Deutschland: für die Ukraine nur vier statt acht Milliarden
20. Juli 2024An Beteuerungen, der Ukraine im Krieg mit Russland auch weiterhin zur Seite zu stehen, mangelt es in der deutschen Regierung nicht. Mitte April dieses Jahres etwa sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin nach einer Videokonferenz unter anderem mit US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: "Wir spüren unendliche Trauer über die Opfer und - auch das muss gesagt werden - große Wut. Große Wut auf den russischen Präsidenten und diesen sinnlosen Krieg." Und weiter: "Klar ist: Wir alle werden die Ukraine weiter unterstützen, finanziell und auch militärisch."
Aber im Entwurf für den Haushalt 2025, den die Regierung jetzt beschlossen hat, sind die Gelder für die Ukraine erheblich gekürzt worden, von bislang acht Milliarden Euro auf nun vier Milliarden. Mitte der Woche sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP): "Die Finanzierung der Ukraine ist dank der europäischen Instrumente und der G7-Kredite auf absehbare Zeit gesichert."
Vier Milliarden Euro Zinsen aus eingefrorenen Konten
Was er damit meinte: Die Zinsen von im Ausland eingefrorenen russischen Konten sollen sich, so berichtet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", auf rund vier Milliarden Euro belaufen. "Daher ist insbesondere davon auszugehen, dass es nicht zu einer vollständigen Inanspruchnahme der für Ertüchtigung vorgesehenen Mittel kommt", heißt es dazu in den Haushaltspapieren der Koalition. Außerdem plant die Gruppe der G7, der sieben führenden Wirtschaftsmächte der Welt, einen Kredit in Höhe von 50 Milliarden Dollar für das bedrängte Land.
CDU-Politiker Kiesewetter nennt die Kürzungen "skandalös"
Um den Haushalt für 2025 hatten die Spitzenvertreter der deutschen Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP lange gerungen. Er stand unter dem Eindruck knapper Kassen und der Herausforderung, die Vorgaben der deutschen Schuldenbremse einzuhalten. Kürzungen gab es deshalb in vielen Bereichen.
Die Halbierung der deutschen Gelder für die Ukraine nennt der Außenexperte der CDU-Bundestagsfraktion, Roderich Kiesewetter, dennoch "skandalös".
Er sagte der DW: "Es ist überhaupt kein Zeichen von strategischer Vorausschau oder europäischer Führungsübernahme, wenn man sich auf EU-Hilfen, die Leistung anderer Länder oder Zinsen aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten abstützt, die ohnehin der Ukraine für den Wiederaufbau de facto zustehen." Deutschland stoße die Ukraine damit vor den Kopf und lasse auch andere europäische Länder im Stich, die pro Kopf wesentlich mehr leisteten als Deutschland. Und Anton Hofreiter, Bundestagsabgeordneter der Grünen, sagt der DW: "Wenn es um die Sicherheit Europas geht, muss auf Deutschland Verlass sein. Es bleibt noch abzuwarten, inwieweit die Zinsgewinne der eingefrorenen russischen Vermögenswerte genutzt werden können. Jetzt wird es darauf ankommen, dass der Bundestag sein Haushaltsrecht nutzt und sicherstellt, dass die Ukrainehilfen stehen." Denn der Bundestag muss dem Haushalt noch zustimmen, Änderungen sind also noch möglich.
Pro-Kopf Unterstützung: Deutschland liegt zurück
Tatsächlich liegt Deutschland zwar nach absoluten Zahlen weltweit auf Platz zwei hinter den USA, wenn es um die finanzielle Unterstützung für die Ukraine geht. Die Militärhilfen etwa beliefen sich nach einer Tabelle des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (ifw-kiel) auf 42,2 Milliarden Euro aus den USA und auf 17,1 Milliarden aus Deutschland.
Gemessen wurden hier Gelder, die zwischen Januar 2022 und Januar 2024 gezahlt wurden. Aber ein anderes Bild ergibt sich, wenn man die Geldzusagen an der Zahl der Einwohner misst: Dann kommen etwa aus Dänemark von jedem Bürger 1917 Euro für die Ukraine, aus Norwegen 1423 Euro und aus Deutschland: 494 Euro.
Alle Gelder der eingefrorenen Konten für die Ukraine?
Roderich Kiesewetter hält die Kürzungen auch deshalb für fatal, weil Deutschland ohnehin viel stärker in die Verantwortung genommen werden könnte, sollte in den USA der republikanische Kandidat Donald Trump Anfang November erneut zum Präsidenten gewählt werden. Dann könnte er die US-Hilfen für die Ukraine drastisch kürzen oder sogar ganz beenden.
Kiesewetter plädiert dafür, schon jetzt bei den zur Verfügung stehenden Instrumenten viel weiter zu gehen: "Ohnehin bin ich ein Unterstützer davon, der Ukraine – unabhängig von der Unterstützung der Nationalstaaten – die gesamten eingefrorenen russischen Gelder zur Verfügung zu stellen, nicht bloß die Zinsen. Rechtlich ist auch dies möglich, nur fehlt der politische Wille auch in Deutschland."
Im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Frühjahr 2022 wurden weltweit Vermögenswerte der russischen Zentralbank in Höhe von 260 Milliarden Euro eingefroren, mehr als zwei Drittel davon - rund 210 Milliarden Euro - in der EU.
Deutschland hat eine Million Geflüchtete aufgenommen
Zu den Leistungen Deutschlands für die Ukraine zählt aber auch die Aufnahme von Geflüchteten aus dem Kriegsgebiet. Seit Ausbruch des Krieges hat die Bundesrepublik rund 1,1 Millionen Ukrainer aufgenommen, in absoluten Zahlen mehr als jedes andere Land in Europa.
In Polen sind es rund 956.000. Italien hat rund 172.500 Ukrainer aufgenommen, Frankreich etwa 68.800. Und anders als viele Menschen aus anderen Weltregionen erhalten die Menschen aus der Ukraine - viele von ihnen sind Mütter mit ihren Kindern - sofort das Bürgergeld, müssen also nicht auf eine Anerkennung im Asylverfahren warten. Ein alleinstehender Bürgergeld-Bezieher erhält seit diesem Jahr monatlich 563 Euro. Hinzu kommen unter anderem Zuschüsse für Miete und Heizung.