Löwenzahn-Reifen oder Impfstoff?
16. November 2021Am Mittwoch-Abend (17.11.2021) wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gewinner-Team des diesjährigen Deutschen Zukunftspreises bekanntgeben. Wie immer sind drei Teams mit Erfindungen nominiert worden, die dem Innovations-Standort Deutschland einen besonderen Impuls gegeben haben – mit marktreifen zukunftsfähigen Hightech-Produkten.
mRNA-Technologie: Von der Krebsforschung zum Corona-Impfstoff
Anders als in früheren Jahren, wo viele der Erfinder höchsten in Fachkreisen bekannt waren, ist diesmal ein Team im Rennen, das es im Laufe des Jahres zu Weltruhm gebracht hat: Das Forscherehepaar Özlem Türeci und Uhur Sahin, gemeinsam mit dem ungarischen Biochemikerin Katalin Karikó und dem Mediziner Christoph Huber.
Das Team hat 2020 den ersten und weltweit erfolgreichsten Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt, zur Marktreife gebracht und allein Im Jahr 2021 Lieferverträge über 2,5 Milliarden Impfdosen abgeschlossen, von denen deutlich mehr als die Hälfte bereits verimpft wurden. Vor allem aber, haben die vier Forschenden dazu beigetragen, dass eine medizinische Technologie erwachsen geworden ist, die noch ein riesiges Entwicklungspotential bereithält.
Katalin Karikó hatte bereits in den 1980er Jahren die Vorarbeit zu dem jetzigen Erfolg der neuartigen Impfungen geleistet, indem sie erkannte, dass mit künstlich hergestellter Boten-RNA (messenger RNA oder mRNA) Krankheiten individuell und gezielt behandelt werden können. Sahin, Türeci und Huber entwickelten dieses Prinzip mit ihrer Forschung weiter und erkannten, dass die mRNA auch dazu genutzt werden kann, das Immunsystem gegen Krankheiten wie Krebs oder gegen Erreger wie Viren in Stellung zu bringen.
Der jetzige Erfolg des Coronavirus-Impfstoffes Comirnaty markiert höchstwahrscheinlich erst den Beginn der klinischen Nutzung der mRNA-Technologie gegen unzählige weitere Krankheiten.
Quantenzählende Computertomographen
Auch ein weiteres nominiertes Team kommt aus dem Bereich der Medizin, allerdings aus der Bildgebung: Der Tübinger Physikprofessor Thomas Flohr, sein Fachkollege Björn Kreisler, von Siemens Healthineers in Forchheim und dessen Arbeitskollege und Humanbiologe Stefan Ulzheimer haben den Computertomographen deutlich verbessert.
Computertomographen (CT), volkstümlich auch gerne als "die Röhre" bezeichnet, sind dreidimensionale Röntgengeräte. Die Strahlungsquelle rotiert bei ihnen rasch um den Körper der Patienten. Weil der Körper einen Teil der Strahlung schluckt, können die Strahlungsdetektoren auf der anderen Seite ein Bild erzeugen: Unterschiedlich dichte Organe, Knochen und Fasern zeichnen sich deutlich ab.
Aus unzähligen Bildern errechnet der Computer ein komplexes dreidimensionales Modell des Innenlebens des Menschen. Bei herkömmlichen CTs verwandelt der Detektor das aufgefangene Röntgenlicht zunächst in sichtbares Licht, und wandelt dieses in einem zweiten Schritt in elektrische Signale.
Durch die doppelte Signalwandlung gehen allerdings wertvolle Informationen über die Energieverteilung des Röntgenlichts verloren. Dieses Licht trifft in Form einzelner Quanten auf den Detektor.
Der quantenzählende Computertomograph erfasst die einzelnen Röntgenquanten ohne Umweg und wandelt diese in ein digitales Signal um, das der Computer dann direkt verarbeitet.
Der Schlüssel zum Erfolg war der Einsatz von kristallinem Cadmium-Tellurid in den Detektoren. Das Ergebnis: Detailreichere CT-Aufnahmen, auf denen Ärzte die verschiedenen Organgewebe viel besser voneinander unterscheiden können.
Seit diesem Jahr sind die ersten marktreifen CT-Geräte bereits im klinischen Einsatz. Und Siemens bereitet sich bereits auf eine Massenfertigung von Tausenden Maschinen in diesem Jahrzehnt vor. Die Technologie wird also voraussichtlich zum Industriestandard zukünftiger CT-Geräte werden.
Autoreifen aus Löwenzahn
Fahrzeugreifen sind heutzutage wahre Hightech-Produkte, die hohe physikalische Belastungen aushalten und dabei eine gute Haftung erzielen müssen. Bisher ging das nur mit Naturkautschuk. Kein anderes Material wie etwa erdölbasiertes Gummi konnte da bisher mithalten.
Doch nun haben die Materialforscherin Carla Recker von Continental in Hannover, der Biologe Dirk Prüfer von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Biochemiker Christian Schulze Gronover vom dortigen Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie eine weitere geeignete Nutzpflanze entdeckt: Den Russischen Löwenzahn. Die drei konnten zeigen, dass Produkte aus dieser Pflanze denen aus Kautschuk durchaus ebenbürtig sind.
Jährlich werden 14 Millionen Tonnen Naturkautschuk weltweit durch das Anzapfen von Gummibäumen geerntet. Der Bedarf wächst ständig und schon bald könnte das wertvolle Naturmaterial knapp werden. Zudem werden Gummibäume in Monokulturen meist in Süd- und Südostasien angebaut. Wertvolle Naturräume gehen so verloren.
Die Münsteraner Biologen optimierten den Löwenzahn durch Züchtung so, dass er in seinen Wurzeln einen Kautschukanteil von etwa zehn Prozent erreicht. Und sie perfektionierten Anbaumethoden, entwickelten eine geeignete Erntemaschine und ein Extraktionsverfahren, um den Kautschuk zu gewinnen. Die Reifenexperten bei Continental schufen daraus Reifen-Prototypen, die zum Teil bessere Eigenschaften hatten als herkömmliche Reifen.
2019 brauchte Continental einen Fahrradreifen aus Löwenzahnkautschuk auf den Markt. Schon in den nächsten Jahren möchte das Unternehmen auch PKW- und LKW-Reifen zur Marktreife bringen.