"Wie ein Anschlag auf uns alle"
12. April 2017Schon am Dortmunder Hauptbahnhof fällt auf, dass an diesem Tag kein normales Champions League-Spiel stattfinden wird. Auf dem Platz vor dem Bahnhof stehen Polizeiautos in Zweierreihen. Polizisten patrouillieren. Hin und wieder ist eine Polizeisirene zu hören.
In Dortmund ist der Anschlag auf die Mannschaft des BVB am Tag danach das Thema Nummer eins. Die Menschen hier sind extrem fußballbegeistert, der Club gehört zur DNA der Stadt. Der Slogan des Clubs heißt "Echte Liebe", und viele Fans nehmen das wörtlich. Am Nachmittag vor dem Spiel laufen zahlreiche BVB-Anhänger durch die Dortmunder Fußgängerzone, zu erkennen an den leuchtend gelb-schwarzen Trikots oder Fanschals.
Erwin Wassermann und seine Frau sind glühende BVB-Fans und besuchen jedes Heimspiel. Sie waren auch am Dienstag im Stadion. "Wir haben erst über die Anzeigetafel erfahren, dass da was mit dem Bus war, aber was genau noch nicht", erzählt Wassermann. "Aber dann kamen schon die ersten von draußen, die schon Nachrichten gehört hatten. Und dann ging schon rum, dass da was mit dem Bus passiert ist und dass einer verletzt wurde."
Die Stimmung in der Stadt empfindet das Ehepaar Wassermann ruhiger als sonst. "Man merkt das auf dem Marktplatz, da ist sonst mehr los", sagt Erwin Wassermann. "Es ist ein bisschen gedämpfter."
Spontane Hilfe über Twitter
Der Marktplatz in unmittelbarer Umgebung der Reinoldikirche in Dortmund ist traditionell ein Treffpunkt der Fans. Viele Fußballkneipen umringen den Platz. Tische und Stühle unter großen Schirmen stehen auf dem Platz. Auch hier ist die Polizei mit einem Aufgebot vertreten. Tatsächlich sind die meisten Tische vor dem Anpfiff des Nachholspiels leer, an anderen sitzen Fans und trinken Bier oder essen eine Currywurst. Aus einer Kneipe schallt BVB-Musik. Auch einige Anhänger vom AS Monaco glühen hier für das Spiel vor.
Eine Gruppe von fünf Monaco-Fans sitzt an einem Tisch gemeinsam mit Frank Junge aus Dortmund. Er hatte nach der Spielabsage spontan im Internet eine Übernachtungsmöglichkeit für Monaco-Fans angeboten. "Ich habe den ersten Tweet in meinem Leben abgesetzt - mit 54. Meine Tochter hatte mir vom Hashtag #bedforawayfans. Und dann habe ich diese netten Leute plötzlich bei mir zuhause gehabt, für eine Nacht."
Einer seiner Gäste war Xavier Haennig aus dem Elsass. "Wir haben nach dem Spiel nach einem Bett für die Nacht gesucht, aber alle Hotels waren ausgebucht", sagt er. "Dann haben wir mit diesem Hashtag getwittert. Frank hat uns eingeladen. Das war sehr nett von ihm. Es war sehr schön zu sehen, dass viele Menschen in Dortmund das gemacht haben. Wir fühlen uns hier sehr willkommen und es war ein sehr schöner Abend."
Am Abend will er mit seinen Freunden wieder ins Stadion gehen. Xavier erwartet, dass die Atmosphäre anders sein wird, respektvoller als bei einem normalen Spiel.
Applaus für die Mannschaft
Ortswechsel: Etwa zwei Stunden vor Anpfiff ist die U-Bahn zum Stadion bereits voller Fans. Am Ausgang der U-Bahn-Station stehen schwer bewaffnete Polizisten. Auf einem Polizeiwagen ist eine Kamera montiert, offenbar werden die Menschenmassen, die zum Stadion strömen, gefilmt.
Auf dem Platz vor dem Stadion steht in einer langen Reihe ein Polizeiwagen neben dem anderen. Polizisten bilden Trauben, sie sind schwer bewaffnet. Obwohl die Polizeipräsenz groß ist, entsteht der Eindruck, dass sich die Beamten im Hintergrund halten. Zwischendurch reiten Polizisten auf Pferden durch die schwarz-gelbe Menge. Einmal fliegt ein Helikopter über die Szenerie. Insgesamt ist die Stimmung jedoch entspannt. Einige Fans schlagen Trommeln, eine Gruppe von Monaco-Fans hat sich vor einem Kamerateam aufgestellt und grölt laut ein französisches Fußballlied. Wer ins Stadion geht, wird von Ordnern sehr genau durchsucht.
Plötzlich ertönt ein Martinshorn, durch die Bäume ist Blaulicht zu sehen. Zunächst rollt der Mannschaftsbus des AS Monaco die Einfahrt zu Stadion hinunter. Nur wenige Minuten später folgt der Bus des BVB. Die Fans applaudieren und rufen "Borussia", als der Bus langsam, von Polizeiautos eskortiert, durch die Menschenmenge rollt.
Schon gestern Abend war Uwe Jürgenhake im Stadion, der Dortmunder besucht auch heute das Spiel. Der Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus habe die Menschen in Dortmund sehr getroffen, sagt er. "Das war ja wohl offensichtlich ein terroristischer Anschlag auf unsere Spieler. Das ist wie ein Anschlag auf uns alle." Heute zum Spiel zu gehen sei ein seltsames Gefühl, sagt Jürgenhake. "Eigentlich gehen wir nur hier hin, weil wir sagen, wir wollen dem Terror nicht nachgeben und zum anderen wollen wir die Mannschaft nicht allein lassen."
Falsche Entscheidung?
Die Entscheidung, das Spiel direkt auf den Folgetag zu verlegen, hält er für falsch. "Ich glaube einfach, dass da nur der Kommerz zählt. Die Show muss weitergehen", sagt er. Ich hätte es besser gefunden, wenn das Spiel zu einem anderen Zeitpunkt ausgetragen worden wäre. Das Spiel schon nach 22 Stunden wieder anzusetzen, das finde ich schon fast skandalös."
Auch Olivier Poissel aus Monaco hält es nicht für die "beste Idee", das Spiel lediglich um einen Tag zu verlegen. "Aber der Spielplan ist sehr eng", sagt er. "Monaco spielt alle drei Tage, in der Liga, im französischen Pokal, in der Champions League. Wie haben keine andere Wahl."
Poissel hat ebenfalls über Twitter eine Übernachtungsmöglichkeit in Dortmund gefunden. Gemeinsam mit seinem neuen Kumpel trinkt er nun vor dem Stadion ein Bier. Er fühle sich angesichts des großen Polizeiaufgebots sicher.
Was er vor Anpfiff vom Spiel erwartet? "Es ist nicht so wichtig, wer gewinnt", sagt er. "Auch nicht im Rückspiel in Monaco. Das Wichtigste ist, dass wir eine gute Zeit zusammen haben und dass wir an Fußball und nicht an den Terror denken."