Die Atombombe auf Hiroshima im Comic-Format
6. August 2020"Ich bin der Schöpfer des Nichts."
"Ich bin der, der im Reich der aufgehenden Sonne die Sonne untergehen lässt!"
Sprechblasen auf schwarz-weißem Hintergrund. Zeichnungen einer Stadt in Trümmern. Menschen gleichen Zombies. Ihre Gesichter: Zeichen des Schreckens.
Auf über 470 Seiten erzählt die Graphic Novel "Die Bombe" die Geschichte der größten Massenvernichtungswaffe der Menschheit, der "ultimativen Waffe" des Zweiten Weltkriegs. Am Morgen des 6. August 1945, um 8:15 Ortszeit, detoniert die Bombe über der Stadt Hiroshima. Eine Sprengkraft, die der von 15.000 Tonnen TNT entspricht.200.000 Menschen sterben allein in Hiroshima in den ersten fünf Jahren nach der Katastrophe. Über 90 Prozent der Häuser verbrennen, alles liegt in Schutt und Asche.
Doch ist eine Graphic Novel das richtige Medium, solch einem Stoff zu begegnen? Davon ist Didier Alcante, Autor des Buches “Die Bombe” überzeugt. Für ihn ist eine Graphic Novel sogar das perfekte Medium, um solch eine Geschichte wie die des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima zu erzählen. "Auf der einen Seite kann man den Text für die Vermittlung komplexer wissenschaftlicher Inhalte verwenden. Man kann in seinem eigenen Tempo lesen und die Vielschichtigkeit verstehen. Und auf der anderen Seite stehen die Zeichnungen, um die Gefühle zu vermitteln." So verzichten über 20 Buchseiten komplett auf den Text und zwar, wenn es darum geht, die Wucht der Explosion zu illustrieren. Wohingegen bei der wissenschaftlichen Erklärung der Atombombe viele Sprechblasen notwendig sind.
Akribische Recherchearbeit
Das Buch wird auch deshalb zum Meisterwerk, weil es auf einer gründlichen Recherche basiert: Die Szenen, die militärischen Operationen, die historischen Personen - von Wissenschaftlern über Offiziere bis hin zu Politikern - basieren auf Fakten. Die Ereignisse sind penibel und detailbesessen rekonstruiert. Die komplexe Technologie einer Atombombe ist minimalistisch, aber nachvollziehbar erklärt. Vier Jahre haben die Autoren Didier Alcante und Laurent-Frédéric Bollée mit dem Zeichner Denis Rodier zusammengearbeitet. Doch eigentlich begannen die Recherchen sogar noch früher.
"Im Jahr 1978 kam - ich war damals acht Jahre alt - ein japanischer Junge in meine Klasse. Wir lebten in Belgien und er konnte kein Wort Französisch. Ich habe ihm in der Schule geholfen, wir sind sehr gute Freunde geworden - bis heute", erinnert sich Alcante. Später wird dieser Freund einem der Protagonisten im Buch sein Gesicht geben. 1981 besuchte Didier Alcante seinen japanischen Freund in Hiroshima. Dort hat sich eine Sache in sein Gedächtnis eingeprägt, die ihn nicht wieder losgelassen hat: "Wir haben das Museum in Hiroshima besucht. Darin sind viele Fotos von Leichen, Zerstörung und Chaos ausgestellt. Was mich am meisten beeindruckt hat, war ein Schatten einer Person, der an einem Treppenhaus buchstäblich fixiert war." Bei diesem 'Schatten' handelte es sich um die Überreste eines Menschen, der sich etwa 250 Meter vom Epizentrum aufhielt und durch die Explosion umkam. Was von ihm übrig blieb, waren nicht mehr als Spuren an der Wand. Dieses Mauerwerk wurde ins Museum gebracht, wo man es bis heute besichtigen kann. "Das war für mich sehr prägend, einen Schatten zu sehen und zu wissen - da war mal jemand und jetzt … niemand, ein Schatten, ein Geist. Ich konnte damals als Jugendlicher nicht fassen, wie so ein schönes Land zerstört werden kann. Später habe ich angefangen zu recherchieren, zu lesen, und habe so auch viel über das militärische System in Japan gelernt", sagt Didier Alcante.
Den Vergessenen ein Gesicht geben
Die Graphic Novel porträtiert Wissenschaftler, die an dem Manhattan-Forschungsprojekt, das die Herstellung der Bombe zum Ziel hatte, gearbeitet haben. Einer von ihnen ist Leó Szilárd, der zwar an dem Bau der Bombe beteiligt war, jedoch später von ihrem Einsatz entschieden abriet: "Je mehr ich über ihn las, desto mehr Bewunderung hatte ich für ihn. Er hätte an jeder renommierten Universität lehren oder den Nobelpreis gewinnen können, doch er war unangenehm für das US-Militär, weil er gegen den Einsatz der Bombe war. Ich bedauere, sein Leben nicht noch ausführlicher im Buch beschrieben zu haben. Ich hätte 2000 Seiten schreiben können, aber die Zeichner wären damit nicht einverstanden gewesen", lacht Alcante.
Größte Herausforderung: Japan nachempfinden und darstellen
Im Buch versucht Alcante auch die Eigenheiten der japanischen Kultur festzuhalten. "Es gibt eine Stelle, wo der japanische Vater, seinen Sohn umarmt, der aus dem Militäreinsatz gegen China nach Hause kommt. Doch als mein japanischer Freund die Zeichnung sah, winkte er ab und sagte: So etwas machen Japaner nicht. Vater und Sohn begrüßen sich respektvoll, aber sie umarmen sich nicht in so einer Situation." So lernt der Leser nicht nur Fakten kennen, sondern erfährt nebenbei auch viel über Kimonos und Rituale.
Augenzeugenbericht: Barfuß durch Hiroshima
Die erste Graphic Novel über die Atombombe entstand schon in den 1970ern Jahren - ein autobiografisches Meisterwerk von Keiji Nakazawa, der das Leben der Japaner vor und nach der Atombombe schildert. Keiji Nakazawa wuchs in Hiroshima auf: Seine Erzählungen beginnen mit den ersten Kriegsjahren vor dem Abwurf der Bombe auf seine Stadt. Er beschreibt Szenen von Entbehrungen und Hunger, etwa wie sich Geschwister um eine Kartoffel streiten oder Heuschrecken sammeln, weil es nichts anderes zu essen gibt. Mehr noch: Keiji Nakazawa schildert die Ausgrenzung und Verhöhnung der die Familie ausgesetzt ist, weil der eigene Vater gegen den Krieg ist. "Meinem Körper können sie Wunden zufügen, aber meiner Seele niemals", sagt der Vater im Buch als er mit blauen Flecken von einem Polizeiverhör nach Hause kommt.
Keiji Nakazawas Erinnerungen an die Zeit werden in diesem autobiografischen Buch sehr eindrucksvoll geschildert. Er ist nur 1,4 Kilometer vom Epizentrum entfernt, als die Bombe am 6. August 1945 detoniert. In seinen Zeichnungen beginnt das Buch mit einer aufgehenden Sonne und dem Schriftzug: "Hiroshima begann seinen Tag wie jeden anderen, ungeachtet, dass schon bald die Hölle über die Stadt hereinbrechen sollte."
Wie durch ein Wunder überlebt er zusammen mit seiner hochschwangeren Mutter, die wenige Stunden nach der Explosion das Kind gebärt, wie die Mutter, die im Buch porträtiert wird. Nach der Geburt hält sie ihr Neugeborenes in den Händen nach oben und sagt: "Wenn du groß bist, darfst du nie zulassen, dass so etwas noch einmal geschieht!"
Keiji Nakazawa selbst ist 2012 an Leukämie verstorben. Durch die Folgen der nuklearen Katastrophe verlor er seine Eltern, seine Schwester und seinen jüngeren Bruder. "Ich gab meinem Hauptcharakter den Namen 'Gen' in der Hoffnung, dass er eine Wurzel und Quelle der Kraft für eine neue Generation der Menschheit sein kann – einer Generation, die die verbrannte Erde von Hiroshima barfuß betreten, die Erde unter den nackten Füßen spüren kann und die Kraft hat, "Nein" zu nuklearen Waffen zu sagen. Ich selbst versuche, mit Gens Stärke zu leben – das ist mein Ideal und ich werde dieses in meiner Arbeit weiter fortführen", schrieb Keiji Nakazawa, 1987.
Beide Bücher sind im Carlsen Verlag erschienen und wurden in mehreren Sprachen übersetzt:
Keiji Nakazawa:: Barfuß durch Hiroshima. Kinder des Krieges (Bände 1-4), 12,40 - 14,40 Euro
Alcante, Laurent-Frédérich Bollée, Denis Rodier: Die Bombe, 42 Euro, erschienen 30.06.2020