Britische Firmen horten für Brexit
18. Februar 2019Noch wird in den Hallen des Londoner Klappradherstellers Brompton geschweißt, geschraubt und jedes einzelne Teil per Hand zusammengebaut. Noch, denn wenn in wenigen Wochen das Vereinigte Königreich die EU ohne eine Regelung über die wirtschaftlichen Beziehungen verlassen sollte, ist alles andere als klar, wie lang die Räder bei Brompton noch einwandfrei vom Band rollen.
Brompton exportiert 71 Prozent der Ware, aber importiert einen Großteil der über 1000 Teile, die man pro Fahrrad verbaut. Manager Will Butler-Adams weiß bis heute nicht, wie und ob seine Firma in den Brexit-Wochen ab Ende März Nachschub für die Fertigung bekommen wird. "Wenn durch den Brexit der Warenfluss an den Häfen stockt, dann haben wir ein großes Problem. Es ist ein reales Risiko."
Vorsorge für das Worst-Case-Szenario
Butler-Adams zeigt auf die Teile eines E-Bikes. Die Achsen kommen aus Belgien, die Räder aus Frankreich, die Schläuche aus Deutschland und viele Teile der Hardware kommen aus Indonesien und dem Rest der Welt. Die beste Vorbereitung auf das Worst-Case-Szenario ist für ihn: Lagerbestände aufstocken - so viel es geht.
"Wir haben auch Teile, die in Großbritannien hergestellt werden", sagt er, "aber der Hersteller bezieht seine Ware wiederum aus Portugal. Deshalb sagen wir auch unseren Zulieferern, dass auch sie die Lagerbestände aufstocken sollen."
In der Produktionshalle von Brompton stapeln sich deshalb bereits Kisten und Kartons bis unter das Dach der rund 20 Meter hohen Decke. Über eine Millionen Einzelteile hat Brompton bereits zusätzlich auf Lager - eine Investition die sich lohnen könnte.
Viele Unternehmen horten jetzt
Würden die Räder Ende März zum Stehen kommen, würde Brompton bis zu 50.000 Pfund in wenigen Tagen verlieren. Auf Dauer eine existenzbedrohliche Situation für das expandierende Unternehmen, das erst vor zwei Jahren die neue Fertigungshalle in Greenfort im Westen Londons in Betrieb genommen hat.
"Reserven anlegen für unsichere Zeiten", das klingt wie ein gut gemeinter Ratschlag der Großeltern, den sich in Brexit-Zeiten aber vor allem in Großbritannien ansässige Firmen aller möglichen Branchen zu Herz nehmen. Englands größte Supermarktkette Tesco hat laut dem Magazin "Politico" bereits einen Vorrat an Kühleinheiten angelegt, der Hersteller für Luxusbetten Savoir Beds hortet Pferdehaar aus Argentinien, dass über die Schweiz nach England transportiert wird.
Goldener Regen für die Lagerbranche
Der britische Wirtschaftsminister Richard Harrington fasste es kürzlich so zusammen: "Fast jeder Quadratmeter" Lagerfläche in Großbritannien ist inzwischen voll.
Und die "Financial Times" zitiert einen umfrage-basierten Index des Informationsdienstes IHS Markit, laut dessen die Lagerbestände im Vereinigten Königreich so hoch seien, wie seit 1992 nicht mehr. Allein in den vergangenen 18 Monaten ist der Lagerbestand an fertigen Gütern so schnell angestiegen, wie noch nie in der Geschichte der Umfrage.
Kaum noch Lagerkapazitäten vorhanden
"Als Unternehmen in der Logistikbranche sollte man im Idealfall immer zehn Prozent unter Maximalauslastung bleiben, damit man spontan reagieren kann. Bei uns reichen die Paletten inzwischen aber bis fast unter den Dachgiebel", sagt Neil Powell, Sprecher des Logistikunternehmens NX-Group.
Das heiß konkret: 95 Prozent der 9300 Kubikmeter Lagerfläche sind belegt und jeden Tag kommen neue Anfragen hinzu. Die Anteile an Waren, die nicht morgen oder übermorgen das Lager wieder verlassen, sondern bis in den Frühling oder Sommer als Reserve für Produktionsengpässe aufgestockt wurden, steigt. Unternehmen wie Brompton kaufen sich so Sicherheit und Zeit, falls es zu einem chaotischen Brexit kommen sollte.
Deshalb steigt der Preis für Lagerflächen und die Branche expandiert - neue Lagerflächen werden gesucht und gebaut. Der Brexit scheint also ein Glücksfall für Unternehmen wie die NX Group zu sein. Neil Powell ist zufrieden und dennoch skeptisch, er bremst die Euphorie. "Wir müssen aufpassen, dass wir den Kontakt zu unseren Stammkunden nicht verlieren", sagt er. Es sei keine einfache Situation. "Viele unserer Kunden sind aus Europa. In wenigen Wochen kann alles wieder vorbei sein."
Das Wachstum, das die Lagerindustrie verzeichnet, fügt er hinzu, würde ja kein reales Wachstum der Nachfrage spiegeln. Die Waren würden lediglich im Voraus gekauft werden. "Es ist eine Momentaufnahme."
Denn so voll die Lagerhäuser vor dem Brexit sind, so leer könnten sie danach werden, wenn Waren an Straßen, Häfen und Flughäfen als Folge eines harten Brexit feststeckten, befürchtet Powell. Ihm wären deshalb Sicherheit und verlässliche Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien lieber, als mit seiner Firma kurzfristig im goldenen Regen des Brexits zu stehen.
Einen goldenen Regen sieht Will Butler-Adams nicht auf sich zukommen. "Wir müssen die Anfangsphase des Brexit überstehen", sagt er. "Danach wurschteln wir uns irgendwie durch." Dafür hat er kurzfristig sogar noch zusätzlichen Lagerraum bei einem Betreiber in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow angemietet – nach dem Motto: Lieber horten, statt Chaos.