Der verdrängte Krieg der USA
11. April 2014Franz Ferdinand finden viele amerikanische Jugendliche cool. Und meinen damit die Musik der gleichnamigen Pop-Band. Das ist Kenneth Clarke, Direktor des Pritzker Military Museum in Chicago, bewusst. Nur wenige von ihnen wüssten, so Clarke, dass Erzherzog Franz Ferdinand auch jener österreichische Thronfolger war, mit dessen Ermordung in Sarajevo das Unheil des Ersten Weltkriegs seinen Lauf nahm und das 117.000 amerikanische Soldaten das Leben kostete.
"In diesem Krieg haben innerhalb weniger Monate weit mehr US-Soldaten ihr Leben verloren als in den zehn Jahren des Vietnam-Krieges", kommentierte der Washingtoner Journalist Michael Mosettig kürzlich auf Facebook und zog eine nüchterne Bilanz: "Wir wissen, welches der vergessene Krieg ist, der zwischen Bürgerkrieg und Zweitem Weltkrieg unserem historischen Gedächtnis entglitten ist."
Auch 350.000 Afro-Amerikaner ziehen in den Krieg
Kenneth Clarke will das mit seinem Museum in Chicago ändern. "Wir sollten den Kriegsausbruch vor 100 Jahren als Anlass nehmen, den Menschen mehr über den 'Großen Krieg' zu erzählen", sagt er der Deutschen Welle. Und so will Clarke das Gedenkjahr nutzen für die Botschaft: "Hey, das ist ein historischer Meilenstein, der eure Aufmerksamkeit wert ist. Denn über Geschichte Bescheid zu wissen, heißt, sie nicht zu wiederholen."
In seinem Museum macht eine kleine Ausstellung von Propagandapostern den Anfang. Mit ihnen rekrutierte die US-Regierung junge Männer für den Krieg. Schließlich waren es mehr als eine Million, davon 350.000 Afro-Amerikaner.
Deutsches U-Boot im Michigan-See
Spektakulär und dennoch fast vergessen ist eine Weltkriegsattraktion, die nicht weit von Clarkes Ausstellung auf dem Grund des Michigan-Sees liegt. Nach dem Krieg wurde ein erbeutetes deutsches U-Boot auf einer "Siegestour" den See hoch und runter gefahren, um dann schließlich feierlich versenkt zu werden. "Das Ding ist gut konserviert in kaltem Wasser", sagt Clarke. "Es wartet nur darauf, von jemandem gehoben zu werden."
Simon Liang aus Chicago ist einer, der von dem U-Boot gehört hat. Der 21jährige Amerikaner studiert Geschichte. Und der Erste Weltkrieg bescherte ihm die erste Enttäuschung seines Studiums. Er wollte einen Essay über den Krieg schreiben, gab aber bald entnervt auf, weil er in den USA zu wenig verlässliche Informationen fand. "Es ist hart für uns junge Leute, diesen Krieg zu verstehen. Die Schulen tun, was sie können, aber das Ausbildungssystem hat Lücken."
Es gibt mehr in der Welt als die USA
Dabei habe der "Große Krieg" den Menschen in den USA eine neue Weltsicht gebracht: "Da ist mehr in der Welt als nur die Vereinigten Staaten", hätten sich laut Liang plötzlich viele Amerikaner augenreibend klar gemacht. "Von hier aus erweiterte sich unser Blickfeld zu dem, was wir heute eine globale Weltwirtschaft nennen und das Anliegen kam auf, die Welt als Ganzes zu verstehen".
Der Historiker und Pulitzer-Preisträger David M. Kennedy konstatiert einen mehrfachen Richtungswechsel in der amerikanischen Politik. Der Kriegseintritt der USA im Jahre 1917, knapp drei Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, habe das Land auf die Weltbühne katapultiert. Nachdem deutsche U-Boote im Jahre 1915 die Lusitiania mit 128 Amerikanern an Bord versenkten und danach weitere amerikanische Handelsschiffe dem "unbegrenzten" deutschen U-Bootkrieg zum Opfer fielen, habe Präsident Woodrow Wilson seine anfängliche Neutralität aufgegeben. Am 6. April 1917 erklärten die USA Deutschland den Krieg.
Rückfall in die Isolation
Nachdem die Mittelmächte besiegt worden waren, seien die USA aber rasch wieder in die Isolation zurückgefallen. Diesmal sogar tiefer und anhaltender als vor dem Krieg. Gründe dafür sieht der Historiker Kennedy in Wilsons wachsender Enttäuschung über die unversöhnliche Haltung der europäischen Verbündeten gegenüber Deutschland. Und in Wilsons gescheiterter Initiative zur "League of Nation", einer Art Vorläufer der Vereinten Nationen. Der eigene Kongress hatte dem Präsidenten die Zustimmung versagt. Kennedy bilanziert: "Wir waren noch nicht bereit dazu, in der Welt eine größere Rolle zu spielen."
Hotdogs statt Frankfurter Würstchen
Und auch im Innern der USA wurde die Sicht zwischenzeitlich wieder engstirniger. Vielen deutschstämmigen Amerikanern beispielsweise sei nach Kriegseintritt "grauenhaftes" Unrecht geschehen, sagt der Historiker Kennedy. Georg Glotzbachs Onkel George war Freiwilliger damals. Es blieb ihm auch nichts übrig: "Jeder der nicht kämpfte war nicht wert ein Bürger zu sein. Aber sie wollten nicht auf ihre Cousins in Deutschland schießen", so Glotzbach, der in dem Städtchen New Ulm nicht weit von Minneapolis im hohen Norden der USA lebt. Offenen Protesten und Widerstand gegen den Wehrdienst wurde mit Überwachung begegnet. Das "Commitee of Public Saftey" schickte Agenten nach New Ulm, die Gottesdienste und Bar-Tratsch gleichermaßen belauschten.
Deutsche Wörter wurden aus Straßennamen und Speisen getilgt. Frankfurter Würsten wurden so zwangsweise zu Hotdogs. "Mein Großvater hatte ein Kleidergeschäft", berichtet Glotzbach. "Als der Krieg begann, kam der Handel mit Nichtdeutschen fast zum erliegen." Jeder mit einem deutschen Namen sei auf dem Prüfstand gewesen. "Es waren sehr harte Zeiten während des Krieges."
Auch die vielen Toten unter den eigenen Soldaten waren für die Amerikaner eine neue, schmerzliche Erfahrung. Der letzte Krieg – er wurde gegen Mexiko geführt - lag zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ersten Weltkrieg mehr als 60 Jahre zurück. Damals fielen rund 12.000 amerikanische Soldaten. Im Ersten Weltkrieg sollten es mehr als zehn Mal so viele werden.
Kämpfen unter englischem und französischem Kommando
Im National World War I Museum in Kansas City zeigt Museumsführer Robert Dudley anhand der zahlreichen Exponate, dass die amerikanische Armee nicht vorbereitet war auf den Einsatz in Europa.
Der frühere Oberst und Vietnam-Veteran berichtet, dass die Einheiten nach ihrer Landung im Oktober 1917 zunächst in "ruhigen Sektoren" stationiert worden seien. "Bis März 1918 haben wir nicht richtig mitgekämpft. Erst mit der Ludendorff-Offensive [Serie von deutschen Offensiven im Frühjahr 1918, geleitet vom Chef der Obersten Heeresleitung Erich Ludendorff, Anm. der Redaktion] begannen wir gemeinsam mit französischen und britischen Einheiten zu kämpfen, zunächst unter deren Kommando."
Gedenkveranstaltungen für alle Gefallenen
Amerikas Kriegseintritt habe entscheidend zum Sieg beigetragen, meint Dudley. Doch das Gedenken hundert Jahre danach, so meint er, sollte von einem anderen Geist geprägt sein: "Alle Soldaten haben teilgenommen, um ihr Land zu verteidigen. Die Gedenkveranstaltungen sollten nicht den Sieg feiern, sondern für alle Soldaten und Familien sein, die im Krieg für ihre Länder gekämpft haben."
Mehr als 150.000 Menschen kommen jährlich ins Museum nach Kansas City. Die Schau zeigt nicht die amerikanische Kriegsperspektive, sondern stellt unterschiedliche Sichtweisen nebeneinander. Vertreter des Museums arbeiten mit in der vom Kongress berufenen "World War One Centennial Commission", die das Gedenken landesweit organisieren soll. Klar ist, dass es erst 2017 richtig losgehen wird, 100 Jahre nach dem amerikanischen Kriegseintritt.