Liebesgeschichte mit Horrorvision
19. Oktober 2016Für sein Regiedebüt "Der Albaner", ein Drama um illegale Einwanderer, bekam Johannes Naber den Max-Ophüls-Preis, für seine schwarze Komödie "Zeit der Kannibalen" sogar den deutschen Filmpreis. Jetzt kommt sein dritter Spielfilm "Das Kalte Herz" in die Kinos. Die DW hat den Regisseur getroffen und mit ihm über seinen neuen Film gesprochen.
In Ihren ersten beiden Filmen haben Sie sich mit der harten sozialen Realität in Zeiten der Globalisierung auseinandergesetzt. Was hat Sie nun am Märchenklassiker "Das Kalte Herz" von Wilhelm Hauff interessiert?
Zum einen, was in diesem Märchen alles an thematisch fundamentalen Dingen, an Gesellschaftskritik drin steckt und andererseits die Möglichkeit, eine fantastische Welt zu erzählen. Das ist ein bisschen so wie in alten Kisten stöbern, wie in meiner Jugend, als ich mich viel mit fantastischen Welten auseinandergesetzt habe. Das hat in mir eine große impulsive Lust angetriggert, und ich war sofort angefixt, als ich mit dem Thema konfrontiert wurde.
Geld spielt in allen Ihren Filmen eine große Rolle, auch im "Kalten Herz"?
Mein Thema ist ja die destruktive Macht des Geldes auf die Menschen, das zieht sich durch alle drei Filme, und vielleicht ist damit jetzt auch etwas abgeschlossen. Es ist ja ein Unterschied, ob man über Geld als Tauschmedium spricht, das elementar wichtig für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist, oder über das, was die Menschen mit Hilfe von Geld jenseits des tatsächlichen Bedarfs zu akkumulieren versuchen: also Sicherheit, Macht, Liebe. Das hat immer katastrophale Folgen - vor allem für diejenigen, die es haben.
War es eine bewusste Entscheidung, "Das Kalte Herz" als Märchen zu inszenieren und nicht als Sozialdrama?
Es gab die Überlegung, es komplett in eine andere Zeit zu transferieren oder es zu relativieren. Man kann daraus ja auch einen Science Fiction-Film machen oder das im Heute erzählen. Ich glaube aber, dass man dem Universellen und dem Parabelhaften am besten Genüge tut, indem man das Märchenhafte beibehält. Das wiederum funktioniert nur in der historisierten Vereinbarung. Das ist eine Erzählkonvention. Ich wollte das nicht brechen, dann wird es ein Experiment - und dafür war mir die Geschichte zu wichtig.
Und trotzdem haben Sie nicht einfach ein Märchen inszeniert?
Wir haben nicht versucht, uns historisch korrekt abzuarbeiten. Das hat mich gar nicht interessiert. Mich hat das Haptische, das Fantastische interessiert. Darum ist diese Welt eine komplette Erfindung in einer Fantasy-Erzählkonvention. Wir setzen historische Elemente verschiedener Epochen und Gegenden der Welt zu einer erfundenen Welt zusammen und fügen Magie und Geister dazu, und schon sind wir in einer fantastischen Welt.
Oberflächlich erzählt "Das kalte Herz" vom Köhlerjungen Peter, der sich in Lisbeth, die Tochter eines reichen Glasbläsers im Schwarzwald, verliebt. Um ebenfalls reich zu werden, tauscht er sein Herz gegen einen Stein ein. Wie haben Sie in dieser fantastischen Welt den Bezug zu unserer heutigen Welt herausgearbeitet?
Hauff hat dieses Märchen ja 1820 geschrieben und berichtet, was die Gier mit den Menschen anrichtet. Worüber er noch nicht berichten konnte, war, welch einen Einfluss die Gier auf die Natur hat. Die wirklichen Folgen dieses Raubbaus durch das Abholzen der Wälder, der da stattgefunden hat, wurden erst danach klar. 1900 war der Schwarzwald kahl. Da gab es nur noch 10 Prozent des Baumbestands, und die Leute wurden sich bewusst, dass da wirklich was schief läuft. Hauff konnte das noch nicht sehen, aber wir können das heute. Und deshalb war es für mich elementar, dieses Element des Raubbaus und der Naturzerstörung in die Geschichte einzuweben. An der Figur des Glasmännchens, gespielt von Milan Peschel, hat sich das manifestiert. Für mich sind diese Geister wie ein Naturvolk, das im Regenwald lebt und sieht, wie die Planierraupen kommen und ihm den Lebensraum wegnehmen. Weil Menschen aus Profitgier und nicht aus nachhaltigem Denken heraus handeln.
Warum verliebt sich Lisbeth eigentlich in den Köhlerjungen Peter Munk, wo doch der Sohn des Holzhändlers die bessere Partie wäre?
Lisbeth ist die Figur, die sich von vornherein nicht von Manipulation und Macht blenden lässt, sondern in diesem Peter Munk ein goldenes Herz erkennt. Etwas, das viel wertvoller ist als äußere Schönheit, Macht, Geld und Reichtum. Sie erkennt, dass er ein selbstloser, strahlender Charakter ist. Das ist es, was sie sucht und findet. Für mich ist Lisbeth der stärkste Charakter in dieser Geschichte, weil sie von vorne bis hinten konsequent das Richtige tut und sich nicht von gesellschaftlichen Konventionen vereinnahmen lässt.
Wenn man "Das Kalte Herz" als Parabel liest, was kann man aus Filmversion mitnehmen?
Ich hoffe, dass die Geschichte einen in Bann hält, weil es eine faszinierende Liebesgeschichte ist. Und dann auch eine gruselige psychologische Horrorvision mit diesem starken Symbol des Herzens, das aus der Brust gerissen wird und einem die Gefühle genommen werden. Dahinter steht natürlich die Idee, dass das Destruktive des Egoismus, die Ich-Orientierung, das Nichtsolidarische in einer Gesellschaft am Ende nur zum Zusammenbruch führen kann und sich in der manipulativen Macht, die das Geld auf die Menschen ausübt, manifestiert. Und dass die Welt es nicht ewig aushalten kann, wenn man nachhaltige Ziele für den momentanen Gewinn und Profit nicht ernst nimmt.
Das Gespräch führte Hans Christoph von Bock
Mehr zum Thema Literaturverfilmungen auch in einer Spezialausgabe von KINO zur Frankfurter Buchmesse: Kino & Literatur.