Deutschland und Spanien: Im Gleichschritt zu EM-Favoriten
21. Juni 2024"La Furia Roja", die rote Furie, schlägt wieder zu, und auch das DFB-Team ist zu alter Stärke zurückgekehrt. Gastgeber Deutschland und Spanien haben nicht nur mit jeweils zwei Siegen in zwei Spielen vorzeitig ihre Tickets für das Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft 2024 gebucht. Beide Mannschaften präsentierten sich bei ihren ersten Auftritten auch in bestechender Form und spielten sich damit in die Rolle der Topfavoriten auf den EM-Titel. Dabei liegen hinter den erfolgsverwöhnten früheren Weltmeister-Nationen lange Durststrecken.
Mit Tiki-Taka zu drei Titeln in vier Jahren
Spanien stellte zwischen 2008 und 2012 das dominierende Fußball-Team und gewann in dieser Zeit drei Titel: erst die Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz, dann die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika und schließlich die EM 2012 in Polen und der Ukraine. Die "Furia Roja" war das erste Nationalteam, dass seinen Europameistertitel verteidigen konnte.
Andreas Iniesta, Xavi, Gerard Pique, Sergio Ramos oder auch Xabi Alonso - er führte als Trainer in der vergangenen Saison den deutschen Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen zu Meisterschaft und Pokalsieg - standen für die damalige "Goldene Generation" der Spanier, die mit ihrem legendären "Tiki-Taka"-Kurzpassspiel den Fußball weltweit dominierten.
Doch der auch bei jedem Topteam irgendwann fällige Generationsumbruch gelang zunächst nicht. Bei der WM 2014 in Brasilien erlebte der Titelverteidiger mit dem Aus nach der Vorrunde ein Debakel. Bei der WM 2018 in Russland und der WM 2022 in Katar scheiterten die Spanier jeweils im Achtelfinale.
Nach WM-Triumph des DFB-Teams zwei Blamagen
Als Spaniens Erfolgsserie 2014 riss, stieß die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in die Lücke. Nach dem "Sommermärchen" bei der Heim-WM 2006 hatte sich das DFB-Team unter Bundestrainer Joachim Löw kontinuierlich weiterentwickelt. Höhepunkt war der WM-Triumph in Brasilien: mit dem historischen 7:1-Halbfinal-Erfolg gegen die Gastgeber und dem 1:0-Finalsieg gegen Argentinien.
Auf dem Zenit traten mit den Verteidigern Philipp Lahm - jetzt Organisationschef der EM in Deutschland - und Per Mertesacker sowie Torjäger Miroslav Klose drei WM-Helden ab. Wie Spanien tat sich auch Deutschland mit dem Generationswechsel schwer und erhielt dafür dieselbe bittere Quittung: Bei der WM 2018 blamierte sich der Titelverteidiger mit dem Vorrunden-K.o. Vier Jahre danach, bei der WM 2022 in Katar, wiederholte sich das Debakel.
Jungstars Yamal und Williams sorgen für Furore
Nun scheinen sowohl Spanien als auch Deutschland rechtzeitig zur EM endgültig die Kurve gekriegt zu haben und auf die Erfolgsspur zurückgekehrt zu sein. Und das mit ähnlichen Mitteln. Zum einen mit frischen Nationaltrainern, die auch vor radikalen Umbrüchen nicht zurückschrecken. In Spanien übernahm Ende 2022 Luis de la Fuente den Posten. Der 63-Jährige hatte 2015 die U19-Junioren und 2019 das U21-Team Spaniens zu EM-Titeln geführt.
Seine Erfolge im Nachwuchsbereich wirken fort: De la Fuente scheut nicht davor zurück, auch sehr junge Spieler ins "kalte Wasser" der Nationalmannschaft zu werfen. Der erst 16 Jahre alte Lamine Yamal, den der Nationalcoach als "Geschenk Gottes" bezeichnet, wurde bei diesem Turnier zum jüngsten EM-Spieler aller Zeiten. Gemeinsam mit dem 21 Jahre alten Nico Williams spielt Yamal die gegnerischen Abwehrreihen schwindelig.
Spaniens Nationalcoach hat aber auch die richtige Mischung zwischen jungen Heißspornen und mit allen Wassern gewaschenen Routiniers gefunden. So sorgen der 32 Jahre alte Daniel Carvajal für Stabilität in der Abwehr und der 31 Jahre alte, abgeklärte Kapitän Alvaro Morata für Torgefahr. Zudem hat de la Fuente das spanische Spiel deutlich variabler gemacht. Das Tiki-Taka wurde um präzise Flanken vor das Tor und Fernschüsse ergänzt. So ist das spanische Team viel schwerer auszurechnen als zuvor.
Musiala und Wirtz wirbeln
Das gilt auch für die deutsche Nationalmannschaft. Sechs verschiedene Spieler erzielten in den ersten beiden EM-Spielen gegen Schottland (5:1) und Ungarn (2:0) die sieben Treffer des DFB-Teams. Lediglich Jamal Musiala traf doppelt. Der 21-Jährige bildet mit dem gleich alten Florian Wirtz ein technisch brillantes Duo, das in den gegnerischen Strafräumen permanent für Unruhe sorgt - ein Pendant zu Yamal und Williams bei den Spaniern.
Ebenso wie die aktuelle "Furia Roja" vereinigt auch das DFB-Team inzwischen in der richtigen Mischung Talent und Erfahrung. Vor allem das Comeback des sechsmaligen Champions-League-Siegers und Weltmeisters von 2014, Toni Kroos, hat dem deutschen Spiel Struktur und Sicherheit gegeben. Dass Kroos nach seinem Rücktritt aus dem DFB-Team im Jahr 2021 noch einmal zurückkehrte, ist Bundestrainer Julian Nagelsmann zu verdanken. Der 36-Jährige hat nach der Ära Joachim Löw und dem kurzen, erfolglosen Intermezzo Hansi Flicks als Nationalcoach frischen Wind in die Mannschaft gebracht. Wie de la Fuente bei den Spaniern scheut sich auch Nagelsmann nicht vor radikalen Schnitten. Und er hat die Fähigkeit, jenen Teamgeist zu entfachen, ohne den der Triumph bei einem großen Fußballturnier nicht möglich ist.
Sollte sich das DFB-Team wie die Spanier den Gruppensieg sichern und würden beide Teams auch das Achtelfinale überstehen, käme es im Viertelfinale am 5. Juli in Stuttgart zum direkten Duell. Wenn beide Mannschaften bis dahin ihr Spielniveau halten, wäre es so etwas wie ein vorgezogenes Finale. An dessen Ende würden sich die zuletzt so parallelen Wege Deutschlands und Spaniens wieder trennen. Denn die Europameisterschaft kann nur einer gewinnen.