Arbeitszeit: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
24. April 2023Die Mühlen in Berlin, vor allem jene, die sich im Regierungsviertel drehen, mahlen in ihrem ganz eigenen Tempo. Bereits vor dem letzten Weihnachtsfest hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versprochen, er wolle zur Arbeitszeiterfassung "zeitnah einen Vorschlag vorlegen." Das war vor vier Monaten.
Der Rheinischen Post hatte der Minister am 15. Dezember gesagt: "Wir werden praxistaugliche Lösungen vorlegen." Dabei hatte er den Forderungen der Arbeitgeber, die generelle Abschaffung des Achtstunden-Arbeitstages festzuschreiben, bereits eine Absage erteilt: "Arbeitszeitgesetze dienen dem gesundheitlichen Schutz der Beschäftigten. Deshalb kann Arbeitszeitpolitik nicht Wünsch-Dir-was-vor-Weihnachten von Interessengruppen sein", so der Minister.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte bereits im September angemahnt, dass die Arbeitszeiten in jedem deutschen Betrieb transparent und nachprüfbar aufgezeichnet werden müssen. In seiner Urteilsbegründung hatte das Gericht gefordert, dass Arbeitgeber künftig ein "objektives, verlässliches und zugängliches System" einführen müssen, "mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann". Das Gericht bezog sich dabei auf ein Urteil zur Arbeitszeiterfassung des Europäischen Gerichtshofes EuGH. Und das stammt aus dem Jahr 2019.
Das Gericht drängt
Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichte, Inken Gallner, will bei der Einführung konkreter Bestimmungen zur Arbeitszeiterfassung in Unternehmen die Politik in der Pflicht nehmen: "Solange der Gesetzgeber das noch nicht geregelt hat, können die Tarifparteien selbst Regelungen vereinbaren", sagte Gallner auf der Jahres-Pressekonferenz des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Februar. "Das Ob ist entschieden. Das Wie der Arbeitszeiterfassung liegt in den gestaltenden Händen des Gesetzgebers."
Der verpflichtenden Arbeitszeiterfassung stehe die in vielen Betrieben praktizierten "Vertrauensarbeit" nicht entgegen, bei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Zustimmung des Arbeitgebers zeitlich flexibel ihrer Arbeit nachgehen können. "Allerdings müssen dabei die gesetzliche Ruhezeit eines Arbeitnehmers von elf Stunden innerhalb von 24 Stunden eingehalten werden", betonte die Präsidentin. Auch dürfe die zulässige wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden.
Manche machen's schon
Sechs von zehn Unternehmen bundesweit (59 Prozent) erfassen einer Umfrage zufolge bereits die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten. Ein Drittel (33 Prozent) der Firmen tat das bereits vor einem entsprechenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts, 26 Prozent begannen danach damit, wie eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom ergab. 28 Prozent der befragten Firmen wollen noch dieses Jahr damit beginnen, zwölf Prozent wissen noch nicht, ab wann sie das tun werden.
Bundesarbeitsminister Heil plant jetzt eine gesetzliche Pflicht zur elektronischen Erfassung der Arbeitszeit. Das berichtete die Süddeutsche Zeitung am Dienstag vergangener Woche unter Verweis auf einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Demnach sind Ausnahmen von der Regelung möglich, etwa können die Tarifpartner sowie Unternehmen und Betriebsräte dies vereinbaren. Auch die sogenannte Vertrauensarbeitszeit soll weiterhin möglich sein.
Der Gesetzesentwurf sieht der Zeitung zufolge vor, dass Arbeitgeber "Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer" am Arbeitstag elektronisch aufzeichnen müssen. Demnach könnte dies durch die Beschäftigten selbst oder durch "einen Dritten erfolgen", zum Beispiel einen Vorgesetzten. Verantwortlich aber bleibe der Arbeitgeber.
Wie die Süddeutsche Zeitung weiter berichtete, sollen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften per Tarifvertrag Ausnahmen von der täglichen Aufzeichnungspflicht oder Klauseln, die eine Regelung auf Unternehmensebene durch Management und Betriebsräte eröffnen, vereinbaren können. Denkbar sei etwa eine "nicht-elektronische" oder nachträgliche Erfassung der Arbeitszeit. In Ausnahmefällen soll es demnach auch möglich sein, ganz auf die Erfassung zu verzichten. Auch für Kleinbetriebe soll es Sonderregelungen geben.
Kritik von Arbeitgebern und FDP
Wie die Süddeutsche Zeitung am folgenden Mittwoch berichtete, will die FDP das nicht mittragen. Die Arbeitszeiterfassung müsse zwar europarechtskonform geregelt werden, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler der Zeitung. "Es muss aber den Arbeitgebern überlassen bleiben, auf welche Weise die Arbeitszeit erfasst wird. Die Bedingungen in einzelnen Betrieben sind viel zu unterschiedlich, als dass die digitale Zeiterfassung für alle praktikabel und mit vertretbarem Aufwand umsetzbar wäre."
Sehr grundsätzlich ist die Kritik von Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger: "Der Arbeitszeitentwurf aus dem Arbeitsministerium ist leider kein Modell von Morgen", wird Dulger von der Deutschen Presseagentur zitiert. Er verweist darauf, dass die Tarifvertragsparteien in den letzten Jahren für eine offenere Arbeitszeitkultur gekämpft und große Fortschritte erzielt hätten. "Arbeitszeit kann dadurch vielfältig ausgestaltet werden. In vielen Branchen kann mit Instrumenten wie Arbeitszeitkonten und einer lebensphasenorientierten Arbeitszeitgestaltung die Arbeitszeit flexibel verteilt werden."
Union und Maschinenbauer sind gar nicht erfreut
Hermann Gröhe von der oppositionellen CDU warf Hubertus Heil vor, Arbeitnehmer und Arbeitgeber offenbar durch Vorgaben bei der Arbeitszeiterfassung gängeln zu wollen: "Seine Pläne verengen gerade bei der Vertrauensarbeitszeit Spielräume, die besonders in der heutigen Zeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gewünscht und gebraucht werden."
Auch der einflussreiche Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) sieht die Pläne von Heil sehr kritisch: "Mit seinen Vorschlägen zur elektronischen Erfassung der Arbeitszeit schränkt Bundesarbeitsminister Heil die betriebliche Selbstbestimmung ein", schreibt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann in einer Mitteilung seines Verbandes. Er hält den Gesetzesentwurf für einen "Affront". "Es kann nicht angehen, dass Ausnahmen nur für tarifgebundene Betriebe gelten sollen. Damit werden Unternehmen zweiter Klasse geschaffen. Das ist für den Maschinen- und Anlagenbau inakzeptabel."