Die absurden Regelungen der Handelspolitik
13. April 2005Nichtregierungsorganisationen (NROs) kritisieren seit langem, dass viele der Bestimmungen der Welthandelsorganisation dazu benutzt werden, Entwicklungsländer auszubeuten und Industrieländern Vorteile zu verschaffen. Wenige Monate vor der nächsten Ministerkonferenz der WTO (World Trade Organization) vom 13. bis 18. Dezember in Hongkong wird der Ruf der WTO-Kritiker nach einem Kurswechsel in der internationalen Handelspolitik wieder lauter. Am Mittwoch (13.4.) beginnt in Genf ein neue Runde der Agrarverhandlungen. Besonders in der Landwirtschaft treibt die Subventions- und Zollpolitik der reichen Länder die absurdesten Blüten. Zu leiden haben vor allem die armen Staaten. Wie unsinnig, widersprüchlich und schädlich die Regelungen in der internationalen Handelspolitik sein können, zeigen folgende Beispiele, die von Nichtregierungsorganisationen immer wieder ins Feld geführt werden.
Zollausgaben höher als Entwicklungshilfe
Die Kampagne "Make Trade Fair" der Hilfsorganisation Oxfam International kritisiert, dass Entwicklungsländer, die in Industrieländer exportieren, viermal so hohe Einfuhrzölle zahlen wie Industrieländer, wenn sie in Entwicklungsländer exportieren. Jährlich kosten die Zölle die Entwicklungsländer 100 Milliarden Dollar und damit doppelt soviel, wie sie an Hilfszahlungen erhalten.
Entwicklungsländer stellen mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung, aber weniger als drei Prozent des Welthandels. Industrieländer exportieren Güter und Dienstleistungen im Wert von 6000 US-Dollar pro Kopf, bei Entwicklungsländern liegt dieser Wert nur bei 330 US-Dollar und in Billiglohnländern sogar nur bei 100 US-Dollar.
Eine Milliarde US-Dollar Subventionen pro Tag
In den wohlhabenden Industrieländern wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA wird die heimische Landwirtschaft nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen mit einer Milliarde Dollar pro Tag stark subventioniert. Die Überproduktion wird zusätzlich subventioniert und in Länder außerhalb der EU und der USA verkauft. Der Preis liegt dann laut Oxfam um mehr als ein Drittel unter den Produktionskosten. Mit diesen Preisen können Entwicklungsländer nicht mithalten.
Absurdes Patentrechtssystem
Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) kritisiert, dass im so genannten TRIPs-Abkommen (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) der WTO festgelegt ist, dass alle Mitglieder die Mindeststandards für Patente und andere Rechte an geistigem Eigentum erfüllen müssen. So muss beispielsweise Burkina Faso, eines der ärmsten Mitgliedsländer, ein Patentrechtssystem einführen, obwohl die Einwohner weder in ihrer Heimat noch in anderen Ländern Patente haben.
Marktöffnung ist nicht gleich Marktöffnung
Weiterer Kritikpunkt des EED: Im Landwirtschaftsabkommen der WTO ist festgelegt, dass die Industrieländer ihre Zölle um 36 Prozent, die Entwicklungsländer um 24 Prozent senken müssen. Die Industrieländer gleichen die Marktöffnung durch Subventionen heimischer Produkte aus. Durch die Subventionen können die einheimischen Produkte gegen die preiswerter produzierten Nahrungsmittel aus dem Ausland bestehen. Entwicklungsländern fehlt für Subventionen heimischer Produkte das Geld. So öffnen also faktisch die Entwicklungsländer ihre Märkte stärker für die Industrieländer als umgekehrt.
Scheindemokratie
In den Augen von NROs existiert die Demokratie in der WTO nur in der Theorie. Demnach hat jedes Land eine Stimme und Entscheidungen werden im Konsens gefällt. Ein Konsens gilt als erreicht, wenn keines der anwesenden WTO-Mitglieder widerspricht. Tatsächlich finden laut EED jedoch am Sitz der WTO in Genf viele Sitzungen parallel statt. Kleinere Entwicklungsländer haben nicht die Möglichkeit, an allen Sitzungen teilzunehmen. Einige der ärmeren Länder haben nicht einmal eine Vertretung in Genf. So führt das Konsensprinzip der WTO dazu, dass diese Länder oftmals nicht widersprechen können, weil schlicht kein Vertreter anwesend ist.
Länder mit Millionen Milchkühen importieren Milch
Laut Oxfam wird jede europäische Kuh täglich mit zwei US-Dollar subventioniert. Subventionen gibt es zudem für den Export der Milch. So landet Milchpulver aus Frankreich, Nordirland oder Litauen in Westafrika. 2001 wurden 21.000 Tonnen Milchpulver, das hauptsächlich aus Frankreich stammte, nach Westafrika exportiert. Allein Mali importiert jährlich 9000 Tonnen Milchpulver, obwohl es in dem Land 6,5 Millionen Rinder gibt.
US-Reismühle exportiert nach Kuba und Haiti
US-Farmer erhalten von ihrer Regierung Subventionen im Wert von 232 US-Dollar pro Hektar Anbaufläche, mehr als das jährliche Einkommen eines ghanaischen Reisbauern. Seit den frühen 1980er Jahren verpflichteten der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank die Entwicklungsländer dazu, ihre Landwirtschaftsmärkte zu liberalisieren, um Kredite zu erhalten. Im Jahr 1995 musste Haiti auf Druck des IWF seine Reiseinfuhrzölle von 35 auf 3 Prozent reduzieren. Daraufhin verdoppelten sich Reisimporte bis 2003. Heute stammen drei von vier Tellern Reis, die auf Haiti verzehrt werden, aus den USA. Gute Nachrichten für Riceland Foods aus Arkansas, die größte Reismühle der Welt. Deren Profite stiegen zwischen 2002 und 2003 um 123 Millionen Dollar. Exporte, hauptsächlich nach Haiti und Kuba, stiegen um 50 Prozent. In Haiti hingegen gehören Reisanbaugebiete inzwischen zu den ärmsten Gegenden.
Schwankende Preise für Kakao, Garnelen und Kaffee
Ein Kakaobauer aus Ghana bekommt nur 1,2 Prozent des Preises, der in Industrieländern für eine Tafel Schokolade bezahlt wird. Zwischen 1996 und 2000 erhöhte Ghana seine Kakaoproduktion um ein Drittel, der Preis für Kakao sank aber um ein Drittel.
Die Kaffeepreise sanken seit 1997 um 70 Prozent. Händler, die in Entwicklungsländer exportieren, erlitten dadurch Verluste in Höhe von acht Milliarden US-Dollar.
Noch ein Beispiel: Während die WTO verlangt, dass Entwicklungsländer ihre Einfuhrzölle senken oder sogar ganz abschaffen, erhöhte die EU im Jahr 2002 die Einfuhrzölle auf Garnelen von 4,5 auf 10,9 Prozent. Zölle, die die Anbauer in Vietnam bezahlen müssen, um ihre Garnelen in der EU verkaufen zu können.
Überproduktion des weißen Goldes
Die EU exportiert jährlich fünf Millionen Tonnen Zucker. Erlaubt sind ihr laut WTO-Verträgen aber nur eine Million. Laut Oxfams Zuckerbericht "Dumping on the world" vom August 2004 wird dieser Überschuss durch direkte und indirekte Exportsubventionen zu Schleuderpreisen auf den Übersee-Märkten verkauft. Dadurch werden die Märkte vor Ort zerstört, obwohl die Erzeuger dort effizienter zu niedrigeren Preisen produzieren. Hohe Handelsbarrieren halten außerdem Importe von Europa fern. Im Jahr 2004 gab die EU 3,30 US-Dollar an Exportsubventionen für Zucker im Wert von einem US-Dollar aus.
Beispiel Baumwolle
Wie ein WTO-Schiedsgericht im September 2004 feststellte, sollen die USA jährlich 3,2 Milliarden US-Dollar Subventionen für Baumwolle bezahlt haben. Das ist nach WTO-Regeln eigentlich illegal. Oxfam schätzt, dass dadurch afrikanischen Staaten, die Baumwolle produzieren, zwischen 2001 und 2003 400 Millionen US-Dollar an Verlusten entstanden sind. Ein durchschnittlicher westafrikanischer Baumwollbauer verdient weniger als 400 US-Dollar im Jahr durch seine Ernte. Zudem mussten Baumwollfarmer im westafrikanischen Mali einen Preissturz von 25 Prozent hinnehmen, für viele bedeutete das das Aus. Bis zum 1. Juli 2006 haben die USA nun Zeit, die WTO-Bestimmungen zu erfüllen. Tun sie das nicht, können Sanktionen und Kompensationsforderungen der betroffenen Länder wie Brasilien, Benin und Tschad die Folge sein.