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Debalzewe unter Dauerbeschuss

Inna Kuprijanowa / Roman Goncharenko4. Februar 2015

Die Stadt Debalzewe in der Ostukraine lebt seit Wochen unter Dauerbeschuss. Es droht eine blutige Kesselschlacht. Angesichts der schwierigen Evakuierung der Bevölkerung warnen Helfer vor einer humanitären Katastrophe.

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Ukraine Zerstörung Kindergarten in Debaltseve (EPA/ANASTASIA VLASOVA)
Bild: picture alliance/dpa/Anastasia Vlasova

"Meine vierjährige Enkelin und ich lebten zwei Wochen lang in einem Keller, es war feucht und dreckig", erinnert sich Jewhenia, Bewohnerin der ostukrainischen Stadt Debalzewe. "Es gab dort viele andere Kinder, auch Säuglinge."

In dem unterirdischen Unterschlupf gibt es keinen Strom, das Essen wird auf offenem Feuer gekocht. "Wasser habe ich aus einem Bach im naheliegenden Wald geholt", erzählt Jewhenia. Jeder Gang dahin war lebensgefährlich, denn der Wald wurde von der Artillerie beschossen.

Jewhenia und ihre Enkelin haben die Stadt am 2. Februar verlassen. Einst lebten rund 25.000 Menschen dort, heute wirkt die Stadt leer. Das Leben in den vergangenen Monaten ist unerträglich geworden. Das Mobilfunknetz ist lahmgelegt. Ganze Viertel liegen in Ruinen.

Gefangen in Kellern

Die Lage der Bewohner sei katastrophal, erzählte der DW ein ukrainischer Freiwilliger, der anonym bleiben möchte. Zusammen mit anderen hilft er, die Bevölkerung in Debalzewe mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. "Die Menschen leben nicht mehr in ihren Wohnungen, sondern nur noch in Kellern", erzählt er. "Es gibt dort auch Verwundete. Krankenhäuser und Apotheken haben geschlossen."

Ein Mensch versteckt sich im Keller vor der Bombardierung (Foto: EPA/ANASTASIA VLASOVA +++(c) dpa - Bildfunk)
Unter Beschuss: Die Bevölkerung von Debalzewe sucht Schutz im KellerBild: picture-alliance/dpa/A. Vlasova

Olexander Horbatko, Leiter der Nichtregierungsorganisation "Donbass SOS", bestätigt das. Die Lage in der Stadt sei in Wirklichkeit dramatischer, als die ukrainischen Behörden zugäben. "Da es keine Telefonverbindung gibt, sind die Leute von der Außenwelt abgeschnitten", erzählte Horbatko der DW. "Nur einzelne Menschen bekommen humanitäre Hilfe, Lebensmittel und Wasser werden nur in die Stadtmitte geliefert".

Strategischer Verkehrsknoten

Debalzewe liegt tief in der ostukrainischen Provinz, rund 70 Kilometer nordöstlich von der Millionenstadt Donezk. Anders als Donezk wird Debalzewe jedoch nicht von den prorussischen Separatisten, sondern von der Regierung kontrolliert. Seit Monaten versuchen diese, die Stadt einzunehmen. Sie ist ein wichtiger Verkehrsknoten, denn dort verläuft die Eisenbahnstrecke, die die Separatistenhochburgen Donezk und Luhansk verbindet.

Seit Ende Januar behaupten die Separatisten, bis zu 8000 ukrainische Soldaten um Debalzewe eingekesselt zu haben. Die faktische Frontlinie macht es möglich. Denn die Region um Debalzewe ist mindestens von drei Seiten von Separatisten umringt. Die ukrainische Armee bestreitet dies. Kiew gibt aber zu, dass hier die derzeit schwersten und blutigsten Kämpfe toben.

Die ukrainische Regierung hat deshalb eine Evakuierung der zivilen Bewohner aus Debalzewe angeordnet. Bisher habe man rund 2500 Menschen in Sicherheit bringen können, darunter rund 700 Kinder, erklärte in Kiew am 4. Februar der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk.

OSZE fordert Korridor für Flüchtlinge

Doch nach Angaben von freiwilligen Helfern verläuft die Evakuierung der Bevölkerung schwierig. Einen sicheren Weg gebe es nicht mehr. Immer wieder würden Autos und Busse beschossen. Jede Seite gebe der anderen die Schuld daran.

Zerstörte Gebäude in Debaltsewe (Foto: EPA/ANASTASIA VLASOVA )
Bombenhagel hat die Stadt Debaltsewe in eine Ruinenlandschaft verwandeltBild: picture-alliance/dpa/A. Vlasova

Vor diesem Hintergrund bat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Konfliktparteien um eine dreitätige Waffenruhe. Dies sei nötig, um die Zivilisten in Sicherheit bringen zu können.

Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik der Bundestagsfraktion der Grünen, warnte vor einer "humanitären Katastrophe unvorstellbaren Aufmaßes". Jeder Gesprächskanal müsse genutzt werden, "um den drohenden Tod tausender Menschen zu vermeiden", erklärte sie.

Jewhenia ist mit ihrer Enkelin bei einer Freundin in der Stadt Artemiwsk untergekommen. Der Krieg ist für sie "wie der schlimmste Albtraum". Sie fragt sich immer wieder, wann der Himmel über der Ostukraine endlich wieder friedlich sein wird.