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Annus horibilis für die EU

Alexander Kudascheff11. Januar 2006

2005 war ein schreckliches Jahr für die EU. Darin sind sich die meisten in Brüssel einig, auch wenn der Durchbruch beim Etatstreit auf dem letzten Gipfel das Jahr in einem merkwürdig sonnigen Licht erscheinen lässt.

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Alexander Kudascheff

Faktisch aber muss der Etatkompromiss noch durchs Parlament - und das ist als Parlament aus 25 Mitgliedsstaaten deutlich unberechenbarer und unwillfähriger als die früheren Europaparlamente. Es zeigt ein neues, ein gesundes, manchmal ein an Überheblichkeit grenzendes Selbstbewusstsein - allerdings rechnet zur Zeit niemand, dass die Parlamentarier durchfallen lassen, was die Staats- und Regierungschefs vereinbart haben. Zu groß wäre der Schaden wohl für die EU. Aber so ganz genau weiß es niemand, wie das Ringen mit den Parlamentariern ausgehen wird. Überraschungen sind möglich.

Lässt man die geglückte Weihnachtsüberraschung beiseite, dann ist die Lage für die EU aber immer noch wenig erfreulich. Am Nein der Franzosen und der Niederländer zur Verfassung hat sich nichts geändert. Zwar wird - hinter verschlossenen Türen vorwiegend - zurzeit darüber nachgedacht, wie man die Verfassung retten kann - ein Patentrezept hat aber niemand.

Elitäres Verhalten

Chirac hat es jetzt mal wieder mit einem Konzept von europäischen Pionieren versucht. Im Klartext: Wer mehr Europa will, kann sich mit anderen, die gleiche Ambitionen hegen, zusammenschließen. Und natürlich sieht Frankreichs Staatschef sein land überall als Kern (neben Deutschland) solcher Avantgarde-Gruppen. Doch wie will Chirac, nachdem die Franzosen gerade mit überwältigender Mehrheit Non gesagt haben zum Verfassungsvertrag, sein so erkennbar skeptisches Volk von diesem Vorgehen überzeugen? Wahrscheinlich, indem er es gar nicht befragt. Also genau das elitäre Verhalten an den Tag legt, das ihm und der gesamten politischen Klasse die Franzosen übel genommen haben.

Denn das ist die wahre Crux der europäischen Krise. Es ist eine Vertrauenskrise. Es ist eine Krise des europäischen Gedankens und der europäischen Idee. Es ist eine Krise der europäischen Institutionen. Eine Umfrage dieser Tage hat gerade gezeigt: Nur ein Drittel der europäischen Bürger hat Vertrauen in die Kommission hier in Brüssel. Knapp 50 Prozent vertraut dem Parlament. 36 Prozent sehen aber sein Wirken und seine Rolle skeptisch, ein Misstrauensrekord. Und der Rat schneidet noch schlechter ab als das Parlament. Wohin man also schaut: Der europäische Bürger misstraut Europa - die Engländer und Polen und Österreicher mehr und eindringlicher als die Belgier, Slowenen oder Portugiesen, im Schnitt aber erlebt ganz EU-Europa eine Vertrauenskrise.

Plan D

Die Antwort auf die erkannte Krise ist EU-typisch. Man hat den Plan D aufgestellt. D steht für Debatte, Demokratie, Dialog - und will unter dem Motto "go local" auf die Bürger zugehen. Das liest sich gut, keine Frage. Es ist sogar gut gemeint. Ob es aber gut ankommt? Da kann man zurecht zweifeln. Oder braucht nur an den Hamburger Hafen zu gehen - und fragen, was die Lotsen und die Hafenarbeiter von der EU halten. Die Antwort wird - demokratisch, dialogisch, debattenfroh und lokal sein: Nichts. Und auf dieses knappe Nichts wird man sich in Brüssel wahrscheinlich eine neue Richtlinie einfallen lassen. Aber vielleicht würde es auch reichen, mal über die Erweiterungsstrategie nachzudenken, die an den Bürgern vorbei betrieben wird. Ohne jede demokratische Legitimation. Ohne Plan D also.