Chinas Schulden-Diplomatie - ein Mythos?
27. August 2020Sri Lanka könne sich "mit Zahlungsverpflichtungen konfrontiert sehen, die die (von China) finanzierten Projekte nicht mehr erwirtschaften. Mit der zwangsweisen Abtretung des mit chinesischen Geldern gebauten Hafens Hambantota für 99 Jahre an China ist dieser Katastrophenfall inzwischen eingetreten." So die NGO "Erlassjahr", die sich für die Entschuldung von Schwellen- und Entwicklungsländern einsetzt, im Juni 2019.
In einem Artikel der DW vom Juli 2019 über chinesische Investitionen in Bangladesch heißt es: "Kritiker verweisen auf die Erfahrungen von Sri Lanka. Dort musste die Regierung den Hafen Hambantota an China für 99 Jahre verpachten, nachdem es seine Kredite nicht bedienen konnte."
"Schuldenfallen-Diplomatie Chinas"
Zwei Beispiele von vielen aus Presse und Zivilgesellschaft für die These von der chinesischen "Schuldenfallen-Diplomatie", für die immer wieder der Hafen Hambantota in Sri Lanka angeführt wird. Der Begriff der "Schuldenfallen-Diplomatie" wurde im Zusammenhang mit der "Belt and Road"-Initiative (BRI) erstmalig 2017 vom indischen Experten Brahma Chellaney des in Delhi ansässigen "Center for Policy Research" geprägt.
Peking geht diesen und ähnlichen Analysen zufolge dabei so vor: Im Rahmen der BRI vergibt China Kredite an Länder mit schwachen Volkswirtschaften, die diese anschließend nicht bedienen können, womit sie sich in wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von Peking begeben. Außerdem benutze Peking diesen Hebel, um sich im Gegenzug für Schuldenerleichterungen Anlagevermögen in diesen Ländern unter den Nagel zu reißen.
(Falsches) Paradebeispiel Hambantota auf Sri Lanka
Inzwischen wird die These von der chinesischen "Schuldenfallen-Diplomatie" von verschiedenen Experten angezweifelt, insbesondere tauge der Fall Hambantota überhaupt nicht als Beispiel. In jüngster Zeit besonders detailliert dargestellt von den Politikwissenschaftlern Lee Jones von der Queen Mary Universität in London und Shahar Hameiri der Universität Queensland.
Für das von der singhalesischen Politikerdynastie Rajapaksa vor allem aus wahltaktischen Gründen vorangetriebene Hafen-Projekt wurde 2007 grünes Licht gegeben. Der Wunsch nach chinesischer Finanzierung stieß unter anderem beim staatseigenen Unternehmen "China Harbour Engineering Group" (CHEG) auf starkes Interesse. Der Hafen erwies sich allerdings als verlustbringende Investition, die Einnahmen überstiegen kaum die Unterhaltungskosten. Außerdem geriet Sri Lanka 2016 in eine Schuldenkrise.
Die Autoren der Studie betonen allerdings, dass Verbindlichkeiten des Staates gegenüber China lediglich neun Prozent der Gesamtschulden betrugen, und dass die Bedienung der Kredits der chinesischen Exim-Bank in Höhe von 1,3 Mrd. US-Dollar für das Hambantota-Projekt im Krisenjahr 2016 lediglich 3,3 Prozent des gesamten Schuldendienstes ausmachten. Sri Lanka war vor allem wegen seiner Schulden bei westlichen Gebern in der Klemme. In dieser Situation wandte Sri Lanka sich hilfesuchend an Peking, und so kam der Deal zustande, der nichts mit einer Erpressung durch Peking zu tun hatte: Die Verpachtung des Hafens Hambantota über 99 Jahre an den chinesischen Hafenbetreiber China Merchants gegen Zahlung von etwas über einer Milliarde US-Dollar. Die Schulden gegenüber China wurden Sri Lanka im Übrigen nicht erlassen.
Chinesische Strategie hinter BRI eine Chimäre?
Für die Autoren der Studie ist somit die sogenannte chinesischen "Schuldenfallen-Diplomatie" ein "Mythos", was sie auch am Beispiel Malaysias belegen. Umstrittene Projekte mit chinesischer Finanzierung wie der "East Coast Rail Link" beruhten, genauso wie das Hambantota-Projekt, auf den "Bemühungen der Regierungen der Empfängerländer, chinesische Investitionen und Kredite zu gewinnen, mit dem Ziel, ihre innenpolitischen Vorhaben voranzubringen. Dabei geht es um persönliche Gier ebenso wie um gesellschaftliche Bedürfnisse ("greed and need")".
Allerdings gehen die Autoren noch weiter und verneinen, dass es sich bei der BRI insgesamt um eine zentral durchdachte und durchgesetzte Strategie Chinas zur Erlangung des Status einer Weltmacht handelt: "Politische Entscheidungsträger und zivilgesellschaftliche Organisationen im Westen und in den Empfängerländern sollten aufhören, auf die BRI zu reagieren, als ob es sich dabei um eine gut geplante umfassende Strategie handelte, und sie als das anzuerkennen, was sie ist: eine oft fragmentierte, chaotische und schlecht verwaltete Reihe von Entwicklungsprojekten."
"Klare Agenda der globalen Einflussnahme"
Die entgegengesetzte Sicht vertrat etwa John Bolton, ehemaliger Sicherheitsberater im Weißen Haus, der im Dezember 2018 erklärte, dass die BRI Teil von Chinas ultimativem Ziel, der Weltdominanz, sei.
Etwas differenzierter, aber in gleicher Stoßrichtung, stellte der aus China berichtende deutsche Fernsehjournalist Thomas Reichard unlängst gegenüber dem "Mercator Institute for China Studies" (Merics) fest: "Das neue China unter Xi Jinping ist keines mehr, das sich auf sich selbst beschränkt, sondern das machtvoll ausgreift und seine politische und wirtschaftliche Macht überall spürbar macht. Es verfolgt nicht eine Win-Win-Politik, wie die Propaganda behauptet, sondern denkt in langen Zügen und versucht oft rücksichtslos, seine Ziele durchzusetzen."
Zwar sei die BRI seit 2018 auch aufgrund wirtschaftlicher Probleme in den Empfängerländern auf der politischen Agenda Pekings etwas nach hinten gerückt. Aber sie bleibe "wesentlicher Teil der außenpolitischen Agenda und Instrument zur Ausbreitung des chinesischen Einflusses in der Welt", sagt China-Kenner Reichard.
Bei Xi Jinpings neuer Seidenstraße handelt es sich nach Einschätzung der meisten Experten in der Tat nicht um eine generalstabsmäßig geplante und exekutierte Strategie zur Gewinnung globaler Dominanz. Aber die Fähigkeit und Bereitwilligkeit Chinas, den großen Entwicklungsbedarf vieler Länder finanziell zu bedienen, verbindet sich quasi automatisch mit den vorherrschenden geopolitischen Bedingungen zu einem strategischen Gesamtbild. Das allerdings Kratzer aufweisen kann.
Beispiele Pakistan …
So beispielsweise in Pakistan, wo der Erfolg des als Vorzeigeprojekts der BRI geltende Chinesisch-Pakistanische Wirtschaftskorridor (CPEC) noch nicht ausgemacht ist. "Herrschender chinesischer Lehre zufolge erzeugen staatlich geförderte Investitionen in die Infrastruktur wirtschaftliches Wachstum, soziale Stabilität und ein verbessertes Sicherheitsumfeld. Als Gegengewicht zu Indien in Südasien und als potentieller Ausbildungsplatz für militante Uiguren aus Xinjiang ist die Stabilität (Pakistans) für Peking ein Haupanliegen", schreibt Merics in einer aktuellen Studie. "Aus diesen Gründen wurde der CPEC als eine notwendige strategische Entscheidung angesehen."
Gleichzeitig bedrohen Bürokratie, lokalpolitische Widerstände und Pakistans chronische Wirtschaftsschwäche den Zeitplan des Projekts. Eigentlich sollte Pakistan dank CPEC bis 2030 zu einer wohlhabenden regionalen Handelsdrehscheibe werden. Aber noch vergangenes Jahr musste Premier Khan wie seine Amtsvorgänger um Finanzhilfe durch den Internationalen Währungsfonds bitten. "Der CPEC ist eine ehrgeizige Wette", schreibt Merics, "welche zu den wirtschaftlichen Nöten Pakistans beiträgt." Durch die Corona-Pandemie droht Pakistan eine Rezession, hinzu kommen die immensen Kosten für überschüssige Kraftwerkskapazitäten. Khan musste China bereits um erleichterte Konditionen bei den Stromgeschäften bitten.
… und Bangladesch
Ebenso in Bangladesch: Auch dort hält Chinas massives finanzielles Engagement für das Land "Chancen und Risiken" bereit, wie Zahid Hussain vom Büro der Weltbank in Dhaka der DW sagte. Die Gefahr einer Schuldenfalle sieht er "derzeit" nicht. In Bangladesch gilt China seit einem Jahrzehnt als eine "Quasi-Supermacht mit tiefen Taschen", wird der ehemalige bangladeschische Diplomat Farooq Sobhan in einem aktuellen Merics-Report zitiert. Ohne chinesische Investitionen sieht sich das Land nicht in der Lage, seine massiven Infrastruktur-Defizite zu schließen. "Herkömmliche Finanzierungsquellen sind für ein Schwellenland wie Bangladesch nicht passend", sagte Ahsan S. Mansur vom Policy Research Institute in Dhaka der DW.