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Der Corona-Hotspot Südamerika

2. Juni 2021

Peru hat die offizielle Zahl seiner Corona-Toten um mehr als das Doppelte nach oben korrigiert. Und das Virus hat den Rest des Kontinents fest im Griff.

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Brasilien Sao Paolo | Coronavirus | Begräbnis
Begräbnis bei Nacht: Beerdigung eines 32-jährigen Corona-Toten in Sao Paulo, BrasilienBild: Amanda Perobelli/REUTERS

Mehr als 180.000 Tote in Verbindung mit einer Corona-Infektion statt der bisher genannten knapp 70.000 Verstorbenen, neuer trauriger Spitzenreiter bei der COVID-19-Sterblichkeitsrate weltweit - die Zahlen, die in der ganzen Welt wie eine Bombe einschlugen, waren im betroffenen Peru nicht mehr als eine Randnotiz.

Vielleicht sagt das alles aus über ein Land, das sich schon so lange an fehlende Intensivbetten, den Mangel an Sauerstofflaschen und korrupte und reiche Impfdrängler gewöhnt hat. Peru fiebert den Präsidentschaftswahlen am Sonntag entgegen, da rückt die Pandemie trotz der ständigen Bedrohung für einige Tage in den Hintergrund.

Infografik Inzidenzen Weltweit DE

Doch wie ist eine Korrektur der Zahlen gleich um das Zweieinhalbfache zu erklären? Ganz einfach: Bislang tauchten in den peruanischen Statistiken nur die Toten auf, die positiv auf das Virus getestet worden waren. Nun sind auch die Verstorbenen dabei, deren klinischen Befunde "wahrscheinlich" für eine Infektion sprechen.

Brasilien: Copa América trotz hunderttausender Corona-Toten

Im östlichen Nachbarstaat Perus, dem größten südamerikanischen Land, hat die Anzahl der Pandemie-Toten nochmal eine neue Dimension erreicht: Brasilien ist mit mittlerweile mehr als 463.000 Toten in Verbindung mit dem Coronavirus hinter den USA weltweit die Nummer zwei in der Statistik der absoluten Zahlen. Und wie die Pandemie in Rio de Janeiro ihren Ursprung nahm, erzählt viel darüber, warum Südamerika so hart wie keine andere Region der Welt von dem Virus betroffen ist. 

Die mutmaßlich erste Corona-Tote Rios, Cleonice Goncalves, steckte sich wahrscheinlich bei ihrer Arbeitgeberin an, die das Virus vom Karneval in Italien eingeschleppt und dann ihre Hausangestellte angesteckt hatte. Cleonice Goncalves Geschichte zeigt den typischen Weg, den das Virus vor einem Jahr nahm: von Europa über die Oberschicht Südamerikas in die engen Armenviertel mit ihren oft katastrophalen hygienischen Bedingungen.

Brasilien Präsident Bolsonaro Trikot Nationalmannschaft
Lachen beim Anblick des Selecao-Trikots: Brasiliens Präsident Jair BolsonaroBild: José Cruz/Agência Brasil

Brasiliens populistischer Staatschef Jair Bolsonaro  verharmlost die Krankheit bis heute als kleine Grippe und scheut sich vor Lockdowns - das macht den gefährlichen Pandemie-Mix "perfekt". Brasilien mit seinen 212 Millionen Einwohnern rutscht gerade mit voller Wucht in die dritte Welle, wegen der brasilianischen Virus-Variante P1. Was das Land aber nicht davon abhält, jetzt die Ausrichtung des kontinentalen Fußball-Turniers Copa América übernehmen zu wollen.

Argentinien: Lockdown-Weltmeister und trotzdem hohe Corona-Zahlen

In Argentinien war man indes heilfroh, wegen Corona die Copa endlich los zu sein, die man zur Hälfte wiederum von Kolumbien geerbt hatte (der südamerikanische Fußballverband Conmebol hatte Kolumbien die Co-Gastgeberschaft wegen der sozialen Unruhen entzogen). Argentinien durchlebt gerade die schlimmste Phase seit Ausbruch der Pandemie, mit dem Rekordwert von mehr als 40.000 Neuinfektionen an einem Tag.

Die Regierung von Staatschef Alberto Fernández reagierte darauf mit einem knallharten Lockdown, schon im Vorjahr musste es niemand in Südamerika so lange in den eigenen vier Wänden aushalten wie die 45 Millionen Argentinierinnen und Argentinier. Der Präsident inszeniert sich mit den einschneidenden Maßnahmen gerne als Gegenentwurf zu seinem Amtskollegen aus Brasilien - doch seine Corona-Bilanz sieht nicht viel besser aus: in Argentinien sind bisher mehr als 78.000 Menschen an COVID-19 verstorben.

Argentinien Buenos Aires | Corona-Impfstoff | Sputnik V
Argentinien setzt bei den Vakzinen vor allem auf den russischen Impfstoff Sputnik VBild: Presidencia Argentina/dpa/picture alliance

Weil mittlerweile fast jeder zweite Argentinier unterhalb der Armutsgrenze lebt, bleibt der Bevölkerung nichts anderes übrig, als das zu tun, was das ganze Heer der Armen in Südamerika machen muss: man versucht, sich mit Jobs über Wasser zu halten, um irgendwie die Familie ernähren zu können - und die Corona-Maßnahmen zu umgehen. Und auch die erodierende Mittelschicht kann nicht mehr: In Argentinien trifft das Virus auf einen dankbaren Gegner, ein Land, das wie kein zweites auf dem Kontinent von einer Pleite zum nächsten Bankrott taumelt.

Uruguay - vom Corona-Streber zum Sorgenkind

Auf der anderen Seite des Río de la Plata hat man beim Thema Finanzen jahrzehntelang eher mitleidig auf den großen Bruder Argentinien geschaut: Uruguay wird immer noch "die Schweiz Südamerikas" genannt, viele Argentinierinnen und Argentinier legen noch heute ihr Geld lieber dort als in der Heimat an. Und auch beim Thema Corona fühlte sich das 3,5 Millionen-Einwohner-Land im letzten Jahr als Primus Südamerikas: keine einzige Neuinfektion an manchen Tagen, oft nicht mehr als 20 Fälle, kein Lockdown.

Uruguay Covid-19 | Präsident Luis Lacalle Pou wird geimpft
"Verantwortungsvolle Freiheit" - die Corona-Politik von Uruguays Präsident Lacalle Pou steht in der KritikBild: Ricardo Rey/AFP

Doch die Zeiten des Corona-Strebers sind unwiderruflich vorbei: fast 6000 Neuinfektionen vor drei Tagen, auch das kleine Land beklagt mittlerweile beinahe 4300 Corona-Tote. Ein Beispiel dafür, was passiert, wenn die Bevölkerung glaubt, das Virus längst besiegt zu haben. Und deswegen meint, auf Maske und Abstand verzichten zu können.

Gerade einmal etwas mehr als fünf Prozent der Weltbevölkerung leben in Südamerika, aber jeder dritte COVID-19-Tote weltweit ist in dieser Region zu beklagen; in einem Kontinent, der sich wieder im Winter befindet, dessen Krankenhäuser überfüllt und überfordert sind und der sich bei der weltweiten Vergabe der Impfstoffe mit ganz hinten anstellen musste. Virologen prognostizieren, dass Südamerika den idealen Nährboden für neue Mutationen bietet. Die dann wieder in die ganze Welt wandern dürften.