"BAMF ist politischer Sündenbock"
30. Mai 2018DW: Herr Baum, als Innenminister waren Sie von 1978 bis 1982 Chef der Aufsichtsbehörde des Vorläufers des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ist das der Grund, weshalb sie sich auch aktuell für dieses Thema interessieren?
Baum: Ich interessiere mich für das Thema, weil es um einen ganz wichtigen Verfassungsgrundsatz geht, nämlich um das Recht auf Asyl. Dieses Recht war schon einmal in der Krise in den 90er Jahren. Jetzt sind wir in einer ganz anderen, neuen Situation mit sehr viel mehr Flüchtlingen als damals. Aber wir haben eine ähnliche fremdenfeindliche Stimmung, und ich werde unter anderem tätig und diskutiere über das Thema, weil ich das Asylrecht verteidige.
Innenminister Seehofer hat sich bei der Sondersitzung des Innenausschusses im Namen der gesamten Bundesregierung für das, was in der BAMF-Außenstelle Bremen passiert ist entschuldigt. Ist das Versagen der Behörde Ihrer Meinung nach ein Grund für die fremdenfeindliche Stimmung?
Nein, die fremdenfeindliche Stimmung ist ja schon länger da. Doch sie bestimmt unsere Gesellschaft jetzt noch viel stärker, und das macht mir große Sorgen. Jetzt geht es darum, das Verhalten des BAMF zu bewerten. Das wird im Bundestag geschehen, möglicherweise in einem Untersuchungsausschuss.
"Politiker haben das BAMF nicht nur gefordert, sondern überfordert"
Sollte es Ihrer Meinung nach einen Untersuchungsausschuss geben?
Ob es ihn geben muss, kann ich nicht beurteilen. Aber ich möchte eine generelle Bemerkung machen, unabhängig von den Vorgängen in Bremen. Dieses Amt ist durch Hunderttausende von Asylanträgen in einer Weise herausgefordert worden, wie noch nie eine Behörde zuvor. Ich wundere mich, dass die zuständigen Politiker nicht gesehen haben, dass sie das Amt nicht nur fordern, sondern überfordern. Sie haben das Amt unter einen zeitlichen Druck gesetzt. Schnelligkeit ging vor Qualität. Man darf ja nicht vergessen, dass es um einzelne Lebensschicksale geht, die erkundet werden müssen. Und das ist in einer so kurzen Zeit gar nicht zu machen. Politiker dürfen ihre Verantwortung für den Zuzug von Fremden und Flüchtlingen jetzt nicht auf das Amt abladen und sagen, dort geschieht ja jetzt alles. Nein, sie haben selber die politische Verantwortung für die Situation und sie haben die politische Verantwortung für das Funktionieren dieser Bundesbehörde.
Damals war Thomas de Maizière Innenminister und damit Chef der Aufsichtsbehörde des BAMF. Ist das Chaos seine Schuld oder auch die der Kanzlerin?
Die Flüchtlingspolitik wurde, wenn ich es richtig erinnere, im Kanzleramt angesiedelt. Die ganze Regierung war also mitverantwortlich. Alle haben Bescheid gewusst und Entscheidungen mitgetragen.
Ist das BAMF jetzt vor allem ein politischer Sündenbock?
Ja, würde ich sagen. Man muss sehr aufpassen, dass die Verantwortung der Politiker nicht auf das BAMF abgeladen wird.
Der Beginn der Flüchtlingskrise wird hierzulande auf 2015 datiert, als hunderttausende Menschen vor den Toren Deutschlands standen. Doch die Flucht Richtung Europa begann bereits in den Jahren zuvor. Hätte man das BAMF also nicht schon Jahre vorher auf die vielen Flüchtlinge vorbereiten müssen?
Das würde ich so nicht sehen. Aber man hätte vorausschauend die Flüchtlingsbewegungen zur Kenntnis nehmen müssen. Man hätte bei denen ansetzen müssen, die beispielsweise aus Syrien in die Nachbarstaaten geflohen sind. Dorthin hat ja auch der deutsche Entwicklungsminister seine Besuche gemacht und gemahnt, dass wir uns dort beteiligen. Dann hätte die Flüchtlingswelle möglicherweise gar nicht so hoch ausfallen können. Denn die Hilfe vor Ort wäre viel wirksamer gewesen. Diese Misere war bekannt und zwar, bevor wir 2015 diesen großen Zustrom hatten. Da hätte man schon etwas tun müssen.
"Rücktrittsforderungen sind ein beliebtes Ablenkungsmanöver"
Nun Ist das BAMF für Horst Seehofer das Sorgenkind. Was würden Sie ihm jetzt raten zu tun, sollen Köpfe rollen?
Nein, das würde ich jetzt nicht machen. Das sind nur wieder neue Sündenböcke. Wenn sich jemand strafrechtlich schuldig gemacht hat, dann kann er natürlich nicht im Amt bleiben. Aber jetzt würde ich das erstmal in Ruhe alles untersuchen, und ich würde davon Abstand nehmen, nach Rücktritten zu rufen. Das ist ein beliebtes Ablenkungsmanöver.
Der Rechtsanwalt Gerhart Rudolf Baum (FDP) war von 1978 bis 1982 Innenminister unter SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er gilt als einer der letzten profilierten Linksliberalen der FDP.