Crowdfunding gegen Russlands Krieg
4. Juni 2022Farid Bekirov aus Amsterdam traf 48 Stunden nach Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar eine Entscheidung: Er gründete mit drei Mitstreitern die Crowdfunding-Initiative EyesOnUkraine.eu. Anfang Juni startete ein neuer Hilfstransport mit einem geländegängigen Auto und 86 Drohnen. Sie sind die "Augen" für die Ukraine.
Sie wollten von Anfang an Kriegsverbrechen der russischen Armee aufklären, sagt Bekirov im Gespräch mit der DW. Der niederländische Unternehmer stammt ursprünglich aus Kasachstan, ist in der Sowjetunion in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, aufgewachsen und hat von Westeuropa aus seit den 1990er Jahren für ukrainische Luftfahrtfirmen gearbeitet. Zur pro-europäischen Maidan-Revolution im Winter 2013/2014 ging er selbst nach Kiew, um zu helfen.
Kurz danach sah er, wie tausende Freiwillige direkt vom Maidan in den Osten der Ukraine gingen, um sich den von Russland unterstützten Angreifern im Donbass entgegenzustellen. Damals schon haben Freiwillige in der Ukraine und im Westen begonnen, Geld für Schutzwesten und Uniformen für die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten im Osten zu sammeln.
Hunderte Initiativen in Europa und den USA
Heute nutzen ukrainische Streitkräfte frei verkäufliche Drohnen zur Aufklärung russischer Panzer. Als mit dem russischen Angriff Ende Februar mehr und mehr Panzer auf die Hauptstadt Kiew zurollten, haben die Bilder dieser handelsüblichen Drohnen Einheiten am Boden versorgt. Diese fanden und zerstörten so mit leichten Panzerabwehrraketen, abgeschossen von der Schulter, das russische Kriegsgerät.
Initiativen wie die von Farid Bekirov aus Amsterdam gibt es hunderte in ganz Europa und den USA. Bei Twitter hat der Wissenschaftler Kamil Galeev vom US-Thinktank "Wilson Centre" eine detaillierte Liste mit Namen von Militäreinheiten und Kontodaten veröffentlicht, die um Spenden bitten. Sie benötigen neben Drohnen auch Nachtsichtgeräte, Schutzwesten und Erste-Hilfe-Pakete.
Künstler sammeln für ihre Armee
Auch in der Ukraine selbst sammeln Privatinitiativen Geld für Hilfsmittel für die Soldatinnen und Soldaten. Darunter auch der renommierte Schriftsteller und Musiker Serhiy Zhadan. Der Autor des Bestsellers "Die Erfindung des Jazz im Donbass" veröffentlicht in Deutschland beim renommierten Suhrkamp-Verlag. Er nutzte schon lange vor der russischen Invasion am 24. Februar seine Bekanntheit, um Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte zu mobilisieren.
Jetzt hilft er, seine Heimatstadt Charkiw zu verteidigen: Auf Facebook veröffentlicht Zhadan Fotos mit den Soldaten, für die er Pickup-Trucks und andere zivile Autos für deren Fahrt an die Front gekauft hat. Der Schriftsteller sammelt das Geld über den US-amerikanischen Online-Zahldienst Paypal – mithilfe seiner Email-Adresse, die er überall veröffentlicht.
"Das mit Zhadans PayPal funktioniert tatsächlich”, bestätigt der Berliner Musiker, Künstler und Buchautor Yuriy Gurzhy ("Richard Wagner und die Klezmerband") gegenüber der DW. Gurzhy kam Anfang der 1990er Jahre aus dem ukrainischen Charkiw nach Berlin und arbeitet mit Zhadan an mehreren Kulturprojekten.
Ende Mai hat die Graswurzel-Militärhilfe von Ukrainerinnen und Ukrainern und ihren Unterstützern außerhalb des Landes einen neuen Höhepunkt erreicht. Da rief der Gründer des litauischen Internet-Fernsehsenders Laisves TV zu Spenden für eine militärische Kampfdrohne für die Ukraine auf – die türkische Bayraktar. Das mit Präzisionswaffen ausgestattete Gerät soll maßgeblich zum Erfolg der Ukraine bei der Verteidigung der Hauptstadt Kiew beigetragen haben.
Spenden jetzt aus der ganzen Welt, "eine neue Qualität"
Innerhalb von 48 Stunden kamen Spenden von mehr als fünf Millionen Euro zusammen. Kurz darauf gab der litauische Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas auf Twitter bekannt, dass der türkische Hersteller die Drohne umsonst an die Ukraine abgeben wolle.
"Das hat eine neue Qualität", sagt die Osteuropaexpertin Margarete Klein im Gespräch mit der DW. Die Forscherin arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, die auch die deutsche Regierung berät.
Bereits nach der pro-europäischen Maidan-Revolution in der Ukraine 2014 habe es Spenden für Schutzausrüstung wie Helme und kugelsichere Westen für die Verteidiger gegen die russischen Angriffe in der Ost-Ukraine gegeben, so Klein, "auch waren die Crowdfunding-Initiativen damals noch stark innerhalb der Ukraine konzentriert, jetzt sehen wir noch deutlich mehr internationale Kooperation."
Hilfe durch das Crowdfunding "kritisch notwendig"
Doch kommt diese Hilfe tatsächlich auch an? Nachfrage Anfang Juni bei einem ukrainischen Offizier, der im ost-ukrainischen Donbass kämpft. Der Mann will seinen Namen wegen Geheimnisauflagen der ukrainischen Militärführung nicht veröffentlicht sehen, ist dem DW-Reporter aber persönlich bekannt. Die Hilfe der Crowdfunding-Aktionen "ist kritisch notwendig", sagt der Führer der Artillerie-Batterie.
Und dann fängt er an aufzuzählen: "Geländewagen, also Jeeps. Sie sind in unserer Einheit nicht vorgesehen, deshalb werden sie uns von freiwilligen Helfern bereitgestellt. Ohne solche Fahrzeuge kann man kaum Krieg führen", sagt der ukrainische Offizier. Und er ergänzt: Handelsübliche Aufklärungsdrohnen "wurden nie von der Armee gekauft. Ich denke, hochrangige Armeebeamte hatten gar nicht gewusst, dass es die gibt."
Ohne das Geld der Spenderinnen und Spendern würde es selbst an Computern für untere Einheiten fehlen. Wärmebildgeräte und Überwachungssysteme, so der ukrainische Soldat, seien von der Armee vor der pro-europäischen Maidan-Revolution 2014 nicht eingekauft worden, nach der Absetzung des Kreml-freundlichen Präsidenten und dem Einmarsch Russlands im Donbass wurden "eher kleinere Mengen" angeschafft.
Spendenbereitschaft sinkt, Waffenlieferungen stocken
Farid Bakirov, der Unternehmer aus Amsterdam, hofft deshalb auf weitere Spenden über seine Crowdfunding-Seite eyesonukraine.eu. Das sei aber mittlerweile schwierig geworden. "In den vergangenen Wochen haben wir gar keine Spenden mehr erhalten", sagt der Ingenieur. Die Menschen im Westen würden müde werden in Anbetracht der Kriegsnachrichten aus der Ukraine.
Und er selbst spüre zunehmend die Frustration seiner Kontakte in der Ukraine – in Anbetracht der versprochenen Waffenlieferungen, von denen immer noch viele ausblieben. Dabei seien gerade die jetzt wichtig. Der Krieg im Donbass folge anderen Gesetzen als die erfolgreiche Verteidigung der ukrainischen Hauptstadt, statt Guerilla-Taktik gehe es jetzt um Artilleriekämpfe.
Zusätzlich habe das Land jetzt das Problem, dass Putins Armee auch die militärische Infrastruktur wie Munitionsfabriken stark beschädigt habe. Mit jeder russischen Zerstörung werde das Land abhängiger von Lieferungen aus dem Westen. Für Bakirov bleibt deshalb nur ein Weg, um der Ukraine zu helfen: Weiter spenden für Drohnen – damit die Soldaten wenigstens sehen können, woher die Bedrohung kommt.
Mitarbeit: Mykola Berdnyk