Filmstart "Zeit der Kannibalen"
23. Mai 2014Fast nur ein einziger Schauplatz. Nicht mehr als drei Darsteller. Und die spielen auch noch schnöde Unternehmensberater. Kann das genug Stoff sein für einen unterhaltsamen Spielfilm? Ohne Abstriche: JA. Der Film "Zeit der Kannibalen" ist einer der intelligentesten und witzigsten Spielfilme aus deutscher Produktion der letzten Jahre.
"Es ist der Versuch, einen ernsthaften Blick hinter die Kulissen der Globalisierung zu werfen und das auf eine Art, die vielleicht übertreibt", so beschreibt Regisseur Johannes Naber seinen Film im Gespräch mit der Deutschen Welle. Naber zeigt uns drei deutsche Unternehmensberater, die für einen weltweit agierenden Konzern arbeiten, zwei Männer und eine Frau. Die Drei sieht man fast ausnahmslos in Hotelzimmern hinter ihren Rechnern, mal in Afrika, mal in Südamerika, mal in Europa.
Komplett im Studio gedreht
Naber hat beim Filmdekor auf eine lebensnahe Ausschmückung der Ausstattung verzichtet. Der Film entstand ausschließlich im Studio. Die Hotelzimmer gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Höchstens in die Hotelbar lässt der Regisseur seine drei Charaktere ziehen, mehr nicht. Naber setzt ganz auf die Kraft der Dialoge und die mimischen Fähigkeiten seiner Schauspieler.
Für Devid Striesow, der neben Sebastian Blomberg und Katharina Schüttler zu sehen ist, war das eine reizvolle Aufgabe. Es sei zunächst einmal eine große Herausforderung gewesen, mit drei Personen in einem Raum zu spielen. Striesow, einer der meist beschäftigten Darsteller des deutschen Kinos und Fernsehens, war aber vor allem vom Filmstoff begeistert: "Das Thema lässt ja auch keinen kalt."
Glänzende Dialoge
Ein Hauptverdienst für das Gelingen des Films gebührt der Drehbuchvorlage. Hier hat der Münchner Autor Stefan Weigel Großes geleistet. Geschliffene Dialoge, kluger Wortwitz, messerscharfe Formulierungen - es ist eine Lust, den Akteuren bei der Arbeit zuzusehen.
Aber warum ein auf den ersten Blick so trockenes Thema? Warum ausgerechnet Unternehmensberater als einzige Akteure, die vor ihren Computern sitzen, Firmenübernahmen diskutieren, betriebswirtschaftliche Ziele formulieren und an der eigenen Karriere werkeln? "Ich glaube, dass Unternehmensberater in unserer Welt und Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle spielen, dass diese Form von Tätigkeit immer mehr in alle Bereiche unseres Lebens mit eingreift, inzwischen auch in die Politik", sagt Johannes Naber.
Anstoß zum Nachdenken
Auf der anderen Seite wüssten die Menschen ziemlich wenig darüber, wie diese Leute arbeiten, leben, was die wollen und ob die immer einverstanden sind mit dem, was ihre Firmen wollen: "Es gibt ein berechtigtes Interesse darüber, mehr zu erfahren." Das groteske Spiel solle Anstoß geben, sich damit auseinanderzusetzen.
Die Welt in Zahlen
Nabers konzentriert sich auf den zynischen Umgang seiner Filmcharaktere mit ihrer Aufgaben: "Wenn man diesen Beruf hat, dann muss man sich darauf verlassen, dass bestimmte Dinge in Zahlen darstellbar sind. Das macht die Welt statistisch erfassbar und beurteilbar." So sei es möglich, in den verschiedensten Ländern und Umgebungen dieselben Prozesse und Mechanismen anzuwenden auf die Unternehmen, die man als Kunden berät.
Das Problem, das dabei entstehe: Vor allem die Kunden, die Verbraucher, werden reduziert - auf ihre einzige Rolle als Konsument: "Die Realität aber ist komplexer, und mit der setzen die Leute, die effizient sein wollen, sich ungern auseinander, weil sie bedeutet, dass man eben nicht so schnell zu einem Ergebnis kommen kann, wie, wenn man sich einfach nur auf Zahlen und Statistiken verlässt."
Eine anonyme Arbeit
"Das Außen, das Reale, das nur emotional Erfahrbare und deshalb schlecht Bewertbare, das bleibt abstrakt für die", erzählt Naber: "Die wollen nicht, dass es für sie konkret wird, weil es sie bei ihrer Arbeit geradezu behindern würde." Das sei das entscheidende Problem: "Menschen entscheiden über das Schicksal von anderen Menschen, ohne sich wirklich mit deren Realitäten auseinandergesetzt zu haben - außer in Zahlen und Statistiken."
"Zeit der Kannibalen" verschafft dem Zuschauer erschreckende Einblicke - in die kalte Macht der Unternehmensberater. Wie diese kühl mit Millionensummen jonglieren, wie sie diese hin- und herschieben, wie sie den einzelnen Menschen, den Endverbraucher, zum Spielball der Unternehmen machen - all das führt der Film gekonnt vor.
Und er tut das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit viel Witz und Hintersinn. Die Reduzierung der Filmhandlung auf nur wenige Schauplätze kommt der Intention von Drehbuchautor und Regisseur dabei zugute. Das dicht inszenierte Kammerspiel ist packend und spannend, weil es sich konzentriert und zuspitzt. Dass am Ende übrigens auch die Filmcharaktere nicht als Sieger im Machtpoker um die besten Zahlen und Wirtschaftsdaten dastehen, ist nur ein schwacher Trost.