Der Bundeskanzler sucht die Entscheidung
23. Mai 2005Die Nachricht aus Berlin ließ nicht auf sich warten. Kaum waren die ersten Hochrechnungen bekannt, die den klaren Wahlsieg der CDU feststellten, da verkündete der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering die sensationelle Nachricht. Bundeskanzler Gerhard Schröder habe sich entschieden, ein Jahr vor der im Herbst 2006 regulär anstehenden Bundestagswahl ein Votum der Bürger herbeizuführen.
Kurze Zeit später sagte Bundeskanzler Schröder auf einer Pressekonferenz, er sehe die Grundlage für die Fortsetzung seiner Arbeit in Frage gestellt. Erste Erfolge auf dem Weg zu mehr Wachstum und Beschäftigung seien zwar erkennbar. Bis die Erfolge für jeden einzelnen spürbar seien, brauche es aber Zeit. "Vor allem aber braucht es die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für eine solche Politik", betonte der Kanzler.
Nach 39 Jahren SPD-Vorherrschaft zwischen Rhein und Weser schaffte die CDU klar den Machtwechsel und fügte damit auch Rot-Grün im Bund eine schwere Schlappe zu. Nach ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF kann die Union in Düsseldorf künftig zusammen mit der FDP mit deutlicher Mehrheit regieren. Damit fiel die letzte rot-grüne Koalition auf Landesebene.
"Wir wollen die Entscheidung"
Müntefering sagte, am Dienstag werde der SPD-Parteivorstand mit den Landesvorsitzenden zusammenkommen. Dort solle über die Neuwahl offiziell beraten werden. Über eine Neuwahl kann nur der Bundestag entscheiden. Müntefering: "Wir suchen die Entscheidung. Es ist Zeit, dass in Deutschland die Verhältnisse geklärt werden." Und weiter: "Die Menschen sollen sagen, von wem sie regiert werden wollen."
Die Unions-Spitze hat auf den Vorstoß von SPD-Chef Franz Müntefering nach Neuwahlen grundsätzlich positiv reagiert. CDU-Generalsekretär Volker Kauder sagte am Sonntag in Berlin, jeder Tag, an dem Rot-Grün eher abgelöst würde, sei ein guter Tag. Kauder verwies aber auf die hohen verfassungsrechtlichen Hürden, die für eine vorgezogenen Neuwahl des Bundestags genommen werden müssten. CSU-Chef Edmund Stoiber begrüßte die Initiative für Neuwahlen und will die Kandidaten-Frage "möglichst rasch" klären. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sagte, seine Partei sei bereit.
Schlechtestes Ergebnis für die SPD seit 50 Jahren
Den NRW-Hochrechnungen vom Abend zufolge erzielte die CDU mit ihrem zum zweiten Mal angetretenen Spitzenkandidaten Jürgen Rüttgers bei der Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland einen Zuwachs um rund 8 Punkte auf knapp 45 Prozent und wurde klar stärkste Partei im Landtag. Die Union distanzierte die SPD von Ministerpräsident Peer Steinbrück, die um mehr als 5 Punkte auf gut 37 Prozent absackte und damit ihr schwächstes NRW- Ergebnis seit 51 Jahren (1954: 34,5) verkraften musste. Grüne (rund 6 Prozent) und FDP (gut 6 Prozent) schafften trotz Verlusten sicher den Sprung in den Düsseldorfer Landtag.
Die Union hatte einen Sieg in Nordrhein-Westfalen zur entscheidenden Etappe auf dem Weg zur Ablösung der Bundesregierung erklärt. Vor der Wahl wurde ein CDU-Erfolg auch als Vorentscheidung der Unions-Kanzlerkandidatur zu Gunsten von Parteichefin Angela Merkel gewertet. Merkel sprach von einem "historischen Sieg", wich der Frage nach der Kanzlerkandidatur für CDU und CSU aber aus. Hessens Regierungschef Roland Koch kündigte eine Entscheidung darüber für Montag an.
Zuletzt hatte die CDU im Frühjahr in Schleswig-Holstein Rot-Grün von der Macht verdrängt und eine große Koalition unter eigener Führung geschlossen. Für Rot-Grün endete 20 Jahre nach dem Koalitions-Debüt in Hessen die Zeit gemeinsamer Landesregierungen. Mit dem Regierungswechsel in Düsseldorf baut die Union ihre Dominanz im Bundesrat zwar auf 43 von 69 Stimmen aus, hat dort jedoch auch weiterhin keine so genannte Blockade-Mehrheit.
Steinbrück räumt Niederlage ein
Steinbrück räumte den Machtverlust seiner Partei ein. "Die SPD hat eine bittere Wahlniederlage erlebt", sagte der SPD-Politiker in Düsseldorf. Zwar liege seine Partei mit ihrem Ergebnis bei der Landtagswahl noch über dem Bundestrend, doch habe sie ihre Wahlziele "in keinster Weise" erreicht. Er übernehme persönlich die Verantwortung für die Schlappe.
Die erstmals bei einer Landtagswahl antretende, von enttäuschten SPD-Mitgliedern und Gewerkschaftern gegründete Linkspartei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" war laut Prognosen ohne Chance (etwa 2 Prozent). Ähnlich erging es den rechtsextremen Parteien NPD und Republikaner. Die Wahlbeteiligung lag höher als 2000.
Enormes Interesse der internationalen Medien
Die Wahl in Nordrhein-Westfalen erregte nicht nur großes Interesse bei nationalen, sondern auch bei internationalen Medien. 1400 Journalisten aus aller Welt berichteten von der NRW-Wahl, darunter waren die Mitarbeiter von 15 ausländischen Fernsehsendern. TV-Journalisten kamen auch aus Japan, Israel und der Ukraine. Die schreibenden Redakteure berichteten für Blätter unter anderem in den USA, Südafrika und Indien. (stl)