Das Leben geht weiter: Berlin im Lockdown
16. Dezember 2020Die Linienstraße in Berlin-Mitte ist eine der Fahrradstraßen der Hauptstadt. Normalerweise fährt hier unter der Woche ein Rad hinter dem nächsten. Für Anwohner ist es schwierig geworden, die Straße zu überqueren. Doch seit diesem Mittwoch ist Berlin, genauso wie der Rest der Republik, im "harten Lockdown". Kaum ein Fahrrad ist deshalb unterwegs in der Linienstraße, es fühlt sich an wie Wochenende.
Es gilt zwar keine Ausgangssperre in Berlin, aber das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur aus "triftigen Gründen" gestattet. Die scheint der ein oder andere zu haben. Auf den Bürgersteigen ist jedenfalls relativ viel los. Kinder sollten schließlich vor die Tür, an die frische Luft. Hunde müssen das wegen ihrer Verdauung auch.
Und: Baulärm ist zu hören in Berlins Mitte. Denn hier wird weiterhin gebaut, wie seit 30 Jahren schon. Home-Office geht da nicht. Lastwagen bringen Baumaterial, Kräne hieven schwere Teile durch die Luft, bauen Büros und Wohnungen für die Zukunft. Die gerade aber einen Dämpfer hinnehmen musste: Erstmals seit 15 Jahren schrumpft Berlins Einwohnerzahl, gab der Senat bekannt. Junge Familien ziehen aufs Land, weniger Menschen aus aller Welt sind hergezogen - auch das eine Folge der Pandemie.
Neues Verkaufsmodell trotz Lockdown
Auf der Friedrichstraße sind die meisten Läden zu - aber nicht alle. Wer zum Beispiel noch Lücken in der Weihnachtsdeko zuhause hat, kann irgendwie trotzdem einkaufen. Schon sechs Bestellungen seien eingegangen, erzählt die Verkäuferin eines Deko-Shops am ersten Vormittag des Lockdowns. Sie steht direkt im Eingang des Ladens, vor ihr eine Art Theke mit einem Schild: "Hier Abholstation". Die Kunden könnten im Netz bestellen und sich die Ware vor Ort abholen, erzählt sie. Die ersten Einkaufstüten für die Bestellungen stünden schon bereit.
"Als Privatperson finde ich den Lockdown richtig, als Arbeitnehmerin natürlich nicht", sagt sie. Aber immerhin könne nun ja wenigstens etwas verkauft werden. Dem neuen "Click-and-Collect-Modell" sei es gedankt, das vom Land Berlin trotz Lockdown genehmigt wurde.
Kunst und Politik machen weiter
Am Brandenburger Tor ist auf den ersten Blick tote Hose. Nicht überraschend, das ist schon seit Monaten so. Schließlich fehlen die Touristen, die sonst den Platz beleben. Auf der West-Seite aber wird gerade eine Reihe eigenartiger Wolfsskulpturen aufgestellt. Das seien keine bösen Weihnachtsgeister, sondern "Warrior gegen die Demokratie", erklärt der Künstler Rainer Opolka sein Werk. Eigentlich wollte er die mannshohen acht Bronzefiguren direkt vor die nebenan stehende US-Botschaft stellen, erzählt er. "Aber das durfte ich nicht".
Von seinen Mitarbeitern bekommen die Skulpturen gerade noch eine Art blonde Perücke aufgesetzt. "Das soll an Donald Trump erinnern", sagt der Künstler und es solle ihm einen Spiegel vorhalten unter dem Motto: "Sind Sie, Herr Präsident, ein blinder Krieger gegen die Verfassung?" In Berlin lebt die Kunst - trotz alledem.
Im angrenzenden Regierungsviertel sind die Straße kaum weniger verstopft als sonst. Nicht verwunderlich, denn trotz Lockdown ist Bundestagswoche - auch die Politik macht weiter. Am Nachmittag beraten die Parlamentarier im Reichstags-Gebäude unter anderem über "pandemiebedingte Wirtschaftshilfen" und über mehr Arbeitsschutz in der Fleischindustrie, wo es auch wegen schlechter Arbeitsbedingungen viele Corona-Infektionen gab.
Was sonst noch funktioniert
In der City-West rund um den Kurfürstendamm sind viele Handwerker, Obdachlose - und Menschen mit Lunchpaketen unterwegs. In den vergangenen Wochen haben einige Läden rund um den Savignyplatz mit ihrem Mittagsgeschäft relativ gute Umsätze gemacht. Wie in den Tagen zuvor gibt es auch jetzt wieder Schlangen vor manchen Läden. Das Deli "Einhorn" hat sein Geschäft den neuen Gegebenheiten angepasst. So gibt es vorgeschriebene Wege für die Abholung von Vorbestellungen und für die spontanen Take-Aways. "Ja", sagt die Frau an der Kasse, "das Geschäft läuft auch heute gut".
Ein paar Minuten Fußweg davon gibt es einen sehr beliebten Buchladen. "Wir haben weiterhin geöffnet!" steht auf einem Schild. Darunter steht trotzig, dass "Buchläden nun einmal "geistige Tankstellen" seien.
Die wohl größte "geistige Tankstelle" der Stadt wird derweil an diesem Tag in der City-Ost - digital - eingeweiht. Bislang war es die größte Kulturbaustelle des Landes. Nun sollen im wieder aufgebauten Hohenzollern-Schloss, Humboldt-Forum genannt, Ausstellungen und Events stattfinden. Wann das wieder möglich sein wird - das weiß derzeit wohl aber niemand. Aber die Ansprüche sind hoch. Es solle eine "internationale Dialogplattform für globale kulturelle Fragen" entstehen, heißt es bei der Eröffnung. Berlin ist bekannt für eine gewisse Großspurigkeit, die oftmals an vermeintlich kleinen Dingen scheitert, wie der gerade mit Jahren verspätet eröffnete Flughafen zeigt.
Aus einer ganz anderen Ecke Berlins kam am ersten Lockdown-Tag dann doch eine gute Nachricht. "Wir sind für die Impfungen startbereit!" hieß es vom Senat. Berlin hofft auf das Jahr 2021; darauf, dass es ein besseres werde.