Wann schafft Deutschland den Kohleausstieg?
4. April 2017Deutschland hat ambitionierte Pläne. Die Regierung hat zugesagt, seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken. Im Energiesektor möchte Deutschland die CO2-Ausstöße bis zum Jahr 2030 sogar halbieren.
Laut Experten gibt es dorthin nur einen Weg: den kompletten Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien.
Doch ist Deutschland bereit für den totalen Kohleausstieg? Und falls ja, wann könnte der Wandel zu erneuerbaren Energien Realität werden? Ein Schauplatz, auf dem diese kontroverse Frage ausgehandelt wird, ist der Hambacher Forst.
Deutschland: Europas größter Kohleverbrenner
Während die Regierung von einer baldigen kompletten Energiewende redet, plant Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern RWE unbeirrt die Erweiterung seiner Tagebaue Garzweiler und Hambach. Hier wird noch immer in Massen Braunkohle gefördert. Durch die Verstromung von Kohle wird in Deutschland am meisten CO2 freigesetzt. RWE ist sogar Europas größter CO2-Produzent.
Naturliebhabern eröffnet sich im Garzweiler Tagebau ein ausgesprochen trauriger Anblick. Statt grüner Wälder und Wiesen sieht man hier nur monströse Maschinen und riesige Löcher im braunen Boden.
Der Grund? Bisher wird noch fast ein Viertel der deutschen Energie mit Braunkohle erzeugt. "Kein anderes Land auf der Welt verbraucht soviel Braunkohle wie wir", sagt Uwe Leprich, Leiter der Abteilung "Klimaschutz und Energie" des Umweltbundesamtes (UBA) im Gespräch mit der DW.
Laut UBA verursachte der Braunkohleabbau in Deutschland alleine im Jahr 2014 Umweltschäden von 16,8 Milliarden Euro. In Nordrhein-Westfalen, wo die beiden Tagebaue Garzweiler und Hambach ansässig sind, ist Braunkohle für ein Drittel aller CO2-Ausstöße verantwortlich.
Direkt neben dem Tagebau leben Aktivisten im Hambacher Forst, die dessen Abholzung verhindern wollen. Denn RWE hat den Wald gekauft, um auch hier nach Kohle graben zu können. Jus ist einer der Aktivisten, die hier leben. Er sagt, dass Braunkohle bei der Verbrennung nicht nur CO2 freisetzt, sondern auch die Hauptursache für die Quecksilbervergiftung von Fischen ist. Für ihn gehört Braunkohle der Vergangenheit an, ein Umstieg auf erneuerbare Energien sei unumgänglich.
"Braunkohle ist eine Methode zur Energiegewinnung aus Zeiten, in denen wir mit Pferdekutschen gereist sind. Es ist allerhöchste Zeit davon abzurücken", sagt er.
Ein langsamer Wandel
Die Kohlekraftwerke hätten ihre Produktion über die letzten Jahre bereits reduziert, sagt Leprich. Doch sie laufen noch immer das gesamte Jahr durch, denn Braunkohle ist als Treibstoff einfach zu günstig, um darauf zu verzichten. So denken zumindest viele.
Im vergangenen Jahr wurden mehrere Braunkohlekraftwerke auf Reserveleistung umgestellt. Während der nächsten vier Jahre sollen die Kraftwerke weiterhin bereitstehen, um im Notfall bei Energieknappheit zu arbeiten. Danach sollen sie komplett abgeschaltet werden.
RWE erwartet unterdessen, dass die Braunkohleproduktion erst Mitte des Jahrhunderts abgewickelt wird. Bis dahin hat RWE alle Braunkohlevorkommen, die dem Konzern zustehen, abgebaut.
Derzeit sind die Kohlekraftwerke ein notwendiges Backup beim Übergang zu erneuerbaren Energien, sagt RWE im Gespräch mit der DW. Doch laut UBA ist der Ausbau der Tagebaue nicht kompatibel mit Deutschlands Klimaschutzzielen.
"Wir müssen den Braunkohleabbau zurückfahren. Es hat überhaupt keinen Sinn, neue Minen zu öffnen", so Leprich.
Energiewende – ein Paradoxon?
Andere Umweltgruppen drängen ebenfalls auf einen schnellen Wandel. "Wir wollen diese dreckigen und extrem umweltschädlichen Kohlekraftwerke endlich ausschalten", sagt Karsten Smid von Greenpeace gegenüber der DW. Bis zu 15 Gigawatt könnten bereits aus dem Stromnetz beseitigt werden, ohne dass Deutschlands Energieversorgung gefährdet wäre.
Viele Umweltaktivisten hoffen nun auf die Bundesregierung. Doch Experten glauben, dass diese erst nach den Bundestagswahlen im September aktiv werden wird.
Es gibt bereits eine Kommission, die sich ab 2018 um einen konkreten Fahrplan für den Kohleausstieg kümmern soll. Sowohl Leprich als auch Smid sind sich sicher, dass die neue Bundesregierung eine maßgebliche Entscheidung über die Zukunft von Kohleabbau treffen wird. Sobald sie sich auf einen Weg geeinigt hat, wie man CO2-Ausstöße am besten verringert und aus der Kohleindustrie aussteigt, werden sowohl die Rechte zum Kohleabbau als auch Beschlüsse von Bundesländern diesbezüglich nicht mehr gültig sein, so Leprich.
Das ist besonders deshalb so wichtig, weil das nordrhein-westfälische Ministerium für Klimaschutz und Umwelt argumentiert, dass RWEs Recht Braunkohle abzubauen darauf basiert, dass Nordrhein-Westfalen dem Braunkohleausbau grünes Licht gegeben hat.
Für andere stellt das ein Paradoxon dar. "Es ist ein Widerspruch einerseits auf erneuerbare Energien zu setzen und andererseits weiterhin so viel Braunkohle zu fördern", sagt Leprich. "Wir werden gezwungen sein, Dinge zu ändern".
Dem Greenpeace-Experten Smid ist bewusst, dass die Energiewende nicht einfach sein wird, aber er ist überzeugt, dass sie geschehen wird. "Der Wandel wird nicht automatisch kommen. Aber ich bin mir sicher, dass Umweltschutzgruppen diesen Kampf gewinnen werden. Die Fakten sind auf unserer Seite".
Es geht auch um Lebensstil
Für Jus ist Klimaschutz nicht nur eine Frage der Energiewende, sondern auch die eines bewussten, nachhaltigen Lebensstils. Laut Jus bräuchten wir 12 Erden, wenn jeder so viel konsumieren würde, wie die Leute in den Vereinigten Staaten, und vier Erden, wenn die Menschen in Europa ihren Lebensstil weiterhin beibehalten.
"Es gibt bald kein Zurück mehr. Wir müssen langsamer machen".