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CoWorking und Homeoffice: Chance für ländliche Regionen?

29. August 2023

Homeoffice hat sich etabliert in Deutschland. CoWorking steht dagegen erst am Anfang. Beides könnte strukturschwache Gegenden wiederbeleben.

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Frau sitzt auf dem Bett und tippt auf einem Laptop
Viele Menschen arbeiten inzwischen regelmäßig von zuhause aus Bild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Von zuhause arbeitet Bernhard Holtkamp schon länger, schon vor der Corona-Pandemie. Zuhause, das ist bei ihm ein idyllisch gelegener Bauernhof im Münsterland im Westen Deutschlands. Von dort aus arbeitet er für ein Software-Unternehmen in Süddeutschland. Damit ist Holtkamp nicht allein. Seit der Corona-Pandemie hat sich das Homeoffice in Deutschland etabliert. 20 bis 25 Prozent aller Arbeitnehmenden arbeiten inzwischen laut Statistischem Bundesamt regelmäßig von zuhause aus.

Doch für Holtkamp reichte das nicht. Er beschloss, noch einen Schritt weiter zu gehen, und eröffnete gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth das CoWorking Space "calle3" auf ihrem gemeinsamen Hof. 16 Plätze gibt es seit einem Jahr im ehemaligen, nun umgebauten Stallgebäude, sieben sind regelmäßig belegt. Draußen grasen ein paar Schafe, die ebenfalls zum Hof gehören. Ein wichtiges Motiv derjenigen, die dort arbeiten: die Umgebung. "Die Menschen, die kommen, die genießen die Ruhe, das gehört auch in dieses Umfeld mit dazu", sagt Bernhard Holtkamp und erzählt beispielsweise von einer Buchautorin, die jeden Tag ein Zimmer unter dem Dach bezieht und dort in Ruhe "ihre Kreativität ausleben kann".

Mann mit Fahrrad spricht mit einer Frau vor einem Stallgebäude
Im umgebauten Stallgebäude treffen sich Menschen zum Arbeiten im calle3 Bild: privat

Die Ruhe kann ein Motiv sein. Andere beziehen einen CoWorking Space, um in Gesellschaft zu arbeiten. Ins calle3 kommen beispielsweise jede Woche an einem Tag drei junge Männer, die untereinander befreundet sind, aber für verschiedene Unternehmen tätig sind. CoWorking war ursprünglich beliebt unter Selbständigen ohne festen Kollegenkreis. 

Phänomen aus den Städten kommt aufs Land

Zum ersten Mal kam CoWorking Anfang der 2000er Jahre in den USA auf. Gemeinsam mit anderen Menschen aus verschiedenen Branchen und Berufen in einer offenen, kommunikativen Atmosphäre arbeiten – das war das Motto. Irgendwann schwappte die Idee nach Europa und war zu Beginn vor allem ein Großstadtphänomen. Auch heute noch finden sich 62 Prozent aller CoWorking Spaces in großen Städten, wie der Nationalatlas 2021 vom Leibniz-Institut für Länderkunde zeigt. "Seit den 2000er Jahren hat sich viel weiterentwickelt in den Städten. Die CoWorking Spaces sind sehr viel größer, vieles wird sehr viel stärker unternehmerisch genutzt", sagt Suntje Schmidt vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung. Und: "Diesen experimentellen Charakter, den man früher in den Großstädten gesehen hat, finden wir jetzt eher in ländlichen Regionen."

Experimente wie das calle3 im Münsterland. Holtkamp ist inzwischen auch für den Landkreis im Einsatz und berät andere Menschen, die ebenfalls einen CoWorking Space aufmachen wollen. "Da gibt's definitiv aus meiner Sicht einen Aufschwung. Da gibt es eine Menge Leute mit interessanten Ideen", sagt Holtkamp. Erst kürzlich habe er mit einer Erbengemeinschaft gesprochen, die einen CoWorking Space eröffnen und dabei auch einen Kindergarten integrieren wollten.

Ein Mann und eine Frau stehen lächelnd an einer geöffneten Terrassentür
Bernhard und Elisabeth Holtkamp haben vor einem Jahr das calle3 eröffnetBild: privat

Suntje Schmidt betont allerdings, dass CoWorking per se nicht das Allheilmittel sei. "Was wir sehen, ist, dass es wenig Sinn macht, einfach einen Ort zur Verfügung zu stellen. Also: Hier ist eine tolle Ausstattung, da sind ausreichend Tische, da ist eine kleine Kaffeemaschine. Diese Orte brauchen Personen oder mindestens eine Person, die als Kurator wirkt, also der oder die in der Lage sind, diesen Ort auch zu bespielen, sozusagen ein soziales Leben einzuhauchen."

Kreativität gefragt beim Aufbau

Menschen wie Bernhard Holtkamp. Seit einem Jahr muss der Unternehmer kreativ werden, um seinen CoWorking Space in der Region bekannt zu machen. Noch auf die Baustelle habe er das ganze Dorf eingeladen, damit sich alle an den neuen Ort gewöhnen könnten. Darauf folgte dann nach Fertigstellung ein Programmierkurs für Kinder mit ihren Eltern. "Eine ganze Menge Eltern haben hinterher gesagt: 'Das ist ja toll hier! Wenn ich meine Kinder zur Schule bringe, könnte ich ja auch hier arbeiten und nicht zuhause auf einen Berg Wäsche schauen beim Arbeiten'", sagt Holtkamp. Ideen wie diese sind es, die CoWorking-Projekte auf dem Land ankurbeln. Denn anders als in den Großstädten ist das Projekt nicht vielen vertraut.

Und es profitiert auch nicht jede ländliche Region gleichermaßen vom CoWorking. Darauf macht Thomas Pütz vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung aufmerksam. Denn ländliche Region sei nicht gleich ländliche Region. Es gebe kleine Gemeinden, Dörfer, kleine Städte mit guter Anbindung.In Zukunft "könnten engere Stadtrandlagen mittelfristig an Nachfrage einbüßen, während die suburbanen Gebiete weiterhin hoch im Kurs stehen", sagt Pütz. Ein Beispiel: Pütz wertete Pendlerdaten von Menschen aus. Es zeigte sich, dass im Raum München und Stuttgart, zwei sehr teuren Städten, die Menschen nun weiter weg vom Ballungszentrum und eher in den suburbanen Raum, also in die Dörfer drum herum ziehen. Diese meist noch gut angebundenen, aber schon ländlichen Regionen sind es, die vom Homeoffice und auch vom CoWorking profitieren könnten.

Mehrere Schafe auf einer Wiese, im Hintergrund steht ein Haus
Das CoWorking Space calle3 liegt sehr ländlich mit Schafen auf dem Hof Bild: privat

Generell geht eine Untersuchung aus dem Jahr 2022 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales davon aus, dass bisher 180.000 Menschen regelmäßig CoWorking nutzen. Noch keine übermäßig große Zahl. "Von der Größenordnung her hat es noch nicht das Potenzial, das dadurch strukturelle oder raumstrukturelle Veränderungen erzeugt werden, auch hinsichtlich Verkehr etc.", sagt Pütz. Gerade das CoWorking auf dem Land sei eine Entwicklung, die erst ganz am Anfang stehe, ergänzt Suntje Schmidt.

Aber das Potenzial für ländliche Regionen ist da. Dadurch könnten junge Menschen mit ihren Familien angelockt werden, die dann wiederum die Orte wiederbeleben. Gerade das Homeoffice könnte dabei als Katalysator wirken. Denn war es vor der Corona-Pandemie häufig undenkbar, zu weit vom Arbeitsplatz wegzuziehen, ist das nun zumindest eine Möglichkeit, die in Betracht gezogen werden kann. Und im neuen Ort könnte sich dann im CoWorking Space die entsprechende Gemeinschaft finden – und vielleicht wie im Fall des calle3 ein ländlicher Ausgleich mit Schafen und guter Luft.