Filmgeschichte auf DVD: "Hiroshima mon amour"
2. Juni 2018Kann man über Hiroshima einen Film drehen? Unter anderem um diese Frage ging es in "Hiroshima mon amour". In Deutschland stellten 1959 Intellektuelle fast zeitgleich die Frage, ob man über Auschwitz einen Film drehen könne. Beantwortet ist sie bis heute nicht - was man an den anhaltenden Diskussionen sieht, die immer dann einsetzen, wenn ein Spielfilm mit fiktiven Charakteren über die Vernichtungslager in den Kinos oder im Fernsehen gezeigt wird. Ob das Grauen von Krieg und Gräuel überhaupt auf die Kinoleinwand gehört, muss jeder Betrachter für sich selbst beantworten.
"Hiroshima mon amour" stellt viele Fragen
Im Zuge digitaler Restaurierungsmöglichkeiten wurde jetzt Resnais' berühmtes Werk aus dem Jahre 1959 in bestmöglicher Form wiederhergestellt und ist auf DVD und Blu-Ray erschienen. Beim Wiedersehen stellt sich die Frage nach der Darstellbarkeit menschlichen Leids erneut. Doch "Hiroshima mon amour" ist ein so vielschichtiges wie vielfach interpretierbares Kunstwerk. Deshalb ist die Frage, ob Kino und TV das geeignete Medium zur Beschäftigung mit dem historischen Thema sind, nur eine unter vielen.
Uraufgeführt wurde Resnais' Film bei den Festspielen in Cannes außerhalb des Wettbewerbs um die Goldene Palme. Im Juni 1959 startete er in den französischen Kinos. Das deutsche Publikum musste noch ein knappes Jahr auf den Film warten. Resnais war, obwohl "Hiroshima mon amour" sein erster Spielfilm ist, kein Unbekannter. Nicht zuletzt hatte sein Dokumentarfilm über Auschwitz, "Nacht und Nebel", drei Jahre zuvor Aufsehen erregt. Er sorgte für ein diplomatisches Scharmützel zwischen Deutschland und Frankreich und leidenschaftliche Diskussionen in beiden Ländern.
Vom Leid der Völker und Individuen
Doch wo "Nacht und Nebel" mit kaum verfremdeten und dokumentarischen Mitteln über das Grauen der Konzentrationslager berichtete, ist "Hiroshima mon amour" ein kunstvoll angelegter Spielfilm über die Atombombe und zugleich über individuelles Leid in dem von Deutschland besetzten Frankreich. Das Drehbuch zum Film hatte die Schriftstellerin Marguerite Duras beigesteuert - die literarische Vorlage prägte den Rhythmus des Films ganz entscheidend.
"Hiroshima mon amour" ist in zwei große erzählerische Blöcke aufgeteilt. Im ersten geht es um die Atombombe und die katastrophalen Folgen für die japanische Stadt. Im zweiten um die Liebe einer Französin zu einem deutschen Soldaten in Burgund während des Zweiten Weltkriegs. Erzählerisch wird das Ganze von einer Liebesgeschichte zusammengehalten, die der französische Regisseur vor dem Zuschauer ausbreitet: Eine französische Schauspielerin reist 14 Jahre nach Ende des Kriegs nach Japan, um dort einen pazifistischen Spielfilm über den Atombombenabwurf zu drehen. Sie lernt einen japanischen Architekten kennen und lieben.
Dialoge über das Begreifen, Erinnern und Vergessen
Die beiden unterhalten sich über Hiroshima und die Bombe, die Frau erzählt von Ausstellungen und Filmen zum Thema, vermittelt ihrem Partner, dass sie vom Leid der japanischen Bevölkerung erfahren hat. Der Mann antwortet stets mit der gleichlautenden Formel: "Du hast nichts gesehen" ("Tu n'as rien vu à Hiroshima. Rien.")
Dann schieben sich mehr und mehr die Erinnerungen der Frau in den Vordergrund der Filmhandlung. Sie erzählt von einer Liebschaft zu einem deutschen Besatzungssoldaten in ihrer Heimatstadt Nevers, dessen Tod durch Résistance-Kämpfer und die anschließende Ächtung der jungen Frau durch ihre Landsleute: Sie wird kahlgeschoren als Zeichen der Kollaboration und von ihren Eltern aus Scham im Keller versteckt - für die Frau ein traumatisierendes Erlebnis.
Komplex-verschachteltes Kunstwerk mit literarischem Anspruch
Das Ganze ist von Alain Resnais zu einem komplexen filmischen Kunstwerk zusammengefügt, das von den im Voice-Over zu hörenden Textcollagen der Marguerite Duras verstärkt wird. "Hiroshima mon amour" ist zweifellos ein intellektuelles Werk, das den Zuschauer herausfordert und damals wie heute einen bestimmten Publikumsteil begeistert.
Auf der anderen Seite provozierte "Hiroshima mon amour" aber auch. Die Befürworter lobten die künstlerische Form des Films, die Kritiker bemängelten die als zu pathetisch empfundene Grundhaltung der Erzählung.
"Der Spiegel" schrieb 1960: "Regisseur Resnais will mit diesem Film, der mit den Romanen à la James Joyce und Marcel Proust verglichen werden kann, nicht die Realität zeigen, wie sie ist, sondern das Bild, das sie dem Bewusstsein der Heldin einprägt: 'Hiroshima mon amour' ist gefilmtes Bewusstsein." Regiekollege Eric Rohmer griff noch höher: "Ich glaube, in ein paar Jahren, in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren werden wir wissen, ob 'Hiroshima mon amour' der bedeutendste Film der Nachkriegszeit, das erste moderne Werk des Tonfilms war."
Kritik am Film: Zwischen Redeschwall und Karikatur
Die Kritiker hielten sich nicht zurück. Der deutsche Resnais-Biograf Peter W. Jansen bemerkte: "…immer wieder hat man den Eindruck, dass der Film seinem Skript nicht nur folgt, sondern es einerseits bis an die Grenze der Karikatur überhöht und ihm andererseits widerspricht." Thomas Klein schrieb für die Reihe "Filmklassiker" bei Reclam: "Der Redeschwall, zu dem Duras zumal die Hauptdarstellerin zwingt, verleiht "Hiroshima mon amour" etwas literarisch Konstruiertes, manchmal auch Geschwätziges."
Keine Frage, "Hiroshima mon amour" ist ein ausgefeiltes Kunstwerk voller Anspielungen, Assoziationen und formaler Experimente. Manche Zuschauer werden sich auch heute noch am hohen Ton der literarischen Vorlage reiben. Doch der Film hat zweifelsohne Spuren hinterlassen in der Geschichte des Kinos, unter anderem auch mit der bis heute gestellten Frage nach der Darstellung von Krieg, Grauen und menschlichem Leid auf der Kinoleinwand.
Der Film "Hiroshima mon amour" von Alain Resnais ist beim Anbieter "Concorde" auf DVD und Blu-Ray erschienen, Originaltitel: "Hiroshima mon amour", Frankreich/Japan 1959, Laufzeit: 89 Min, Darsteller: Emmanuelle Riva, Eiji Okada, Stella Dassas, Drehbuch: Marguerite Duras.