COVID-19: Afrika als Forschungsstandort
16. Mai 2020Der Wettlauf um einen Impfstoff und Medikamente gegen das neuartige Coronavirus beflügelt die internationale Forschung: Auf der ganzen Welt wurden hunderte Studien zu SARS-CoV-2 gestartet, Gelder wurden und werden zu Forschungszwecken bewilligt, Wissenschaftler vernetzen sich. Bis zum 15. Mai 2020 hat Cytel, ein Dienstleister für klinische Studien, weltweit 1072 klinische Studien zur Erforschung von COVID-19 gezählt - doch nur 31 davon in Afrika. Die meisten werden in China (342), den USA (196) und Europa (297) durchgeführt.
Unterschiedliche Bedingungen einbeziehen
Es formieren sich allerdings Alternativen zur Arbeit der finanzkräftigsten Forschungsnationen. Zum Beispiel hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ende März die groß angelegte Studie "Solidarity" im Kampf gegen das Coronavirus lanciert, in der weltweites Wissen zusammengeführt werden soll. Und Anfang April haben mehrere Wissenschaftler eine Koalition für klinische Forschung zu COVID-19 ins Leben gerufen - die COVID-19 Clinical Research Coalition. Beteiligt sind mehr als 70 Institutionen, Wissenschaftler und Stiftungen aus 30 Ländern. Ihr Ziel: Multinationales und disziplinübergreifendes Fachwissen zusammenzuführen, um damit strukturschwache Regionen in der Welt in der Forschung zu unterstützen.
Denn deren einseitige Ausrichtung sei durchaus problematisch, sagt Philippe Guérin, einer der Initiatoren des Projekts. Der Direktor des Datenobservatoriums für Infektionskrankheiten (IDDO) an der Universität Oxford erklärt im Gespräch mit der DW: "Der Großteil der Forschungsanstrengungen konzentriert sich heute darauf, die Sterblichkeit von Patienten zu verringern, die sich in einer sehr schweren Phase der Erkrankung befinden. Aber in Ländern mit begrenzten Ressourcen gibt es nur wenige Reanimationskapazitäten. Hier wäre es wichtig, herauszufinden, wie wir verhindern können, dass Patienten von einem leichten zu einem schweren klinischen Krankheitsstadium übergehen."
Helen Rees - ebenfalls Mitglied im Vorstand der Clinical Research Coalition - ergänzt: "Viele Medikamente werden bevölkerungsübergreifend funktionieren." Allerdings gebe es auch bestimmte Impfstoffe, die in einigen Bevölkerungen nicht so gut funktionierten wie in anderen, erklärt die geschäftsführende Direktorin für Klinische Medizin an der Universität Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika im Interview mit der DW: "Das könnte mit der Verbreitung anderer Krankheiten zu tun haben oder sogar mit anderen Bedingungen wie zum Beispiel der Ernährung." Man müsse die Stoffe zwar nicht in jedem Land und in jeder Bevölkerung testen. Aber einen ganzen Kontinent wie Afrika auszulassen, wäre fahrlässig.
Hervorragende Forscher - fehlende Finanzen
Die Wissenschaftler reklamieren also, dass sich die spezifischen Bedürfnisse der Weltregionen in den Studien widerspiegeln. Die Forschungsmethoden müssten sich an die Gesundheitssysteme und die von ihnen versorgten Bevölkerungsgruppen anpassen lassen. Für strukturschwache Regionen ist auch zentral, dass die erforschten medizinischen Produkte - seien es Medikamente, Impfstoffe oder Diagnosemittel - in der Folge für alle Menschen zugänglich, bezahlbar und verfügbar sein müssen, anstatt marktwirtschaftlichen Prinzipien unterworfen zu werden. Um davor noch als Forschungsstandort und bei der Ausrichtung von Studien nicht ganz abgehängt zu werden, müsse Afrika Unterstützung bekommen und rasch in globale Netzwerke eingebunden werden, fordert die Clinical Research Coalition.
Zumal es dort eine hervorragende Forschergemeinschaft gebe, die Therapien und Impfstoffe in Bereichen wie Malaria, Tuberkulose und HIV entwickelt hat, sagt Rees. In der Tat fehle es Afrika weder an Wissenschaftlern noch an Wissen, sagt auch Janet Byaruhanga, leitende Programmbeauftragte für Gesundheitswesen bei dem Entwicklungsprogramm NEPAD der Afrikanischen Union. "Wirklich eingeschränkt werden wir vor allem durch den hohen Ressourcenbedarf, insbesondere die fehlenden finanziellen Mittel, die enorm sind." Denn Forschung ist teuer. Es könne bis zu einer Milliarde US-Dollar kosten, um ein Medikament auf den Markt zu bringen, sagt Byaruhanga: "Das ist also die Herausforderung, vor der die afrikanischen Länder wirklich stehen."
Sprungbrett in eine neue Ära?
Das Problem ist allerdings nicht neu: Seit Jahrzehnten kämpfen afrikanische Wissenschaftler mit mangelnder Finanzierung, ihre Forschung ist häufig abhängig von Zuwendungen aus dem globalen Norden. Dabei hatten sich die Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union bereits 2006 dazu verpflichtet, mindestens ein Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung auszugeben. Südafrika steht aktuell bei Forschungsausgaben von 0,82 Prozent des BIP - und ist damit absoluter Spitzenreiter auf dem Kontinent.
Doch unter dem Eindruck von COVID-19 wird allmählich mehr Geld mobilisiert: Die African Academy of Sciences (AAS) hat jüngst bei Regierungen und anderen Geldgebern rund 2,5 Millionen Euro an zusätzlichen Geldern für Forschung rund um die Pandemie eingetrieben, auch ein Teil des rund 15 Millionen Euro umfassenden COVID-19 Response Fund der AU soll für Forschungszwecke reserviert werden. Diese Summen mögen angesichts der 7,4 Milliarden Euro, die die Europäische Union bisher mit ihrem Programm "Global Response" mobilisiert hat, klein erscheinen - hier war Südafrika mit einer Million Euro der einzige Geldgeber des afrikanischen Kontinents. Doch Wissenschaftler hoffen, dass es nicht bei den Notfallfonds bleibt und die Erfahrungen mit COVID-19 langfristig zu höheren Budgets für Forschung in afrikanischen Ländern führen. Janet Byaruhanga zumindest ist davon überzeugt, dass Afrika gestärkt aus der Krise hervorgehen wird: "Ich bin sehr optimistisch, dass wir gerade jetzt - da wir gegen denselben gemeinsamen Feind kämpfen - die richtigen Schritte unternehmen."