Experiment auf 70 Quadratmetern
26. Oktober 2016Schicke Bars, Markenshops, schön restaurierte Fassaden an aufwändig sanierten Bürgerhäusern prägen das Bild rund um die Rosa-Luxemburg-Strasse. Das Grau der untergegangenen DDR - hier ist es aus dem Stadtbild getilgt, die Gentrifizierung mit Händen zu greifen. Es überrascht schon, dass ausgerechnet an diesem Ort die Schnittstelle zwischen syrischer und deutscher Kultur liegen soll. In diesem winzigen Ladenlokal in Hausnummer 16. Aber an der Tür steht "Goethe-Institut Damaskus im Exil".
"Das Goethe-Institut war mein Startpunkt in Richtung deutscher Kultur", sagt die Theatermacherin Rania Mleihi. Im Goethe-Institut der syrischen Hauptstadt lernte die junge Frau Deutsch, traf Künstler, schaute Filme und lieh sich Bücher aus. "Du bist pünktlich, klar und direkt. Geschichte, Literatur, die Kunst oder wie Du Dich anziehst - all das ist deutsche Kultur für mich." Ja, schwärmt sie, sie sei verliebt in Deutschland. Und grinst.
"Die Flüchtlinge bringen was mit!"
Rania Mleihi war einmal Dramaturgin, Regisseurin und Produzentin am syrischen Nationaltheater in Damaskus. Heute leitet die 33-Jährige mit dem grauen, hochfrisierten Haar das Open Border Ensemble der Münchner Kammerspiele, eine Plattform für geflüchtete Künstler. Kürzlich haben sie Elfriede Jelineks Flüchtlingsdrama "Die Schutzbefohlenen" aufgeführt. Sie selbst sei angekommen in Deutschland, meint Mleihi, und zwar mit all ihrem Wissen über die Heimat.
Zoya Massud ist so etwas wie die Vorzeige-Syrerin von Berlin geworden, seit sich die junge Architektin zur Museumsführerin für Flüchtlinge ausbilden ließ. Leuchtend braune Augen, lange gewellte Haare, gestenreiche Sprache: Es gibt Fotos von ihr mit Ministern und anderen wichtigen Leuten. Das Projekt "Multaka" hatte die Sympathie der Medien. "Flüchtling zu sein", sagt auch sie, "ist doch kein Stempel, kein Brandmal". Es seien Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und persönlichen Erfahrungen. "Das sind nicht nur Geflüchtete, sondern die bringen was mit." Das bereichere die deutsche Gesellschaft, sei also ein "Win-Win-Prozess!"
Stühlerücken am Eröffnungsabend
Kulturaustausch - genau darauf legt es das Goethe-Institut an. "Es geht um einen Dialog zwischen syrischen und deutschen Künstlern", sagt Johannes Ebert, der Generalsekretär. Innen und Außen seien bei der internationalen Kulturarbeit immer schwerer zu trennen. Das Stühlerücken am Eröffnungsabend, als eine Handvoll geladener Gäste das kleine Ladenlokal beinah bersten lässt, klingt wie eine Auftaktmelodie. Der glatzköpfige, anzuggewandete Ebert hält seine Ansprache auf Arabisch. Er kann das, weil er Islamwissenschaften studiert hat - davon ein Jahr in Damaskus - und später das Goethe-Institut in Kairo leitete. Im Herbst 2012 musste das Institut in Damaskus geschlossen werden, als der Bürgerkrieg eskalierte, die Mitarbeiter nicht mehr sicher waren.
Vier Jahre später ist das damaszener Institut zu einem kleinen Laden in Berlin-Mitte geschrumpft. Tagsüber herrscht ein Kommen und Gehen. Neugierige schauen vorbei und staunen, wie winzig das "Goethe-Institut Damaskus im Exil" ist. Ein Bücherregal, in dem arabischsprachige Bilderbücher liegen, eine improvisierte Theke, eine kleine Bühne, Lautsprecher und Mikrofone - spartanisch wirkt die Szenerie. Was dagegen groß ist: Anders als in Syrien muss kein Programmpunkt vom Kulturministerium genehmigt werden. Diskussionen finden statt, Lesungen verlaufen ungestört. Filme flimmern unzensiert über die große Leinwand.
"Die Kulturszene in Syrien lebt weiter"
Darauf ist Diana El Jeroudi sehr stolz: Zwei ihrer Filme laufen im Programm von "Damaskus im Exil", darunter die syrisch-deutsche Koproduktion "Return to Homs" (deutsch: "Homs - Ein zerstörter Traum"). Der Film dokumentiert hautnah und bewegend das Abgleiten zweier Freunde in die bewaffnete Opposition gegen Staatspräsident Baschar al-Assad. Beim Sundance Film Festival 2014 in den USA gewann "Return to Homs" den Großen Preis der Jury. Seit drei Jahren lebt El Jeroudi in Berlin. Noch 2007 hatte sie in Damaskus das DOX BOX Dokumentarfilmfestival mit gegründet. "Wir mussten fliehen, weil der Bürgerkrieg jeden Tag schlimmer wurde", erzählt die Filmemacherin. In Deutschland kann sie weiter arbeiten - bis es daheim wieder möglich ist.
An eine "sehr lebendige Kulturszene" in Syrien erinnert sich Muriel Asseburg, eine der Neugierigen, wenngleich mit professionellem Hintergrund. Als Nahost-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin weiß sie: "Die Szene lebt weiter - zum Teil im Exil, zum Teil vor Ort." Zwar liege das Land in Trümmern, nicht aber die Kultur. "Die Revolution hat auch sehr viel Kreativität freigesetzt." Da wäre das satirische Puppentheater von Masati+Mati, das die Politik und seinen Präsidenten aufs Korn nimmt. Oder die sehr bunten, kreativen Plakate, die auf Demonstrationen zu sehen waren. "Das lebt weiter!" Für Asseburg ist Kultur denn auch "keine One-Way-Veranstaltung".
Die Politikwissenschaftlerin ist begeistert von "Damaskus im Exil", ebenso wie die Theatermacherin Rania Mleihi. Es gehe weniger um Integration, sagt sie, als um Kulturaustausch. "Wir bauen Brücken. Jeder macht einen Schritt nach vorn. Und wir treffen uns, eine lebendige Erfahrung von Mensch zu Mensch!"