 2006

Die gemeinsame Verfassung für die Europäische Union erlitt 2005 einen Schiffbruch. Über Pläne für eine mögliche Rettung wird weiter gestritten.

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Wie kommt die EU aus der Sackgasse?Bild: dpa

Tot oder lebendig? Was gilt für die Europäische Verfassung, die in 14 Staaten bislang ratifiziert, aber von Franzosen und Niederländern in Referenden abgelehnt wurde? Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac hat kürzlich erklärt, er wolle nur einzelne Bausteine der Verfassung wieder beleben, während der niederländische Außenminister Bernhard Bot sagte, solche Rosinenpickerei bringe nichts. Die gemeinsame Verfassung sei tot. Dem widersprach der österreichische Ratspräsident, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel: "Die Verfassung ist nicht tot." Österreich hat sich vorgenommen, bis Juni einen Weg aus der Sackgasse zu finden.

EU-Verfassung ist bester Kompromiss

Die Verfassung soll der erweiterten EU neue Institutionen und ein neues Abstimmungsverfahren bescheren. Sie ist der beste Kompromiss, den man heute erreichen kann, glaubt der Vorsitzende des Verfassungsausschusses des Europäischen Parlaments Jo Leinen (SPD): "Ich sehe nicht, was man neu verhandeln kann. Es ist ja vier Jahre lang intensiv verhandelt worden. Jeder, der jetzt einen neuen Konvent einberuft, wird weniger bekommen, als wir heute haben. Deshalb hört sich das gut an, ist aber nicht gut", meint Leinen.

Jo Leinen
Jo Leinen ist Vorsitzender des Verfassungsausschusses im EU-ParlamentBild: Jo Leinen

Jo Leinen und die Mehrheit der Parlamentarier sprechen sich dafür aus, den einmal ausgehandelten Text der Verfassung nicht zu verändern, sondern um einen Anhang zur sozialpolitischen Rolle Europas zu ergänzen und so Ängste zu bekämpfen: Dies sei auch deshalb eine gute Lösung, da der gefundene Kompromiss nicht aufgebrochen werden müsse und Klarstellungen mit demselben juristischen Wert wie die Verfassung, angehängt werden könnten. "Das ist ein guter Weg, den man seinerzeit auch beim Nein der Dänen beim Maastricht-Vertrag schon gegangen ist und der Erfolg hatte", so Leinen.

Diese Strategie hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeschlagen. Fraglich ist aber, ob das den Wählern in Frankreich oder den Niederlanden reichen würde. Entscheidungen in der Verfassungsfrage werden wohl erst nach den nationalen Wahlen in den beiden Ländern im Jahr 2007 fallen. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), schloß in einem Interview mit der Deutschen Welle nicht aus, dass eine Lösung in der EU-Verfassungsfrage „das wichtigste Thema für die deutsche Ratspräsidentschaft ab Januar 2007 ist“.

Die Zustimmung zur Verfassung, die das deutsche Parlament bereits gegeben hat, gilt aber auch in Dänemark und Großbritannien keineswegs sicher. Jo Leinen, der Verfassungsexperte im Europa-Parlament, gibt zu Bedenken, dass ohne den neuen EU-Vertrag, der mehr Demokratie und Transparenz bringen soll, die Union auf mittlere Sicht nicht mehr handlungsfähig sein wird.

EU-Parlament gegen ein Kerneuropa

"Mit dem Europaparlament wird es keine Erweiterung geben, wenn wir den Verfassungsvertrag nicht bekommen. Rumänien und Bulgarien werden für uns die letzten sein, die mit dem Nizza-Vertrag reinkommen. Bei Kroatien, Mazedonien und anderen wird das sehr schwierig. Ich glaube, da ist der Hebel, um doch noch einen Durchbruch zu erreichen", sagt der EU-Verfassungsexperte.

Scheitern des EU-Finanzgipfels: Chirac zieht ein langes Gesicht
Frankreichs Präsident Chirac plädiert für ein KerneuropaBild: dpa

Bald will das Europaparlament in Straßburg seine Haltung zur Verfassungsfrage festlegen. Der Anregung des französischen Präsidenten Jacques Chirac, ein Kerneuropa für vertiefte Zusammenarbeit aus willigen Staaten zu bilden, wies der Fraktionschef der Konservativen im EU-Parlament, Hans-Gert Pöttering (CDU), zurück: "Wir würden es strikt ablehnen, wenn Arbeitsgruppen zwischen interessierten Staaten außerhalb des Gemeinschaftsrahmens gebildet würden, wie es aus Paris zu hören ist." Ein solcher Ansatz sei ein Beitrag zur psychologischen Spaltung der Europäischen Union, sagt Pöttering. "Und davon hatten wir in der Vergangenheit schon zuviel."

Auch die Bundesregierung in Berlin reagierte auf Chiracs Versuchsballon kühl. Dieser Luftballon scheine damit schon geplatzt zu sein, sagte auch der EU-Parlamentarier Jo Leinen.