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Einsamer Reformer

Anna Kuhn-Osius7. Oktober 2008

Er war der Reform-Präsident des Iran: Mohammad Chatami. Vor den Wahlen 2009 meldet er sich zurück: Mit scharfer Kritik an seinem Nachfolger Ahmadinedschad und einer Kampfkandidatur gegen ihn.

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Mohammad Chatami. Quelle: AP
Ex-Präsident Mohammad ChatamiBild: AP

Die Jugendlichen im Iran wünschen sich Ex-Präsident Chatami zurück. Viele von ihnen wollen ausbrechen und sich von den staatlichen Zwängen des islamischen Regimes befreien. Chatami gilt als Hoffnungsträger, immer noch. Oder auch: Trotz allem. Denn der Ex-Präsident hat die Hoffnungen seiner Wähler bereits enttäuscht. Kann er sie trotzdem für sich gewinnen?

Harte Kritik

Mahmud Ahmadinedschad. Quelle: AP
Der Gegner Chatami: Irans populistischer Präsident AhmadinedschadBild: AP

Denn Chatami wird bei den Wahlen im Juni 2009 erneut kandidieren. Nach tagelangen Spekulationen kündigte er dies selbst Anfang Februar an. Damit bekommt Amtsinhaber Ahmadinedschad starke Konkurrenz im Kampf um das Präsidentenamt. Dieser schade dem Iran mit seiner "aggressiven Außenpolitik", schimpfte Chatami kürzlich und meldete sich damit nach langem Schweigen zurück: "Ist das etwa aktive Diplomatie, solche harschen und unüberlegten Standpunkte einzunehmen, die den Iran teuer zu stehen kommen und das Leben nur noch härter und machen?", kritisierte er die ständigen Drohungen des iranischen Präsidenten gegenüber Israel.

Alles offen?

Im Bezug auf die Wahlen im kommenden Jahr sei das "Kandidaten-Karussell noch sehr offen", sagt Johannes Reissner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. "Was hat Chatami denn schon neues zu bieten?", fragt er. Er sei zwar immer noch ein Hoffnungsträger für liberale Iraner, aber das allein reiche nicht mehr. Das Volk habe seinen Versprechen schon einmal geglaubt.

Junge Iranerinnen spielen Fußball
Junge Iraner wollen mehr FreiheitBild: DPA

Fast die Hälfte der iranischen Bevölkerung ist unter 30, die jungen Iraner, die sich unterdrückt fühlen, hatten fest auf Chatami gesetzt: Die junge Generation nervt, dass das Internet zensiert wird, dass westliche Filme und Musik verboten sind, dass Feiern und Konzerte nur noch heimlich stattfinden können – und oft genug von der Polizei aufgelöst werden.

Der politische Popstar

Chatami wollte das ändern. Er hatte nur ein Ziel, als er 1997 zum ersten Mal als Präsident antrat: Reformen. Für Menschenrechte allgemein und Frauenrechte im Besonderen. Für eine kluge, diplomatische Außenpolitik. Gegen Zensur und Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit. Er forderte eine "lebendige und produktive Auffassung von Religion" und bezeichnete den Holocaust – im Gegensatz zu seinem Amtsnachfolger Ahmadinedschad - als "historische Tatsache". Mit seinen Ideen traf er den Nerv des akademischen Iran, das nach Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Gleichberechtigung dürstet. Chatami siegte bei den Parlamentswahlen 1997 mit knapp 70 Prozent. Er wurde gefeiert wie ein Popstar.

"Milder Mullah"

Chatami mit Wolfgang Thierse 2001. Quelle: AP
Erfolgreiche Außenpolitik: Chatami empfängt Politiker aus aller Welt - auch Ex-Bundestagspräsident ThierseBild: AP

Im Westen löste Chatami damals große Hoffnung aus. In der Außenpolitik feierte er zahlreiche diplomatische Erfolge. Immer wieder warb er im Ausland für Verständigung und Verständnis: Er zollte "dem großen amerikanischen Volk "seinen Respekt, forderte einen "mitfühlenden und vertrauensvollen Kontakt" zwischen der westlichen und der arabischen Welt, wurde sogar vom Papst als "moderater Reformer" gelobt. Den "milden Mullah" nannte ihn die Zeitung Die Zeit und schwärmte geradezu: "Sein Blick warm und freundlich, seine Sprache gewinnend. Ein bedrohlicher, radikaler Mullah sieht anders aus." In Anspielung an Samuel Huntingtons Buch "Kampf der Kulturen" regte Chatami den "Dialog der Kulturen" an – und prompt ernannte die UNO das Jahr 2001 zum Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen.

"Er ist ein sehr positiver Mensch, sehr fähig", sagt Djavad Mohagheghi vom Islamischen Zentrum Hamburg. Er hat Chatami persönlich kennen gelernt, als dieser Ende der 1970er Jahre das Hamburger Institut leitete: "Chatami ist sehr gelehrt, er kann gut mit Menschen umgehen und hat einfach Charisma. Er strahlt eine große Ruhe aus – und ist immer offen für Dialog und Diskussion", erinnert er sich.

Gescheitert?

Ayatollah Chamenei. Quelle: AP
Geistiger Führer des Iran: Ayatollah ChameneiBild: AP

Aber bei der schrittweisen Reformierung und Öffnung des Irans scheiterte Chatami an der Macht des Klerus. Schnell hatte er die religiösen Hardliner und das konservativ geführte Parlament gegen sich. Der geistige Führer des Irans, Ayatollah Chamenei, verhinderte als unangefochtenes Oberhaupt bald jedes Reformgesetz Chatamis.

Schlimmer noch: Oft brachten Parlament und geistiger Führer gemeinsam Gesetze gegen Chatamis Willen auf den Weg. Der Präsident war machtlos im eigenen Land. Er selbst zog am Ende seiner ersten Amtszeit im Frühjahr 2001 die traurige Bilanz: Alle neun Tage hätten die Konservativen eine Regierungskrise produziert. Als er sich um die zweite Amtszeit bewarb, standen ihm Tränen in den Augen. Er wäre jetzt lieber woanders, würde seinem Volk lieber an anderer Stelle dienen, sagte er. Er musste zur Kandidatur überredet werden, heißt es.

Resignation

Chatami bei der Wahl. Quelle: Ap
Trotz aller Enttäuschungen: Chatami wird 2001 ein zweites Mal gewähltBild: AP

Die Bevölkerung hatte Chatami nach wie vor hinter sich. Er hätte es nutzen können, demonstrativ zurücktreten können, das Volk zu Demonstrationen aufrufen. Er tat es nicht. Er wollte kein Blutvergießen und wählte die Politik der kleinen Schritte. Demokratie sei ein Prozess, kein Projekt, erklärte er etwas hilflos.

Das frustrierte Volk antwortete mit Resignation und Desinteresse an der Politik. Die Wahlbeteiligung ging nach Chatami dramatisch zurück: Wählten 2000 noch 70 Prozent der Iraner, war es 2004 nur noch die Hälfte des Volkes, bei den Kommunalwahlen teilweise nur rund 30 Prozent. Viele Iraner haben den Glauben an die Politik verloren. Auch wegen Chatami. "Chatami hatte einen enormen Hoffnungsbonus, den er durch die Systemgrenzen nicht einlösen konnte", sagt Henner Fürtig vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien. Es gebe eine tiefe Frustration in der Gesellschaft. "Denn wenn selbst Chatami den Iran nicht reformieren kann – wer soll es sonst tun?"

Bedingungen

Chatamis größtes Problem ist bis heute die Macht des geistigen Oberhaupts Ayatollah Chamenei im Iran. "Ob der einen Präsidenten Chatami erneut duldet, ist sehr fraglich", sagt Johannes Reissner von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Chatami sei eine intellektuelle Konkurrenz für Chamenei, eine Bedrohung. Verständigung zwischen den beiden Männern werde es wohl kaum geben: "Da stoßen Weltbilder aufeinander."

Arme Frau auf ausgetrocknetem Reisfeld im Iran
Ausgetrocknete Reisfelder, stagnierende Wirtschaft: Die Iraner haben Angst um ihre Existenz

Fakt ist: Der Iran hat drängende wirtschaftliche Probleme, eine hohe Arbeitslosigkeit, eine explodierende Inflationsrate. Das bedrängt die Menschen. Und Ängste der kleinen Leute und Politikverdrossenheit der Intellektuellen helfen vor allem einem: Populisten wie Mahmud Ahmadinedschad.