Hambacher Forst - umstrittenes Herz der Kohleindustrie
8. August 2017Wie aus einer grau-braunen Mondlandschaft ragen gewaltige Stahlkolosse in den Himmel. Unermüdlich arbeiten sich die riesigen Bagger durch die Erdschichten in die Tiefe vor, um an das kostbare Material zu gelangen: die Braunkohle.
Eines steht außer Frage: Sie haben deutliche Spuren hinterlassen. Der Tagebau Hambach ist mit seinen 85 Quadratkilometern halb so groß wie Washington D.C. und gilt als eine der größten künstlichen Gruben Europas.
Hambach, im hochindustrialisierten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) gelegen, sorgt für den stetigen Nachschub an fossilen Brennstoffen. Braunkohle ist für die Energieversorgung des Landes noch immer von großer Bedeutung. Sie macht rund ein Viertel der deutschen Stromproduktion aus.
Das Festhalten an der Braunkohle ist höchst umstritten und paradox.
Seit Deutschland den Schritt von der Kernenergie zu erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie vollzogen hat, wird die Kohle als Absicherung bei der Energieversorgung angepriesen. Gleichzeitig findet die diesjährige Weltklimakonferenz im November in Deutschland statt und das auch noch sozusagen gleich ums Eck: in Bonn.
Europas wirtschaftlicher Kraftprotz und vermeintlicher Vorreiter in Sachen Umweltschutz hat sich verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 zu verringern. Aber Kohle - und besonders Braunkohle - ist schmutzig. Nach Angaben derNichtregierungsorganisation "Sandbag" sind sieben der zehn größten Umweltverschmutzer in Europa deutsche Braunkohle-Tagebaue. Ob Deutschland seine gesteckten Ziele erreichen wird, ist zweifelhaft.
Auch wenn der Ausstieg aus der Kohle geplant ist, ist es doch bislang völlig unklar, wann der vollzogen sein wird. Der Energieriese RWE erweitert unterdessen den Tagebau Hambach und verschlingt dabei ganze Dörfer.
Gemeinden - Ausradiert durch die Kohle
Der Tagebau Hambach wurde 1978 durch RWEs Vorgänger Rheinbraun in Betrieb genommen. Seitdem haben vier Dörfer, die auf dem Gebiet des Tagebaus lagen, für das "öffentliche Wohl" Platz gemacht - so die öffentliche Begründung für die Räumung.
Noch hat der Tagebau nicht seine endgültige Größe erreicht. Die beiden südöstlich des jetzigen Abbaugebiets gelegenen Dörfer Kerpen-Manheim und Morschenich stehen ebenfalls vor dem Aus. Nach Jahren der Verhandlung begann 2012 die Umsiedlung der Einwohner Manheims. Im Jahr 2022 wird sie abgeschlossen sein.
Zu seinen besten Zeiten hatte das Dorf etwa 1700 Einwohner. Die meisten von ihnen sind inzwischen nach Neu-Manheim oder anderswohin gezogen. Zurückgeblieben sind verlassene Häuser, tote Fenster und leere Straßen.
Den betroffenen Einwohnern wird vom Unternehmen eine Entschädigung gezahlt, je nach Größe, Zustand und Wert ihrer Immobilie. Doch einige verbliebene Bewohner sind mit den Ausgleichszahlungen nicht zufrieden.
Nicht alles sei mit einem Preisschild versehen, sagt ein Anwohner, der anonym bleiben möchte.
Der Vater zweier Kinder berichtet, dass sein Haus denkmalgeschützt ist. Er befürchtet, dass die Umsiedlung seinen 100 Hektar großen Bauernhof bedrohen könnte. Teile seines Landes liegen auf dem Tagebaugebiet. "Eine geeignete Alternative zu finden, wird sich wahrscheinlich als schwierig erweisen", sagt er.
Letzter Frühling für einen Todgeweihten
Ende 2016 begann RWE mit dem Abriss der ersten Häuser in Manheim. 50 Häuser pro Jahr sollen dem Erdboden gleich gemacht werden - bis keines mehr da ist. Momentan vermietet die Gemeinde freie Immobilien, die inzwischen im Besitz von RWE sind, an rund 220 Asylsuchende. Die meisten kommen aus Irak, Iran und Syrien.
Der Iraner Amin Amori (26) und der Iraker Saheb Alibeeg (23) kamen Ende 2015 nach Deutschland und wurden kurz darauf nach Manheim gebracht. Sie erzählen, dass die Einheimischen sie herzlich aufgenommen haben und in den umliegenden Dörfern ein Netzwerk gegründet wurde, um die Neuankömmlinge zu unterstützen.
Beide sprechen Deutsch und bereiten sich auf eine Lehre in einer nahegelegenen Handelsschule in Kerpen vor. Alibeeg will Elektriker werden. Wie die anderen übrig gebliebenen Dorfbewohner sehen sie einer unsicheren Zukunft entgegen. Es herrscht Ungewissheit darüber, wann die Bulldozer kommen, wo sie selbst landen werden - und im Fall der Migranten, ob ihnen Asyl gewährt wird.
Das Ende eines jahrtausendealten Waldes
Menschen können umgesiedelt und entschädigt werden. Natur aber wird durch den weiteren Ausbau des Tagebaus unwiederbringlich verloren gehen, sagen die Tagebaugegner. Ein Großteil des 12.000 Jahre alten Hambacher Forstes, der Hunderte geschützte Tier- und Pflanzenarten beherbergt, wird vernichtet.
Jeden Winter rodet RWE ungefähr 70 Hektar Wald, um an weitere Schichten Braunkohle zu gelangen. Nur noch 10 Prozent des einst 7000 Hektar großen Waldes sind heute noch übrig. Umweltaktivisten aus ganz Europa und Deutschland haben sich der Rettung des Waldes verschrieben. Einer von ihnen ist "Peanut", wie sich die 20-jährige Berlinerin selbst nennt.
In den vergangenen Jahren haben die Aktivisten ein Langzeitlager errichtet, außerdem etwa ein Dutzend Baumhäuser, die über den ganzen Wald verstreut sind. Hoch oben in den Baumkronen sind die Baumhäuser nur über Seile und Kletterausrüstung zu erreichen. In Zeiten, in denen RWE rodet, wohnen Aktivisten in ihnen. Sie hoffen, dass sie damit die Kettensägen aufhalten können.
Was romantisch erscheinen mag, ist stressig, berichtet "Peanut". "Während der geplanten Räumungen müssen die Aktivisten über Stunden, wenn nicht Tage, in den Behausungen aushalten."
Kein Ersatz
Aus überschüssiger Erde schüttet RWE am nordwestlichen Rand des Tagebaus die "Sophienhöhe" auf. Abraumhalden sollen so in das größte Erholungsgebiet der Region verwandelt werden.
Die rekultivierte Landschaft ist bei Einheimischen und Besuchern beliebt. Die Kritiker halten dagegen und sagen, dass es den ursprünglichen Wald nicht ersetzen könne.
"Viele der bedrohten Arten, wie die Bechsteinfledermaus, brauchen alte Bäume, um in ihnen zu nisten", erklärt der 58-jährige Umweltschützer und Naturführer Michael Zobel.
Deshalb setzt er sich mit anderen für die Erhaltung des ursprünglichen Waldes mit seiner besonderen Kombination aus Eichen, Hainbuchen und Maiglöckchen ein.
Es ist "der letzte Wald dieser Art in ganz Europa", ergänzt Zobel, der monatlich kostenlose Führungen zu den Auswirkungen des Tagebaus auf die Umwelt anbietet.
Tradition gegen Natur
Der Bergbau ist in diesem Teil von NRW allerdings tief verwurzelt. Der sogenannte "Ruhrpott" ist ein Wirrwarr aus Industriestädten, die dank der Kohle im 19. Jahrhundert zur Blüte gelangten, und sich schnell zum Wirtschaftsdrehkreuz entwickelte.
Die Braunkohle-Industrie beschäftigt noch immer fast 9000 Menschen in NRW und 20.000 deutschlandweit. Für viele Einheimische ist die Arbeit bei RWE und seinem Vorgänger Rheinbraun Familientradition, erzählt Sabine Seeger-Hoff (49), während sie beim Gassigehen mit ihrem Hund über den Tagebau blickt.
"Ich kann mich nicht mit allem anfreunden, was mit dem Tagebau zu tun hat, vor allem in Bezug auf die Umwelt., aber sie machen etwas mit ihrer Rekultivierung. Und der Tagebau sorgt für eine Menge Arbeitsplätze", fügt sie hinzu. "Ich bin nicht dagegen. Im Gegenteil, meine Brüder arbeiten auch im Tagebau."
So wie der Wald, die Dörfer und die Asylsuchenden sehen auch die Bergarbeiter einer unsicheren Zukunft entgegen. Es ist nicht eine Frage ob, sondern wann aus der Kohle in Deutschland ausgestiegen wird. Ob früher besser ist oder später, hängt davon ab, wen man fragt.