Der Zwang, Fußball zu spielen
12. April 2017"Ich hatte Angst um mein Leben", sagte BVB-Abwehrspieler Sokratis mit schwerer Stimme nach der Niederlage in der Champions League gegen AS Monaco. Die Spuren des Attentats auf den Mannschaftsbus der Dortmunder am Vortag waren immer noch spürbar. "Ich habe nicht eine Stunde geschlafen und habe immer versucht mich abzulenken, damit keine Ruhe einkehrt", erklärte Roman Bürki. Sein Teamkollege Nuri Sahin wurde noch deutlicher: "Die Gesichter aus dem Bus werde ich nie vergessen, es war schrecklich, ich bin froh wenn ich gleich zu Hause bei meiner Familie bin."
Eine knappe Stunde zuvor standen die Spieler noch vor der Südtribüne und bedankten sich bei den Fans für die enorme Unterstützung. "Ein großes Lob an unsere Anhänger, die uns heute sehr geholfen haben", sagte Bürki. Nach dem Schlusspfiff wich die Anspannung, Sokratis hatte Tränen in den Augen, und auch seine Kollegen waren sichtlich ergriffen. Die BVB-Fans hatten anlässlich des Champions-League-Spiels eine beeindruckende Choreographie auf die Beine gestellt und ihre Mannschaft lautstark unterstützt. "Wir wussten, wie schwer es wird, auf dem Rasen stehen zu müssen", erzählte BVB-Fan Michael. "Also haben wir alles versucht, damit es unserer Elf leichter fällt."
"Am Ende mussten wir spielen"
Dennoch agierte die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel von Beginn an nervös, leistete sich einige Fehlpässe und schaffte es nicht, die Kontrolle über das Spiel auf ihre Seite zu ziehen. "Dass dieses Spiel nur 24 Stunden nach einem Anschlag angepfiffen wurde, verstehe ich überhaupt nicht", erklärte Bürki. "Wir wissen natürlich, was die Champions League für ein großer Wettbewerb ist. Man darf aber nicht vergessen, dass es kein Anschlag auf unseren Bus war, sondern ein Anschlag auf uns Menschen", sagte Kapitän Marcel Schmelzer und rang um Fassung. "Gerade wenn man hört, dass Metallstücke in der Kopfstütze gefunden wurden. Jeder weiß, was zehn Zentimeter davor ist, und das macht es wirklich nicht einfach, so ein Spiel spielen zu wollen. Aber am Ende mussten wir ja."
Und auch Thomas Tuchel übte deutliche Kritik an der UEFA. Man sei "in die Entscheidung überhaupt nicht eingebunden" gewesen. "Das hat die UEFA in der Schweiz entschieden. Die Termine werden vorgegeben, und wir haben zu funktionieren. Wir hatten das Gefühl, dass wir behandelt werden, als wäre eine Bierdose an unseren Bus geflogen", sagte Tuchel nach dem Spiel.
Bombenanschlag aufarbeiten
Während das Ergebnis an diesem Abend zweitrangig war, steht die Mannschaft in einer Woche vor der schwierigen Aufgabe, die 2:3-Niederlage in Monaco aufholen zu müssen. Doch jetzt geht es für die Profis von Borussia Dortmund ohnehin erst einmal darum, den Bombenanschlag aufzuarbeiten. Das war bis zu den letzten Interviews in der Mixedzone in den Stadion-Katakomben noch niemandem so recht gelungen.
So stieg an diesem Abend niemand mehr in den Mannschaftsbus. In kleinen Gruppen wurden die Spieler in Autos nach Hause gebracht, erleichtert, endlich Ruhe finden zu können. "Meine Frau hat mir auf dem Weg zum Stadion geschrieben, dass sie froh ist, wenn das Spiel zu Ende ist", erzählte Sahin noch bevor er sich auf den Heimweg zu seiner Familie machte.