Deutsche Wirtschaft spricht im Kreml Klartext
2. November 2018Das war schon mutig für einen Vertreter der deutschen Wirtschaft. Wolfgang Büchele, Chef einer hochrangigen Delegation von deutschen Managern, besucht Präsident Wladimir Putin im Kreml (Artikelbild). Vor laufenden TV-Kameras werden die Eingangsstatements verlesen. Der Präsident ist voll des Lobes für den zweitwichtigsten russischen Handelspartner (Nummer Eins ist China), verspricht weitere Erleichterungen für die deutsche Wirtschaft, wirbt um weitere Investitionen, lächelt.
Dann ergreift Wolfgang Büchele das Wort, mit ernstem Gesicht. Er erinnert an die politischen Probleme, die es zu lösen gelte, damit sich die wirtschaftlichen Beziehungen weiter verbessern können. Das Wort Ukraine nimmt er nicht in den Mund. Dennoch wissen alle im Raum, was gemeint ist. Erst wenn sich Russlands Beziehungen zur Ukraine normalisieren, wird der Westen seine Sanktionen lockern. Davon kann derzeit nicht die Rede sein, wie Kanzlerin Merkel bei ihrem gleichzeitig stattfindenden Kiew-Besuch deutlich gemacht hat: Die Sanktionen bleiben, sagte sie.
Derweil könnte es noch schlimmer kommen. Die USA drohen, ihre Sanktionen unmittelbar nach den Kongresswahlen, die in der kommenden Woche stattfinden, weiter zu verschärfen - wegen des Versuchs Russlands, sich in die US-Wahlen einzumischen, wegen der Skripal-Affäre, wegen Syrien, wegen der Ukraine. Aus westlicher Sicht ist das "Sündenregister" der Russen lang. Schärfere US-Sanktionen hätten ernste Konsequenzen auch für deutsche Unternehmen. Sie könnten vor die Wahl gestellt werden, sich entweder in Russland oder in den USA zu engagieren. Dabei würde Moskau den Kürzeren ziehen.
Überzeugungsversuche im Kreml
Hinter verschlossenen Türen hatten die deutschen Wirtschaftsvertreter versucht, Putin den Ernst der Lage klar zu machen. Darunter Spitzenmanager von Siemens, dem Handelsriesen Metro, Volkswagen oder aus der Chemiebranche. Wegen der drohenden US-Sanktionen könnten langfristige Investitionen aufgeschoben werden. Volkswagen stehe zwar zum "russischen Markt", heißt es offiziell. Der Konzern will eine halbe Milliarde Euro in den Bau einer Motorenfabrik in der Nähe von Moskau investieren. Doch überdenkt man offenbar die Kooperation mit dem Fahrzeugbauer GAZ in Nischnij Nowgorod. GAZ gehört mehrheitlich dem Oligarchen Oleg Deripaska, dem eine besondere Nähe zu Präsident Putin nachgesagt wird. Deripaska steht schon lange im Fadenkreuz der US-Behörden. Die Montage des Jetta-Modells bei GAZ ist bereits gestoppt worden. Wie es in einer Pressemitteilung heißt, habe dies mit der Umstellung auf eine neue Generation des Modells zu tun.
"Mögliche schärfere US-Sanktionen sind natürlich ein Gefahrenpotential für die in Russland engagierte deutsche Wirtschaft", sagte Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft der DW. Das betreffe vor allem die Energiewirtschaft, das Bankensystem und die Automobilbranche. Harms hält schärfere Sanktionen für nicht zielführend. "Wir sollten mehr auf Dialog und Konsultationen setzten." Aber natürlich stelle sich die deutsche Wirtschaft auf mögliche US-Sanktionen ein. Es entwickle neue Geschäftsmodelle für ihr Engagement in Russland. "Letztlich werden sich die deutschen Unternehmen an die Sanktionen halten müssen, wenn sie denn verhängt werden", sagte Harms.
Vertreter der deutschen Wirtschaft sprechen auch mit der amerikanischen Seite. "Wir versuchen ihnen deutlich zu machen, dass eine Beschädigung der deutschen Wirtschaft nicht im Interesse der USA ist", meint der Geschäftsführer. Sollten die Sanktionen kommen, sieht Wolfgang Büchele Probleme bei der Finanzierung von Projekten in Russland. International aufgestellte Banken sind auf das Wohlwollen Washingtons angewiesen.
Kein "Weiter wie bisher"
Drohten nicht weitere US-Sanktionen, wäre das Geschäftsumfeld in Russland für deutsche Unternehmen deutlich besser. Der Kreml bemüht sich, die Infrastruktur zu verbessern und die Korruption zu bekämpfen. Hinzu kommt der billige Rubel, der Investitionen in Russland attraktiv macht. Doch die Stimmung ist verhalten. Deutsche Exporte nach Russland stiegen in diesem Jahr nur um 1,9 Prozent. Die russische Wirtschaft wächst nur schwach, etwa eineinhalb Prozent. Der frühere Finanzminister Alexei Kudrin rechnet 2019 mit einem Wachstum von unter einem Prozent.
Der Politologe und Wirtschaftsexperte Dimitry Borisovic Oreschkin wirft Moskau "Zynismus" vor. Im Kreml herrsche die Vorstellung, dass dem Westen die vergleichsweise günstigen Rohstoffe Russlands wichtiger seien als mögliche politische Verfehlungen Russlands. Das habe mit Putins Erfahrungen mit dem Westen zu tun, sagte er der DW. Der Präsident habe 2008 die Erfahrung gemacht, dass der Westen nach der Georgien-Krise zwar protestiert habe. Am Ende normalisierte sich die Lage aber wieder. Dabei habe Russland keinerlei Zugeständnisse gemacht.
Keine Konsequenzen habe es am Ende auch gehabt, dass Russland entgegen der Vereinbarung Gas-Turbinen von Siemens in der Krim einsetzte. Es habe zwar Proteste gegeben, Gerichtsverfahren. "Doch am Ende will Siemens wegen dieses Falles den russischen Markt nicht verlieren", so Oreschkin. Tatsächlich kauft Moskau von Siemens Züge. Auch andere Unternehmen investieren: Knauf eröffnet ein Werk in Samara, BASF in Krasnodar.
Präsident Putin glaube auch im Fall der Besetzung der Krim oder dem Mordversuch an den Skripals davonkommen zu können, meint Oreschkin. Doch dieses Mal würden schärfere Sanktionen nicht nur vom Willen des US-Präsidenten abhängen. Es sei der US-Kongress, der entschlossen sei, gegen Russland schärfer vorzugehen. Mit mehreren hundert US-Abgeordneten ein Einvernehmen zu finden, sei indessen viel schwieriger, sagt er.