"Deutschland könnte für Birma mehr tun"
21. Dezember 2010DW-WORLD.DE: Frau Suu Kyi, wie sieht Ihr Tagesablauf derzeit aus?
AUNG SAN SUU KYI: Sehr hektisch. Wenn ich auf den heutigen Tag zurückschaue, hatte ich bereits morgens zwei, drei Treffen, zwei nachmittags. Und ich bin noch lange nicht fertig.
Welcher Art sind diese Treffen?
Ich treffe mich mit Diplomaten, mit Vertretern politischer Parteien, mit Einzelpersonen, und wir haben die Büro-Meetings unserer Partei NLD, der Nationalen Liga für Demokratie. Außerdem telefoniere ich mit einer Menge Leute. Dann gibt es ja auch Journalisten und Korrespondenten, die es nach Birma geschafft haben. Mit denen muss ich mich auch treffen.
Welche Veränderung in Rangun ist Ihnen nach Ihrer Entlassung am deutlichsten aufgefallen?
Die Anzahl der Mobiltelefone! In dem Moment, in dem ich freigelassen wurde, sah ich all diese Menschen mit ihren Handys, die sie als Fotoapparate benutzten.
Und wie sieht es mit der birmanischen Gesellschaft aus? Haben Sie weitere Veränderungen bemerkt?
Die Preise sind in astronomische Höhen geklettert, und die Menschen sind darüber sehr besorgt. Jeder redet über die Preissteigerungen. Des weiteren hat sich die Einstellung der jungen Leute zum Besseren entwickelt. Sie wollen teilhaben am politischen Prozess, sie sind viel offener und engagierter als vor sieben Jahren.
Bei Ihrer Freilassung stach ins Auge, wie viele junge Leute auftauchten, um Sie zu begrüßen. Was erwarten Sie von den jungen Birmanern?
Es liegt in ihren Händen, zu verstehen, dass sie es sind, die den Wandel in unser Land bringen, dass das nicht von mir abhängt oder von der NLD oder von sonst jemandem. Wir tun unser bestes, aber letztendlich wünsche ich mir, dass sie das Selbstvertrauen haben, den Wandel selbst herbeizuführen.
Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Partei, der NLD?
Wir werden als politische Kraft bestehen, denn wir haben die volle Unterstützung des Volkes. Natürlich versucht die Staatsmacht uns aus den Wahlregistern fernzuhalten, ich kämpfe dagegen vor Gericht, aber das ist eine rechtliche Frage. Die politische Realität aber ist, dass wir das Vertrauen und die Unterstützung der Menschen haben. Und das wird uns als wichtigste Opposition im heutigen Birma bestehen lassen.
Haben Sie seit Ihrer Freilassung versucht, mit der Regierung in Kontakt zu treten?
Nein, noch nicht. Ich sende natürlich indirekte Nachrichten durch jede Rede und jedes Interview - das Signal, dass ich dialogbereit bin. Ich glaube, wir sollten über unsere Differenzen diskutieren und überein kommen, dass beide Seiten kompromissbereit sind.
Aber warum haben Sie noch keinen konkreten Schritt unternommen, diesen Dialog in Gang zu setzen?
Wir warten auf den richtigen Zeitpunkt, der hoffentlich nicht weit entfernt ist.
Birma ist ein Land mit vielen ethnischen Minderheiten. Deren Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft war in den vergangenen Jahrzehnten recht angespannt. Wie wollen Sie diese Gruppen erreichen?
Wir reichen diesen Gruppen seit vielen Jahren die Hand, und ich kann da einige Erfolge verbuchen. Wir haben unter ihnen nicht nur eine Reihe starker Bündnispartner, die ebenfalls die Wahlen von 1990 ablehnten. Wir haben zudem die Unterstützung anderer ethnischer Gruppen, einschließlich der Waffenstillstands-Gruppen in den Grenzgebieten, die sehr interessiert sind an dem was wir tun – nämlich den Geist einer wahren Union neu zu beleben.
In der vergangenen Woche führte die Verleihung des Nobelpreises an den chinesischen Demokratie-Aktivisten Liu Xiaobo zu einer weltweiten Kontroverse. Als Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 1991 - wie fiel Ihre Reaktion aus?
Ich habe großen Respekt vor dem norwegischen Nobelkomitee. Ich denke, es muss gewichtige Gründe gehabt haben, ihm den Preis in diesem Jahr zu verleihen. Ich persönlich weiß allerdings wenig über Liu Xiaobo, da ich eben sieben Jahre unter Hausarrest stand. Ich weiß nur, was ich im Radio gehört habe.
In Europa fragen sich viele, wie sie Birma unterstützen könnten. Was würden Sie Ihnen raten?
Zunächst wäre es hilfreich, wenn alle Staaten in Europa mit einer Stimme sprechen würden. Selbst in der EU gibt es verschiedene Haltungen und Stimmen, das schwächt die birmanische Opposition. Eine große Hilfe wäre es, wenn alle europäischen Staaten gezielte Schritte von Birma verlangen würden, die Freilassung der politischen Gefangenen, die Einbindung in den politischen Prozess, besonders der NLD und Verhandlungen.
Denken Sie an bestimmte europäische Länder, von denen Sie sich mehr Aktivität wünschen würden?
Wo ich gerade mit Ihnen in Deutschland spreche – ich würde mir wünschen, Deutschland wäre aktiver.
Was sind Ihre Pläne für die nächsten Wochen?
Der Mensch, den ich derzeit am meisten fürchte, ist der Mann mit meinem Terminkalender. Die nächsten Wochen bin ich mit ihm noch nicht durchgegangen…
Das Gespräch führte Thomas Bärthlein
Redaktion: Sven Töniges/Michael Wehling