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Deutsche Außenpolitik: Auch 2025 im Krisenmodus

26. Dezember 2024

In Deutschland stehen Neuwahlen an. Egal, wie die nächste Regierung aussehen wird, sie wird vor großen außenpolitischen Herausforderungen stehen.

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Außenministerin Annalena Baerbock besteigt ein Flugzeug
Chefdiplomatin der Bundesrepublik: Außenministerin Annalena Baerbock Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Die wohl größte Herausforderung hat den Namen Donald Trump. Denn der künftige US-Präsident dürfte vieles von dem über den Haufen werfen, was der bisherigen Berliner Koalition unter SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz wichtig war.

"Es ist jetzt klar, dass die alte Formel, dass wir uns auf die USA für unsere Sicherheit verlassen können, nicht mehr gilt", sagt Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute in Berlin, der DW, "und dass nicht Trump die Ausnahme von der Regel war, sondern die neue Regel ist und dass die vier Jahre unter Biden die letzten Zuckungen des alten Transatlantizismus waren." Deutschland müsse sich auf eine Welt einstellen, "wo wir viel mehr für unsere eigene Sicherheit in Europa aufkommen müssen, und das in einer Situation, wo wir Krieg auf dem europäischen Kontinent haben".

Eine Möglichkeit: Europa zahlt, die USA liefern Waffen an die Ukraine

Die Veränderungen könnten sich besonders beim Ukraine-Krieg bemerkbar machen. Donald Trump hat kürzlich noch einmal gesagt, er wolle die Ukraine-Unterstützung "sicherlich" kürzen, und er hat eine "unverzügliche Waffenruhe" gefordert. 

Was bedeutet das für Deutschland? Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen schlug jedenfalls beim Berliner Forum Außenpolitik Mitte November einige Pflöcke ein: "Deutschland steht an der Seite der Ukraine unabhängig vom Wahlergebnis in den USA", sagte sie. Und: "Es kann keine Friedensverhandlungen über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben." Damit reagierte sie auf Andeutungen Trumps, er könne sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf ein Ende des Krieges in der Ukraine einigen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanzler Olaf Scholz stehen nebeneinander vor einem Feld mit ukrainischen Fahnen und Kränzen
Was heißt deutsche Unterstützung "so lange wie nötig"? Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz betrauerten am 2. Dezember in Kyjiw gemeinsam ukrainische KriegstoteBild: picture alliance/Kyodo

Um das zu verhindern, schlägt Thorsten Benner vor, "dass wir mit einem Angebot auf die Trump-Regierung zugehen". Das könne so aussehen: "Wir bezahlen dafür, dass ihr weiter militärisches Gut an die Ukraine liefert." Denn militärisch könnten die Europäer nicht das ausgleichen, was die USA an die Ukraine geliefert hätten, finanziell aber schon. Dafür und für Sicherheit allgemein, meint Benner, müsse aber Deutschland mehr Geld ausgeben, und bei der angespannten Haushaltslage sei das ohne neue Schulden nicht machbar. 

Deutschland und Europa nur noch "Zaungäste" im Nahen Osten

Die zweite große außenpolitische Baustelle ist der Nahe Osten. Der Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Anfang Dezember durch verschiedene Rebellengruppen hat die Situation noch einmal deutlich verkompliziert: Freude über das Ende der von Russland und dem Iran gestützten Herrschaft Assads mischt sich auch in Berlin mit Zweifeln, ob Islamisten in Syrien die Oberhand gewinnen und sich neue Flüchtlingsströme Richtung Europa bewegen werden. Doch der Umsturz in Syrien ist nur das jüngste wichtige Ereignis in der Region.

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und israelischer Vergeltung im Gazastreifen und gegen die Hisbollah im Südlibanon hat die Bundesregierung einen Spagat versucht: Sie ist einerseits für Israels Sicherheit als selbsterklärter deutscher "Staatsräson" eingetreten. Andererseits hat sich Außenministerin Annalena Baerbock in zahlreichen Reisen in die Region für die Anliegen der Palästinenser und für Deeskalation eingesetzt.

Einige Männer inmitten der Trümmer stark zerstörter Häuser im Gazastreifen
Israelische Zerstörungen in Gaza: Die deutsche Position ist eine schwierige GratwanderungBild: -/AFP

"Der Spagat war nicht perfekt, aber es wäre schwer gewesen, ihn anders zu machen, als es bisher passiert ist", sagt Hans-Jakob Schindler, Nahost-Experte von der internationalen Organisation Counter Extremism Project, der DW. Die gesamte EU habe sich nach ihrem Engagement vor vielen Jahren im Nahost-Konflikt inzwischen stark zurückgezogen. Einschließlich Deutschlands habe die EU nach dem 7. Oktober 2023 "kaum mehr Gewicht in den Gesprächen, wenn es um Entscheidungen ging", sagt Schindler. "Das war dann wirklich ein amerikanisch-israelischer Dialog, und die Europäer waren allerhöchstens Zaungäste, die Kommentare am Rande abgegeben haben." 

Mit dem künftigen US-Präsidenten Trump stelle sich die Frage, "wie er einerseits seine sehr proisraelische Position zusammenbringen wird mit dem Ziel, Konflikte zu beenden". Aber fest steht für Schindler: "Es wird sich keine stärkere deutsche oder europäische Position entwickeln, die diesen Konflikt in irgendeiner Art und Weise beeinflussen wird." Allenfalls bei einem künftigen Wiederaufbau im Gazastreifen und im Südlibanon "kann man natürlich versuchen, die europäische Rolle wieder aufzuwerten, indem man sich aktiv engagiert".

China verbittet sich deutsche Belehrungen

Für die Außenpolitik der vergangenen Jahre stand in erster Linie natürlich die Außenministerin: Annalena Baerbock von den Grünen. Sie wollte sich dabei vor allem von Werten leiten lassen. Auch gegenüber wichtigen Handelspartnern wie China sprach sie offen Menschenrechtsverstöße an. Das trug ihr 2023 in einer Pressekonferenz mit dem damaligen chinesischen Außenminister Qin Gang den Vorwurf ein: "Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen."

Der frühere chinesische Außenminister Qin Gang reicht Annalena Baerbock die Hand, er mit ernstem Gesicht, sie leicht lächelnd, hinter ihnen eine deutsche und eine chinesische Flagge
Eisige Miene: Baerbock wurde 2023 in Peking vom damaligen chinesischen Außenminister Qin Gang regelrecht abgekanzeltBild: Kira Hofmann/photothek/IMAGO

Thorsten Benner vom Global Public Policy Institute hält eine werteorientierte Außenpolitik für schwer umzusetzen. "Natürlich ist es gut, eine ambitionierte Zielmarke zu haben, damit man nicht zu leicht in allzu dreckige realpolitische Kompromisse verfällt. Aber ich glaube, auch Frau Baerbock würde in einem nächsten Koalitionsvertrag dieses Ziel einer wertegebundenen Außenpolitik vielleicht nicht mehr auf die Art und Weise verankern."

Deutsche wollen keine Führungsrolle

Die stärkste Partei in den Umfragen in Deutschland ist seit langem die konservative CDU/CSU mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. Allzu viel würde sich unter einer von ihm geführten Regierung außenpolitisch nicht ändern, glaubt Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Wenn man sich anschaut, was die CDU/CSU außenpolitisch vorhat, sind die Unterschiede nicht besonders groß. Das zeugt von dem großen Konsens, den wir eigentlich in außenpolitischen Fragen in Deutschland haben. Auch das ist ein stabilisierender Faktor jetzt in dieser Krisenzeit."

Bundeskanzler Olaf Scholz sitzt, Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU spricht am Rednerpult im Bundestag
Wieviel würde sich außenpolitisch unter einem CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz (rechts) ändern?Bild: Felix Zahn/photothek/picture alliance

In der deutschen Politik herrscht inzwischen weitgehend Konsens, dass Deutschland außen- und sicherheitspolitisch eine aktivere Rolle spielen muss. Die Bevölkerung zieht dabei aber offenbar nicht uneingeschränkt mit. In einer Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung kurz nach US-Wahl und Berliner Koalitionsbruch sprachen sich 73 Prozent der Befragten zwar dafür aus, dass Deutschland mehr in die europäische Sicherheit investieren sollte. Aber 58 Prozent waren dagegen, dass Deutschland eine westliche Führungsrolle übernimmt, sollten sich die USA international zurückziehen. 

Auch was die NATO betrifft, so gaben in einer anderen Umfrage von YouGov von Mitte November nur 33 Prozent an, dass sich Deutschland nach der Trump-Wahl stärker als bisher an der Führung der NATO beteiligen sollte. 41 Prozent waren für eine gleich starke Rolle, 16 sogar für eine schwächere.

Es scheint, als würde es nicht so einfach für eine neue Bundesregierung, egal, wer sie führen wird, die Deutschen von mehr außenpolitischer Verantwortung zu überzeugen.

 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik