Berlin vor dem Lockdown
15. Dezember 2020Nicht mehr lang, dann muss auch der "Gentlemen's Circle", ein edler Barbershop in Berlin-Mitte, dicht machen. Barbier Valentino wirbelt durch den Laden. Er zeigt auf das Telefon vor ihm auf dem Tresen. "Nur Stress, nur Stress", sagt er. Im Display taucht ein verpasster Anruf nach dem anderen auf. Alles Kunden, die schnell noch das Haar geschnitten und den Bart getrimmt haben wollen.
Dass nun auch Friseure und Schönheitssalons in Deutschland ab 16. Dezember wieder schließen müssen, kam für viele überraschend. Noch vor einigen Wochen hatte der Bundesgesundheitsminister das als unwahrscheinlich eingestuft. Doch vergangenen Sonntag entschieden Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder: die Läden müssen bis zum 10. Januar schließen. Wer noch einen Haarschnitt braucht, hatte also nur zwei Tage Zeit dafür.
Wenig Zeit blieb auch für den Einkauf von Geschenken. Fünf Minuten Fußweg vom "Gentlemen's Circle", in der Friedrichstraße, steht eine Schlange Menschen vor den gläsernen Türen eines großen Buchhändlers. Eine Frau dirigiert den Einlass. Die Stimmung ist aggressiv. Wer im Weg steht, wird umgerannt, angeranzt oder mit genervtem Unterton gefragt, ob man nun in der Schlange stehe oder nicht. Für besinnliche Stimmung ist ja in den Wochen des Lockdowns ausreichend Zeit, mag mancher denken.
Verlierer der Krise
Läden des täglichen Bedarfs, etwa Lebensmittelgeschäfte, dürfen weiter öffnen. Doch für den Rest des Einzelhandels und die Friseure ist der zweite Lockdown in diesem Pandemie-Jahr ein herber Einschnitt: Normalerweise sei der Dezember für Friseure der umsatzstärkste Monat des Jahres, da sich kurz vor den Feiertagen noch einmal viele Menschen die Haare schneiden ließen, wird Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, in zahlreichen Medien zitiert. Viele Läden hätten ihre Öffnungszeiten verlängert, um möglichst viele Kunden zu bedienen. "Das ist natürlich nicht im Sinne des Erfinders, aber die Friseure sind absolut verzweifelt." Über das gesamte Jahr rechne der Verband mit Umsatzeinbrüchen von rund 30 Prozent. "Dieser zweite Lockdown bedroht die Existenzen unseres kleinteiligen Handwerks", so Müller.
Zwar soll es Wirtschaftshilfen geben, aber wann die ankommen, ist offen. Von dieser Unsicherheit kann die Gastronomie bereits ein Lied singen. Restaurants, Bars und Cafés mussten schon im November für den Normalbetrieb schließen. Eine großzügige staatliche "Novemberhilfe" sollte fließen. Doch bislang hat es für viele nur eine Abschlagszahlung gegeben. Das bestätigt auch der Inhaber des "Grand Café", einer großen Kneipe in der bei Berlin-Besuchern beliebten Oranienburger Straße in der Mitte der Stadt. Einzig "Außer Haus" - also "To-Go" - ist seither erlaubt.
Ende des Glühwein-Booms
Viele Wirte machten davon Gebrauch und verkauften ein Getränk, das ansonsten gern auf den jetzt verbotenen Weihnachtsmärkten getrunken wird: Glühwein, also erhitzter Rotwein mit Gewürzen. Das fand zwischenzeitlich viel Anklang. In Berlin entstanden entlang mancher Straßen regelrechte "Glühwein-Meilen".
Doch mit dem neuen Lockdown wird auch der Alkoholverkauf auf den Straßen verboten. "Das ist richtiger Mist", sagt der als Weihnachtsmann verkleidete Glühwein-Verkäufer vorm "Grand Café". So hätte er wenigstens immer etwas Trinkgeld bekommen - als Kellner lebe man ja eigentlich vom Trinkgeld, weil die Löhne nicht so hoch seien. Sein Chef nimmt es irgendwie gelassen. Dieses Jahr sei schlimm, das nächste werde es auch, aber er schaue immer nach vorn. Sein Glühwein-Stand sei gut angekommen. Vor allem bei seinen Stammgästen, die sich hier ansonsten drinnen zu Weihnachtsfeiern getroffen hätten.
Berlin bleibt cool
In der Einkaufszone rund um den Alexanderplatz in Berlin sind an diesen besonderen Tagen vergleichsweise wenige Menschen shoppen. Am Kurfürstendamm im Westteil der Stadt dagegen ist mehr los - das sagen für dort zumindest die Echtzeit-Daten des auf die Messung von Kundenfrequenz spezialisierten Unternehmens Hystreet. Aber mehr als durchschnittlich ist der Publikumsverkehr auch dort nicht - und das kurz vor Weihnachten.
Täuschte also der Eindruck der Menschenschlangen in der Friedrichstraße? Noch lässt sich nicht klar sagen, wie groß der Ansturm vor dem Lockdown war. "Die sonst so umsatzstarke Phase zum Jahresende wird für viele Händler zum Fiasko," prophezeit jedenfalls Stefan Genth vom Branchenverband der Einzelhändler HDE.
"Die Welle ist von Montag auf Dienstag etwas abgeebbt", erzählt Barbier Valentino beim Besuch im "Gentlemen's Circle". Voll ist der Laden trotzdem. Die Lockdown-Ankündigung sei zu kurzfristig gekommen, findet Valentino. Er selbst rechne erst für Ende Januar damit, dass die Infektionszahlen richtig runter gehen und er dann wieder arbeiten dürfe. Schließlich würden sich wohl gerade jetzt beim Turbo-Shopping in zwei Tagen noch einmal viele mit dem Covid-19-Virus anstecken.