Der Fall Gurlitt: Internationale Reaktionen
11. Dezember 2013"Mit dem Fall Gurlitt wird erneut eine tiefe Wunde zwischen Israel und Deutschland aufgerissen", sagt Samy Gleitmann vom deutschen Freundeskreis des Tel Aviv Museums of Art in Israel. Auch die Ausplünderung von Juden und anderen im Nationalsozialismus Verfolgten ist ein Kriegsverbrechen und Teil der Anfänge des Holocaust. Mit dem Schwabinger Kunstfund stellt sich in Deutschland nun 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Frage nach Recht und Moral: "Hier hat nachweislich ein Raub stattgefunden. Und ich habe kein Verständnis für juristische Finessen, so dass die Werke am Ende Herrn Gurlitt zugesprochen werden", so Gleitmann. Er bezieht sich dabei auf die Verjährungs-Frist: Nach deutschem Gesetz sind Eigentumsansprüche früherer Besitzer beziehungsweise ihrer Erben bei NS-Raubkunst bislang nach 30 Jahren erloschen.
"Wir brauchen hier nicht nur eine deutsche sondern eine internationale Lösung", sagt der New Yorker Anwalt David Rowland, der zwischen 30 und 40 Erbengemeinschaften jüdischer Kunstsammler vertritt. Es müsse gewährleistet werden, dass die Familien ihren einstigen Besitz zurückerhalten, wenn er ihnen juristisch zustehe. Rowland begrüßt auch den Vorschlag des bayerischen Justizministersdie Verjährung im Falle von NS-Raubkunst aufzuheben.
"Fall Gurlitt": Spitze des Eisbergs
Unter Kunsthistorikern und Kennern des Kunstmarktes sind solche Fälle wie die geerbte Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt nicht unbekannt. Im Gegenteil, die Experten sind sich sicher, dass noch weitaus mehr bisher vermisste Kunstwerke in Privatbesitz sind. "Sowohl in Deutschland als auch in Österreich gab es Händler, die während der NS-Zeit aktiv waren. Wir müssen davon ausgehen, dass ihre Kinder und Enkel möglicherweise Werke besitzen, die zwischen 1933 und 1945 abgepresst oder geraubt wurden", sagt die Provenienzforscherin Sophie Lillie aus Österreich. Das hieße aber nicht, dass den derzeitigen Eigentümern die Herkunft bewusst sei. “Einige wollen es vermutlich gar nicht so genau wissen“, so Lillie weiter.
Umso wichtiger sei es, dass die deutsche Regierung bei vermeintlicher NS-Raubkunst in Privatbesitz eine internationale Lösung suche, fordert der New-Yorker Anwalt Rowland. Er kritisiert die schleppende Veröffentlichung der Bilder – bisher sind 354 Kunstwerke auf lostart.de zu sehen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg versicherte, alle 590 Kunstwerke im Internet zu veröffentlichen, wenn "ein möglicher NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen ist". Das wird zu Zeit intensiv geprüft, so dass die Bekanntgabe im Internet nur schrittweise passiert.
Kaum Kontakt zu Cornelius Gurlitt
Im Moment gilt eine Einigung zwischen dem Privatbesitzer Cornelius Gurlitt und den Vorbesitzern als aussichtsreichste Lösung. Das war auch 2011 schon einmal der Fall: Gurlitt einigte sich bei dem Gemälde von Max Beckmann "Der Löwenbändiger" mit den Erben Flechtheims. Danach konnte das Werk beim Kunsthaus Lempertz in Köln versteigert werden. "Mit einem Privatsammler kann man sich nur im Guten einigen, aber im Fall Gurlitt ist hier schon viel schief gelaufen", sagt Sophie Lillie.
Zwar gab es schon Kontakte der Taskforce mit Gurlitt, was dabei erörtert wurde, ist aber nicht bekannt. Öffentlich hat Cornelius Gurlitt nur mit der "Spiegel"-Reporterin Özlem Gezer gesprochen - ihr gab er vor ein paar Wochen ein Interview: "Ich werde nicht mit denen reden, und freiwillig gebe ich nichts zurück", zitiert der "Spiegel" den 80-Jährigen Kunsthändlersohn. "Die Bilder sind mein Privateigentum. Der Staatsanwalt hat genug, was mich entlastet."
Auch Anne Webber, Co-Direktorin der Kommission für Raubkunst in Europa und Vorsitzende des Zentralregisters für Raub- und Beutekunst in London, versteht das zögerlicher Verhalten der deutschen Behörden nicht. Webbers Amt in Großbritannien wurde unmittelbar nach der Washingtoner Konferenz 1998 gegründet. Damals hatten sich 44 Staaten - darunter auch Deutschland - darauf geeinigt, NS-Raubkunst aus ihren Museen und öffentlichen Einrichtungen zurückzugeben oder einen finanziellen Ausgleich mit den eigentlichen Eigentümern zu suchen. "Das ist jetzt 15 Jahre her, aber seitdem gibt es in Deutschland nur langsame Fortschritte die Empfehlung der Washingtoner Konferenz umzusetzen", so Webber.
Deutschland braucht eine unabhängige Behörde
Seit der Washingtoner Konferenz sind in Deutschland alle öffentlichen Einrichtungen aufgerufen ihre Kulturgutbestände zu überprüfen und unklare oder verdächtige Erwerbsvorgänge offen zu legen. In Großbritannien, den Niederlanden oder auch Österreich haben die Museen den klaren Auftrag der Regierung ihre Bestände nach Raubkunst zu durchforsten. Vielleicht bringt der Fall Gurlitt der deutschen Regierung einen Impuls, hier ein Gesetz zu verabschieden. Die österreichische Regierung hatte dies 1998 innerhalb kurzer Zeit getan nachdem ein Bild Egon Schieles als Raubkunst identifiziert und auf einer Auktion in New York aufgetaucht war.
Bei strittigen Restitutionsfragen hat der Bund in Deutschland eine Kommission unter der Juristin Jutta Limbach eingesetzt, die sich auf Wunsch beider Parteien einschaltet. Die Kommission hat eine beratene Funktion und kann nur Empfehlungen aussprechen, keine Entscheidungen treffen.
Provenienzforschung steht in Deutschland in der Kritik
"Viele Kunsthistoriker machen Provenienzforschung nebenbei oder nur auf Zeit. Es braucht Geld und Kompetenz. Wenn Provenienzforschung nachhaltig sein soll, brauchen die Museen neben finanzieller Unterstützung direkte Investitionen in ihre Infrastruktur", sagte Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin, gegenüber dem Handelsblatt. Die Situation habe sich entscheidend verändert, entgegnet Gilbert Lupfer der Nachrichtenagentur dpa. Er ist Leiter der Provenienzforschung der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Dort wird seit 2008 mit dem "Daphne"-Projekt Herkunft und Geschichte der Bestände erforscht und inventarisiert. In den Aufbau der digitalen Datenbank investierte das Bundesland Sachsen bisher rund 12,7 Millionen Euro.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat die Gelder für die Provenienzforschung im vergangenen Jahr von jährlich einer auf zwei Millionen Euro angehoben. Für Anne Webber ist das genau der richtige Weg, auch wenn sie einräumt, dass auch mit wenig Geld viel möglich sei: "Auch die britischen Museen haben das mit wenig finanziellen Mitteln hinbekommen." Der "Fall Gurlitt" fordert von Deutschland eine schnelle, faire und transparente Lösung im Umgang mit NS-Raubkunst und Restitution. Das wird eine der ersten Aufgaben sein, die die neue Bundesregierung im Bereich der Kulturpolitik bewältigen muss.