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Degenkolb: "Der WM-Titel ist möglich"

Joscha Weber19. November 2014

Er ist der Idealtyp des modernen Radprofis: Erfolgreich, verantwortungsbewusst und mit klarer Haltung gegen Doping. Im DW-Interview spricht John Degenkolb über die Entwicklung des Radsports und sein großes Ziel.

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Küsschen für den Sieger: John Degenkolb gewann Gent-Wevelgem 2014 (Foto: dpa)
Küsschen für den Sieger: John Degenkolb gewann Gent-Wevelgem 2014Bild: picture-alliance/dpa

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DW: John Degenkolb, eine lange Saison liegt hinter Ihnen. Freuen Sie sich, das Rad jetzt mal in die Ecke stellen zu können?

John Degenkolb: Ja auf jeden Fall. Die Saison eines Radsportlers ist relativ lang wenn man das mit anderen Sportarten vergleicht. Sie beginnt im Februar und endet Mitte Oktober. Das bedeutet, man hat nicht so viel Zeit, um wirklich das Rad komplett in die Ecke zu stellen. Diese Zeit nutzt man natürlich auch intensiv, um in den Urlaub zu fahren, um Sachen zu machen, die man während der Saison nicht kann. Von daher genieße ich die Zeit jetzt wahnsinnig. Sie gibt mir wieder Kraft und Motivation, um neu anzufangen.

Blicken wir nochmal zurück auf die vergangene Saison. Sie haben zahlreiche Siege zum Beispiel bei der Vuelta oder bei Paris-Nizza eingefahren, dazu auch ein paar starke zweite Plätze bei Paris-Roubaix oder der Tour de France. Wie lautet jetzt ihr persönliches Fazit dieser Saison?

Ich bin wirklich eine Super-Saison gefahren. Ich bin echt gut in die Saison gestartet mit meinem ersten Klassiker-Sieg (bei Gent-Wevelgem, Anm. d. Red.). Bei Paris-Roubaix, ein Rennen, das wirklich ein großer Traum von mir ist, bin ich auf Platz zwei gelandet. Bei der Tour de France hat es aufgrund diverser Umstände nicht mit dem Etappensieg geklappt und am Ende standen zwei zweite Plätze. Das ist nicht schlecht, aber natürlich auch nicht unbedingt das, was ich mir erhofft habe. Der Herbst war dann sehr erfolgreich mit den vier Etappensiegen bei der Vuelta, dem grünen Trikot dort und auch meinem Top-Ten-Resultat bei der WM.

"Ich habe gute Chancen auf den WM-Titel"

Bei jenem Weltmeisterschafts-Rennen in Ponferrada hätten Sie fast gar nicht starten können, weil sie kurz zuvor mit geschwollenen Lymphknoten sechs Tage im Krankenhaus gelegen haben. Trotzdem wollten Sie starten. Ist es ihnen nicht mal der Gedanke gekommen: Was tue ich meinen Körper da an?

Nein. Mir war wichtig, dass ich meine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen werde. Ich versuche natürlich alles für meine Träume zu tun. Aber ich bin auch Realist genug, dass ich meine Karriere im besten Fall vielleicht 15 Jahre andauern wird. Danach würde ich gerne noch ein normales Leben führen. Mein Zustand wurde von diversen Ärzten jeder Zeit überwacht, und ich habe mir versichern lassen, dass ich definitiv kein Risiko eingehe.

John Degenkolb jubelt (Foto: dpa)
Seriensieger: Spanien ist sein Terrain. Bei der Vuelta gewann Degenkolb vier Etappen und das Grüne Trikot des PunktbestenBild: picture-alliance/dpa/J.Lizon

Trotz des Krankenhaus-Aufenthalts sind Sie bei der WM ganz vorne mitgefahren. Heißt das für die Zukunft: Der WM-Titel ist für John Degenkolb möglich?

Ich denke, er ist auf jeden Fall möglich. Da spielen natürlich verschiedene Faktoren eine Rolle: Man braucht eine gute Form, der Kurs muss einem liegen, und man braucht eine gute Mannschaft im Rücken. Wenn das alles zusammenkommt, dann habe ich eine gute Chance, den WM-Titel in Zukunft zu erringen.

"Es ist ein klarer Aufwärtstrend erkennbar"

Um einen solchen Weg zu gehen, haben sich manche Sprinter im Laufe ihrer Karriere stärker auf die Klassiker konzentriert und dadurch etwas an Endegeschwindigkeit in Sprint eingebüßt. Wäre das auch ein Weg für Sie?

Ja, definitiv. Ich denke, dass mein Potenzial eher im Klassikerbereich liegt als in reinen Massensprint. Ich habe einfach nicht diese absurde Schnelligkeit, wie sie Marcel Kittel, Mark Cavendish oder André Greipel haben. Aber bei harten Rennen bin ich durchaus in der Lage, solche Fahrer im Sprint zu schlagen.

Einer dieser drei ist Ihr Teamkollege: Marcel Kittel, hinter dem Sie bei der bisher etwas im Schatten standen. Sind Sie immer noch zufrieden mit dieser Aufgabenteilung, oder wünschen Sie sich für die Zukunft die alleinige Kapitänsrolle?

Im Moment bin ich da noch sehr zufrieden. Ich habe einen Vertrag über drei Jahre unterschrieben und will diesen Vertrag auch erfüllen. Was danach passiert, ist einfach noch nicht entschieden. Momentan bin ich sehr glücklich, so wie es ist.

Ihr Team bekommt im Winter einen deutschen Sponsor. Ist das ein Signal, dass es mit dem deutschen Radsport jetzt wieder etwas bergauf geht?

Auf jeden Fall. Wir haben in den letzten Jahren wichtige Arbeit geleistet und wichtige Gespräche geführt. Es ist gut, dass jetzt auch wieder die ARD ernsthaft überlegt, in die Übertragung der Tour de France einzusteigen. Da ist ein klarer Aufwärtstrend erkennbar. Ich hoffe dass es so auch weitergeht.

"Ich hoffe, dass das Anti-Doping-Gesetz nun auch tatsächlich kommt"

Sie selbst sollen sich mit anderen Fahrer-Kollegen bei den Sendern dafür stark gemacht haben. Wie haben Sie versucht, die TV-Verantwortlichen zu überzeugen?

Im Grunde genommen muss man nicht mehr und nicht weniger erzählen, als das, was die Realität ist: Es hat sich einfach viel im Radsport geändert. Wir sind eine neue Generation, die in einer ganz anderen Art und Weise mit dem Thema Doping aufgewachsen ist. Wir sind viel sensibilisierter. Es gibt ein viel ausgeklügelteres Kontrollsystem, und es gibt Blutpässe. Ich hoffe, dass das Anti-Doping-Gesetz nun auch tatsächlich kommt. Über solche Dinge habe ich mich mit den Verantwortlichen unterhalten.

John Degenkolb jubelt (Foto: dpa)
John Degenkolb sagt zum Thema Doping: "Mehr als die Wahrheit sagen, kann ich nicht."Bild: picture-alliance/dpa/J.Lizon

Trotz aller Anstrengungen des Profiradports stellen sich viele Sportfans nach wie vor eine Frage: Warum sollte man Ihnen glauben? Schließlich hat man all das von der vorherigen Radprofi-Generation auch schon gehört. Wie lautet ihre Antwort auf diese Frage?

Das habe ich immer wieder gesagt: Wir erzählen in der Tat dasselbe wie unsere Vorgänger. Wir müssen also jetzt einfach einen Weg finden, wie wir die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen können. Denn mehr als die Wahrheit sagen kann ich nicht.

"Die Pauschal-Verdächtigungen nerven und tun weh"

Stören Sie diese Pauschal-Verdächtigungen manchmal?

Ja, selbstverständlich. Das nervt, und das tut weh. Man steigt tagein, tagaus aufs Rad und versucht, sauberen Sport zu betreiben. Dennoch wird man von vielen schräg angeschaut, und wir werden mit Fragen konfrontiert, die eigentlich nicht an uns gerichtet werden sollten.

Dennoch sind ja derzeit Zeichen der Hoffnung für den Radsport erkennbar. Sogar ein Tour-Start in Deutschland scheint wieder möglich. Tourchef Christian Prudhomme hat sich dazu schon im Münsterland umgesehen und Hoffnung gemacht. Was muss sich jetzt in Deutschland tun, damit der Radsport wieder die Massen an die Strecke lockt wie beispielsweise 2000 in Freiburg oder 2002 in Saarbrücken?

Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir genauso weitermachen wie in den letzten vier Jahren. Wir waren erfolgreich und sind offen mit allen gestellten Fragen umgegangen. Wir dürfen keine Interviews verneinen, wenn kritische Fragen gestellt werden. Wir müssen transparent und glaubwürdig rüberzukommen. Das ist es, was wir tun müssen.

Radprofi John Degenkolb ist 25 Jahre alt. Seit 2012 fährt der gebürtige Thüringer für das niederländische Team Giant Shimano. Bei Spanienrundfahrten sammelte der Sprinter bereits neun Etappensiege, bei der Vuelta 2014 gewann Degenkolb die Punktewertung. Weitere Höhepunkte seiner bisherigen Karriere war ein Etappenerfolg beim Giro d’Italia 2013 und Siege bei den Rad-Klassikern Paris-Tours (2013) und Gent-Wevelgem (2014).

Das Interview führte Joscha Weber.