Afrika: Rückenwind im Run auf den Impfstoff
28. September 2020Noch heißt es Warten auf den Tag X. Den Tag, an dem das Corona-Virus durch einen marktfertigen Impfstoff in seine Schranken gewiesen wird. Doch schon jetzt sind Millionen von Einzeldosen von reichen Industrieländern aufgekauft worden. Derzeit laufen laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 170 Impfstoffprojekte, einige Präparate befinden sich in der letzten Phase vor einer möglichen Zulassung.
"Impfstoff-Nationalismus" in der Kritik
Dass manche wohlhabende Länder - darunter Deutschland, die USA, Japan und Großbritannien - bereits bei Herstellern große Mengen an Impfstoffen reserviert haben, stößt bei dem südafrikanischen Epidemiologen Salim Abdool Karim auf Unverständnis. "Es ist verstörend, dass einige Länder einem Impfstoff-Nationalismus zum Opfer gefallen sind", sagt der Experte im DW-Interview. "Die gehen von der falschen Voraussetzung aus, dass Sicherheit für einige Länder möglich ist, während das Virus sich in den ärmeren Ländern weiter ausbreitet, die keine Impfstoffe kaufen können. Es ist einfach falsch, zu denken, dass man sicher sein kann, wenn andere es nicht sind."
Karim vertritt eine klare Ansicht. "Es ist im besten Interesse der ganzen Welt, Impfstoffe auf gerechte Weise an so viele Menschen wie möglich auszugeben." Genau das ist das Ziel internationaler Organisationen, die eine Partnerschaft gegründet haben: Die WHO hat gemeinsam mit der Impf-Allianz Gavi und der "Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI)" ein Programm namens COVAX aufgelegt, das eine faire Verteilung sicherstellen soll. Die WHO setzt zudem auf den "COVID-19 Technology Access Pool (C-TAP)", über den auch Forschungsergebnisse und intellektuelles Eigentum wie Impfstoffrezepturen geteilt werden sollen.
Ziel: Zwei Milliarden Dosen bis Ende 2021
Laut Gavi soll mithilfe von COVAX verhindert werden, dass sich in Afrika das Szenario von 2009 und 2010 wiederholt. Nach Ausbruch der Schweinepest seien afrikanische Länder erst mit einjähriger Verzögerung mit Impfstoffen versorgt worden - eine kleine Gruppe Länder hätten die Vorräte aufgekauft. "Wir werden niemals genug Impfstoffe haben, wenn wir davon ausgehen, dass wir zwei Dosen für jede Person weltweit brauchen", sagt Aurelia Nguyen, GAVI-Geschäftsführerin für Impfstoffe und Nachhaltigkeit.
Doch das Virus kenne keine Grenzen. Ohne fairen Zugang zu Impfstoffen für alle Länder könne es keinen Rückgang zur Normalität geben. Nguyen erklärt im DW-Interview: "Wir wollen zwei Milliarden Dosen Impfstoff bis zum Ende 2021 sicherstellen. Das wäre genug, um die am meisten gefährdeten Menschen wie Alte und Gebrechliche, Pfleger und medizinisches Personal in jedem Land zu impfen."
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Mehr als 150 Länder an Bord
Ein Vorhaben, das nicht nur Geld, sondern auch Solidarität erfordert. Nguyen zeigt sich zuversichtlich: "Wir können das erreichen, weil wir durch unser Programm die Kaufkraft einer großen Gruppe von Ländern bündeln können und gemeinsam stärker sind." Die besserverdienenden Nationen finanzieren sich selbst. Hier zeigte sich die Allianz überwältigt von der schnellen Zusage von mehr als 60 Staaten. "In gesellschaftlich und wirtschaftlich extrem angespannten Zeiten haben wir Regierungen von jedem Kontinent, die bei unserem Plan mitmachen." Das habe Gavi noch weiter vorangebracht in dem Bemühen, lebensrettende Impfstoffe für einkommensschwache Länder zu besorgen. "Wir können jetzt vier weitere Verträge mit Entwicklungspartnern und Herstellerfirmen unterzeichnen", berichtet Nguyen.
Die weltweit 92 Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen würden durch freiwillige Zusagen finanziell unterstützt. Zwei Milliarden Dollar sollen durch Spenden von Staaten, aber auch aus dem privaten Sektor zusammenkommen. 700 Millionen US-Dollar seien bereits gespendet worden. Zusammen könnten so schon rund 64 Prozent der Weltbevölkerung abgedeckt werden. Nguyen betont: "Alle Länder sollen zur gleichen Zeit die gleichen Impfstoffe erhalten."
Mehr lokale Hersteller gesucht
Der südafrikanische Experte Karim sieht dennoch die Notwendigkeit für Afrika, stärker nach Möglichkeiten für die lokale Herstellung eines Impfstoffes gegen das Virus zu suchen. "Südafrika hat gegenwärtig keinen Impfstoff gefunden, darüber bin ich enttäuscht", sagt Karim. Das Land habe in der Vergangenheit Impfstoffe gegen das Virus für Tiere entwickelt, aber noch keine Abhilfe gegen COVID-19 für Menschen geschaffen. Allerdings gebe es vier Unternehmen in Afrika, die in der Lage seien, ein solches Produkt entweder selbst herzustellen oder zu konfektionieren, so dass es in Mengen auf dem Kontinent bereitgestellt werden könnte.
Schon jetzt werde in einzelnen Ländern Afrikas daran gearbeitet, Gruppen zu bestimmen, bei der Verteilung der Medikamente zuerst bedacht werden sollten, betont Epidemiologe Karim. Eine wichtige Vorbereitung, um dann die nächste Hürde zu nehmen: Die meisten Länder hätten Erfahrung in der Impfung von Kindern, aber nicht mit Erwachsenen, so Karim. "Also werden die Kosten für die Umsetzung von gezielten Impfkampagnen für bestimmte Berufs- oder Altersgruppen hoch sein."