Der Brexit-Showdown hat begonnen
15. Januar 2019Es ist der Countdown zum Showdown: Seit dem Mittag debattieren die Abgeordneten des britischen Parlaments über die Regelungen zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Alles deutet darauf hin, dass die Parlamentarier das von Regierungschefin Theresa May mit der EU ausgehandelte Abkommen ablehnen werden.
Vier mögliche Szenarien nach einem Nein
Um den Vertrag durchs Parlament zu bekommen, benötigt May eine einfache Mehrheit von insgesamt 318 Ja-Stimmen. Zwar hat das britische Unterhaus 650 Abgeordnete. Doch sieben Sinn-Fein-Abgeordnete nehmen ihre Sitze aus Protest gegen den britischen Staat generell nicht wahr, und vier Parlamentssprecher enthalten sich. Die Stimmen von vier weiteren Abgeordneten, zwei von jeder Seite, die für ein korrektes Auszählen zuständig sind, werden ebenfalls nicht mitgezählt.
Nein-Stimmen dürfte es von Abgeordneten aller Parteien geben. Eine ganze Reihe von Mays 317 konservativen Tories sowie die zehn Abgeordneten der nordirischen DUP, die Mays Minderheitsregierung in anderen Belangen normalerweise stützen, wollen definitiv gegen den Vertrag stimmen. In die Ablehnungsfront reihen sich außerdem die meisten Abgeordneten der oppositionellen Labour-Partei, der schottischen SNP und der Liberaldemokraten ein.
Bevor über den eigentlichen Vertragsentwurf abgestimmt werden kann, muss das Parlament noch über zahlreiche Änderungsanträge entscheiden. Nach der erwarteten Abstimmungsniederlage ist May dann verpflichtet, binnen drei Tagen einen "Plan B" vorzulegen. Möglich sind ein neuer Anlauf im Parlament, ein Misstrauensvotum gegen May, ein chaotischer EU-Austritt - oder gar eine Abkehr vom Brexit.
EU: Gespräche ja, Nachverhandlungen nein
Fällt Mays Niederlage nicht zu krachend aus, könnte die Premierministerin versuchen, weitere Zugeständnisse von der EU zu bekommen und dann einen zweiten Anlauf zur Annahme des Brexit-Vertrags im britischen Parlament zu nehmen. Zwar mehrten vor der Abstimmung in London auf Seiten der EU die Stimmen, die Großbritannien weitere Gespräche in Aussicht stellen.
Bundesaußenminister Heiko Maas etwa sagte: "Falls es heute Abend schiefgeht, könnte es noch Gespräche geben."Echte Neuverhandlungen des Ausstiegsvertrags aber lehnt er ebenso wie die EU ab. So sagte Maas: "Das Abkommen steht, so wie es ist." Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionschef Jean Claude Juncker blocken Nachverhandlungen bisher ab.
Es droht ein ungeregelter Brexit
Eine Abkehr vom Brexit kommt wiederum für May nicht in Frage. Auf einer Kabinettssitzung am Mittag hatte die Premierministerin noch einmal ihre Entschlossenheit bekundet, auch bei einer Abstimmungsniederlage den "Willen des Volkes" umzusetzen - also einen EU-Austritt. Ihr Sprecher teilte mit, es sei im Kabinett auch nicht über eine Verschiebung des Austrittstermins 29. März gesprochen worden. Thema seien hingegen die Planungen für einen ungeregelten Brexit gewesen.
Dieser droht am 29. März 2019, sollte May den Deal trotz aller Versuche nicht durchs Parlament bekommen. Wirtschaft und EU-Politiker warnen seit Monaten vor diesem Szenario. Auch May selbst erklärte, für den Fall eines ungeregelten EU-Austritts drohe Großbritannien auseinanderzubrechen.
Ein Brexit ohne Abkommen mit der EU könnte aber noch durch eine andere Folge des erwarteten Nein im Unterhaus aufgeschoben werden: ein Misstrauensvotum gegen May.
Corbyn kündigt Misstrauensantrag an
Genau das hat die oppositionelle Labour-Partei im Sinn. Nachdem Oppositionsführer Jeremy Corbyn in diesem Punkt lange geschwankt hatte, kündigte er nun an, sobald wie möglich ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin zu beantragen.
Laut Medienberichten könnte dies bereits am Mittwoch der Fall sein. Sollte May bei einem Misstrauensvotum durchfallen, hätte das Unterhaus 14 Tage Zeit, eine neue Regierungsmehrheit zustande zu bringen. Andernfalls muss es Neuwahlen geben.
Sollte die Labour-Partei als Gewinner aus einer möglichen Neuwahl hervorgehen, würde Corbyn die Bedingungen des Brexit-Deals mit der EU neu verhandeln, sagte er. Ein zweites Referendum über den Brexit hat der Oppositionsführer ebenfalls nicht ausgeschlossen.
cw/jj (afp, dpa, rtr)