Deutschland sucht Schulterschluss mit Südostasien
8. Oktober 2020Mit Chinas wachsender wirtschaftlicher und militärischer Stärke verändert sich die geopolitische Machtbalance weltweit. Nirgendwo wird das deutlicher als in Südostasien, wo China und die USA um Einfluss ringen. Diese Rivalität weckt in der Region böse Erinnerungen, denn der Kalte Krieg hatte verbrannte Erde in Südostasien hinterlassen. Im 20-jährigen Vietnamkrieg (1955-1975) kämpfte die antikommunistische Regierung in Südvietnam mit Unterstützung der USA gegen den kommunistischen Norden und verlor. Bis heute wird Vietnam von der Kommunistischen Partei Vietnams regiert.
Um die Länder Südostasiens wirtschaftlich an sich zu binden, startet China die "Belt and Road Initiative" (BRI), auch als Seidenstraßen-Initiative bekannt. Zwar gibt es weder aus China noch aus einem anderen Land Südostasiens offiziellen Zahlen zum Volumen der BRI-Projekte, aber die Investitionen für angekündigte bzw. teilweise bereits im Bau befindliche Bahnstrecken, Kraftwerke und Tiefseehäfen gehen in die Milliarden.
Wettrüsten
Die Dominanz Chinas schlägt sich auch militärisch nieder durch ein massives Aufrüstungs- und Modernisierungsprogramm der Volksbefreiungsarmee und ein aggressives Auftreten im Südchinesischen Meer. Laut dem Stockholmer internationalen Friedensforschungsinstitut (SIPRI) betrugen im Jahr 2019 die Militärausgaben der USA 732 Milliarden US-Dollar, die von China 261 Milliarden und die der zehn Länder des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN zusammen 39 Milliarden US-Dollar.
In umstrittenen Gebieten des Südchinesischen Meeres baut China künstliche Inseln für die militärische Nutzung. Sie hält Anrainerstaaten wie Vietnam und Malaysia auch von der Ausbeutung dringend benötigter Öl- und Gasvorkommen ab.
"Dialog anstatt Rivalität"
Um Chinas wachsendem Einfluss zu begegnen und die Position der USA im Pazifik zu stärken, verkündete die US-Regierung von Präsident Barack Obama 2012 die Hinwendung nach Asien ("Pivot to Asia"). Im November 2017 legt die Trump-Administration nach und stellte die Strategie "Free and Open Indo-Pacific" (FOIP) vor.
Nach Einschätzung von Gudrun Wacker und Felix Heiduk von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin ist schon der Begriff "Indo-Pazifik" politisch und damit "weder beschreibend noch wertneutral": "Das Konzept des 'Free and Open Indo-Pacific' der Trump-Administration zielt auf die Eindämmung Chinas ab und ist somit Ausdruck der wachsenden strategischen Rivalität zwischen Washington und Peking."
Doch kein Land Südostasiens möchte in diese Rivalität hineingezogen werden, obwohl auch die ASEAN die Begrifflichkeit der USA übernommen hat. Die ASEAN sieht in ihrem Positionspapier "ASEAN-Outlook on the Indo-Pacific" vom Juni 2019 die Region als die "des Dialogs und der Kooperation anstatt der Rivalität". Das sich vertiefende Misstrauen müsste überwunden werden. Die bereits etablierten multilateralen Foren wie der Ostasien-Gipfel und das ASEAN-Regionalforum seien die passenden Plattformen des Austauschs, so das Papier.
"Natürliche Verbündete"
Seit Langem wird der Ruf der ASEAN laut, dass sich die EU in Südostasien mehr engagieren müsse. Pham Binh Minh, Außenminister Vietnams, das 2020 den Vorsitz der ASEAN innehat, äußerte bei einem Telefongespräch mit Bundesaußenminister Heiko Maas Ende September den Wunsch, dass Deutschland als Schlüsselland der EU die Zusammenarbeit mit der Region und der ASEAN verstärken solle. Deutschland führt derzeit die EU-Ratspräsidentschaft bis Ende 2020.
Anfang September hat die Bundesregierung - als zweites europäisches Land nach Frankreich - das Strategiepapier "Leitlinien zum Indo-Pazifik" veröffentlicht. "Mehr als irgendwo sonst entscheidet sich die Ausgestaltung der internationalen Ordnung von morgen im Indo-Pazifik", schreibt darin Außenminister Maas.
Die Verfolgung eigener Interessen in Abstimmung mit Rücksicht auf andere Länder ist nach Überzeugung der Bundesregierung der Weg in die Zukunft. Die ASEAN sei in diesem Zusammenhang der "natürliche Partner" für die EU. Auch die deutschen Auslandsvertretungen in Südostasien rühren Werbetrommel für die neuen Leitlinien. Der Indo-Pazifik sei zur "Priorität" der deutschen Außenpolitik geworden, erklärten die deutschen Botschafter in Singapur und Jakarta in englischsprachigen Leitmedien der Region mit Gastbeiträgen.
Schwierige Partnerschaft
"Deutschland und ASEAN wollen beide diversifizieren und die Abhängigkeit von China, teils auch die von den USA, verringern und sehen das als strategische Priorität", sagt SWP-Politologe Felix Heiduk im Interview mit der DW. Das gelte auch für die EU.
Bei Handel und Wirtschaftsfragen seien die Verflechtungen zwischen den beiden Staatenbünden bereits stark ausgeprägt. Die EU hat bereits mit Singapur und Vietnam, beide ASEAN-Mitglieder, ein Freihandelsabkommen unterzeichnet. An einem ASEAN-EU-Abkommen wird gearbeitet. Ein Abschluss ist allerdings noch nicht in Sicht.
Zwar wünschten sich Deutschland und die EU eine strategische Partnerschaft mit der ASEAN, sagt Heiduk. Die sei aber bisher an diversen Konflikten gescheitert. So zweifele die EU an der Nachhaltigkeit vom Palmöl, einem der größten Wirtschaftsfaktoren in Malaysia und Indonesien. Kritisiert wird unter anderem, dass für diesen natürlichen Rohstoff Regenwald abgeholzt und damit die globale Klimakrise verschärft wird. Umwelt und Nachhaltigkeit nehmen auch in den deutschen Leitlinien einen zentralen Platz ein. "Für einen Kompromiss müssen beide Seiten aufeinander zugehen", so Heiduk.
Ernsthaftes Engagement
"Wenn man eine größere Rolle spielen und neue Partner gewinnen will, muss man auch die entsprechenden Leistungen bringen", fügt Heiduk hinzu. Um wirklich zu punkten, so Heiduk, würden sich Deutschland und die EU für "harte maritime Sicherheit" einsetzen müssen, denn in der Region herrsche ein "traditionelles Verständnis von Sicherheit" vor.
Das bedeutet konkret: Fregatten und U-Boote der europäischen Streitkräfte müssten in die Region geschickt werden. Abgesehen von Frankreich, in dessen Überseeterritorien im Indo-Pazifik wie Réunion und Französisch-Polynesien etwa 1,6 Millionen Staatsbürger leben und das hin und wieder Kriegsschiffe in die Region schickt, sieht Heiduk aber wenig Anzeichen für ein darüber hinausgehendes europäisches Engagement, auch wenn das Bundesverteidigungsministerium es immer wieder mal lanciert.
Auch müssten hochrangige Regierungsvertreter Südostasien häufiger besuchen, fordert Politologe Heiduk. "Sonst wird Deutschland nicht ernst genommen". In ihren 15 Regierungsjahren war Bundeskanzlerin Angela Merkel 12 Mal in China. Ihre Reisen nach Südostasien kann man an einer Hand abzählen (2011: Singapur und Vietnam; 2012: Indonesien).
Chinas staatlich gelenkte Presse zeigt sich vom Vorstoß Deutschlands in Südostasien wenig beeindruckt. "Weil es Deutschland an 'Hard power' und dem Willen zur machtvollen Intervention in Indo-Pazifik fehlt, handelt es sich nur um eine symbolische Unterstützung für die USA", kommentierte die nationalistische Zeitung "Global Times" in Peking.