Benedikt sieht Geisterstädte
24. September 2011Als das Auto mit dem Kennzeichen "SCV 1" um die Ecke in der Altstadt von Freiburg biegt, brandet Jubel auf. Denn dieses Kennzeichen trägt das Papamobil. Mit dem weißen, verglasten Gefährt bewegte sich der Papst über den Münsterplatz, um die ausgesuchten Freiburger Bürger zu begrüßen. An jeder Seite des Papamobil gehen vier breitschultrige Leibwächter. Um am Samstag (24.09.2011) den Papst bei seinem einzigen öffentlichen Auftritt außerhalb einer Messe zu sehen, mussten sich Tausende von Papst-Fans schon vor Wochen um eine Eintrittskarte bewerben. Nur mit der Karte wurden sie von der Polizei in die komplett abgeriegelte Innenstadt vorgelassen.
"Ich bin glücklich bei euch in Freiburg zu sein", rief der Papst und breitete wie immer segnend die Arme aus. Die Menge klatschte und schwenkte weiß-gelbe Fähnchen. Und schon war der Papst wieder in einer schweren schwarzen Limousine verschwunden, die ihn zu Gesprächen in die Bischofsresidenz brachte. 5000 Polizisten sind in Freiburg im Einsatz. Die Sicherheitsleute sind noch angespannter als sonst, weil am Vormittag Wachpersonal am Domplatz in Erfurt mit einem Druckluft-Gewehr beschossen wurde. Viele Pilger hatten stundenlang vor dem Münster auf den Papst gewartet. Es hat sich gelohnt, war die einhellige Meinung der Fans. "Wenn er schon einmal hier ist, muss man ihn auch sehen. Der kommt so schnell nicht wieder", meinte eine ältere Dame aus Bad Krozingen, in der Nähe von Freiburg. "Der Papst kommt zu seinen Lebzeiten auch nicht mehr nach Freiburg, schließlich ist der 84 Jahre alt", sagte ein anderer Zuschauer auf dem Münsterplatz.
Deutsche Behörden besonders gründlich
Außerhalb der Absperrungen rund um die Innenstadt irrten spanische Touristen umher, die gar nicht wussten, dass der Papst heute zu Gast ist. Verärgerte Radfahrer schimpfen, weil selbst das Radeln aus Sicherheitsgründen verboten ist. Die Kassiererin der Tankstelle an der Leo-Wohleb-Straße dreht Däumchen. Sie hat zwar, anders als viele Geschäfte in Freiburg, geöffnet, aber Polizeiautos haben die Zufahrt zur Tankstelle abgesperrt. Sogar die Autobahn A5 wurde für eine Stunde in beide Richtungen dich gemacht, weil auf ihre die Wagenkolonne vom Flughafen in die Stadt fuhr.
Der Papst selbst bekommt von dem Sicherheitsrummel um ihn herum nicht viel mit, sagt sein Sprecher Federico Lombardi in Freiburg. Aus dem Autofenster heraus wird er aber feststellen können, dass er in Berlin, Erfurt und Freiburg durch völlig leer geräumte Straßen fährt. Geisterstädte sagen dazu einige der mitreisenden Journalisten aus dem Vatikan. "Die sind in Deutschland da besonders gründlich", sagt eine alt gediente Korrespondentin. Papst-Sprecher Lombardi weist darauf hin, dass der Vatikan die Sicherheitsvorkehrungen den gastgebenden Staaten überlässt. Er habe, so Lombardi, in dieser Hinsicht schon viel erlebt: "Auf Malta gab es überhaupt keine Polizei oder Sicherheitskontrollen, in der Türkei waren - gefühlt - Millionen von Polizisten auf den Straßen." Für Benedikt XVI., so sein Sprecher weiter, sei es aber sehr wichtig, Menschen zu begegnen. Also, bitte nicht zuviel Sicherheit, fügt er augenzwinkernd hinzu. Der Papst gehört weltweit zu einer Gruppe von nur vier Personen, für die die höchste Sicherheitsstufe eins gilt: Der US-Präsident, der russische Präsident, der Präsident Afghanistans und eben der Pontifex aus Rom.
"Es wurde geweint"
Besonders beeindruckt und erschüttert habe den Papst seine Begegnung mit fünf Opfern von sexuellem Missbrauch in katholischen Einrichtungen am Freitagabend in Erfurt, berichtet der Generalkoordinator der Reise, Pater Hans Langendörfer am nächsten Tag. Der Papst habe den Raum, in dem das Gespräch ohne Sicherheitsleute und Helfer stattfand, sichtlich bewegt und voller Schmerz verlassen, sagte Langendörfer. "Es wurde auch geweint." Er könnte aber nicht bestätigen, ob Benedikt XVI. auch geweint habe, so Pater Langendörfer. Die Opfer haben dem Papst über die Verbrechen, die von Kirchenangehörigen an ihnen begangen wurden, berichtet. Der Papst habe hauptsächlich zugehört und versichert, dass die Kirche alles tun werde, um aufzudecken und zu helfen, sagte der Sprecher des Vatikans, Federico Lombardi in Freiburg. Es ist nach den USA, Malta, Australien und Großbritannien das fünfte Mal, dass sich der Papst auf einer Auslandsreise mit Missbrauchs-Opfern trifft.
Hunderte Opfer
Der Skandal hatte die katholische Kirche im Jahr 2010 tief erschüttert und zu einer Austrittswelle geführt. Bislang hätten 700 Opfer Antrag auf Entschädigung gestellt, sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz Matthias Kopp. Die genaue Zahl der Opfer werde noch durch wissenschaftliche Studien ermittelt. Die Zahl der kircheninternen Ermittlungsverfahren gegen Priester soll bei rund 50 liegen. Die aufgedeckten Fälle liegen teilweise 30 oder 40 Jahre zurück. Die katholische Kirche hat den Opfern Entschädigungen von bis zu 10.000 Euro angeboten, je nach Einzelfall. Fälle von sexuellem Missbrauch wurden in Deutschland auch in Einrichtungen anderer Kirchen, staatlichen Heimen und auch Sportvereinen aufgedeckt.
Freiburg ist die letzte Station beim dritten Besuch des Papstes in Deutschland. Den Abschluss bilden am Sonntag (25.09.2011) eine Messe mit erwarteten 100.000 Teilnehmern und eine Rede im Konzerthaus. Von ihr hatten Beobachter Aussagen zu den Problemen in der katholischen Kirche oder zu ethischen Aspekten der Finanz- und Schuldenkrise in Europa erwartet.
Trotz des anstrengenden Programms und seines hohen Alters sei der Papst immer noch fit, sagte sein Sprecher Federico Lombardi: "Es geht ihm gut und er genießt die Reise sehr."
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Marko Langer