Wenn die ersten Impfdosen nicht reichen
9. November 2020Noch gibt es in der EU also auch in Deutschland keinen Impfstoff, der bereits zugelassen wurde. Wohl aber sind einige in der letzten Test-Phase. Offen bleibt: Welcher Impfstoff oder welche Impfstoffe es sein werden. Wie viele Dosen stehen wann zur Verfügung? Wer wird vorrangig geimpft?
Deutschland arbeitet schon mal mit Hochdruck an der 'Hardware': Der Organisation und Logistik einer landesweiten Impfung. Der Bund und die 16 Bundesländer - sie sind laut Gesetz für den Infektionsschutz zuständig - wollen zusammenarbeiten, sich die Aufgaben teilen und eine neue Struktur aufbauen: Die Länder werden staatliche Impfzentren einrichten. 60 insgesamt soll es geben - Ultratiefkühlschränke bis minus 60 Grad Celsius für besondere Lagerbedingungen inklusive. Der Bund beschafft und bezahlt den Impfstoff, die Bundeswehr hilft bei der Anlieferung. Zusätzlich soll es Impfteams geben, um zum Beispiel Bewohner und Personal in Altenheimen zu immunisieren.
Die 'Software' wird wohl die größere Herausforderung, also die Frage, nach welchen Regeln wer, wann, wie geimpft wird. In der ersten Phase soll priorisiert werden - zunächst sehr streng und dann etwas weniger. Das könnte womöglich über mehrere Monate so gehen, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
Gemäß der Priorisierung sollen die zentralen Impfzentren die ersten Impfungen vornehmen. Erst in der zweiten Phase sollen dann auch Hausärzte anhand weniger strenger Prioritätenlisten tätig werden.
Wer gehört zu den ersten Impfgruppen?
Wie genau der zunächst wohl wenig vorhandene Impfstoff verteilt werden könnte, ist eine komplexe Frage. Dazu hatte die Bundesregierung Experten des Ethikrats, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut um einen Tisch versammelt. Dieses Gremium hat nun erste Impf-Ziele als Empfehlungen für die Politik vorgestellt. Sie sollen für "einen gerechten und geregelten Zugang" zu einem Impfstoff sorgen.
Zunächst müssten schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle verhindert werden bei Menschen mit einem "signifikant höheren Risiko". Dann sollen diejenigen vor einer Infektion geschützt werden, die sich um Kranke und besonders gefährdete alte Menschen kümmern.
Außerdem müsse eine Ausbreitung durch "Multiplikatoren" zum Beispiel in Altersheimen verhindert werden, wo viele gefährdete Menschen leben und es ein hohes Ausbruchspotential gibt. Schließlich müsse das öffentliche Leben aufrecht erhalten bleiben, wozu zum Beispiel Lehrer oder Feuerwehrleute, Polizei und Beschäftigte der Gesundheitsämter nötig seien.
Genauer ginge es - noch - nicht, erklärte der Präsident der Impfkommission Thomas Mertens in Berlin. "Denn wir fangen normalerweise eine Impfstrategie erst an zu planen, wenn ein Impfstoff zugelassen ist." Erst dann werde eine nationale Impf-Empfehlung herausgegeben, die von den Bundesländer umzusetzen sei. Bei COVID-19 gebe es aktuell noch zu wenige Daten über die gelaufenen Tests und deshalb zu viele unbekannte Variablen. Dennoch wolle man bis Jahresende eine "Matrix mit einer genaueren Hierarchisierung" vorstellen, wie es in einem gemeinsamen Papier heißt.
Was die Experten der Politik raten
Wenn dann mal 'Hardware' und 'Software' funktionsbereit sind, braucht es noch entsprechende Nutzer und eine gute 'Schadsoftware'. Die Impfung soll freiwillig sein, heißt es immer wieder unisono von Experten und zuletzt auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch damit die Infektionsdynamik eingedämmt wird, müssten wohl 55 bis 65 Prozent der Deutschen mitmachen - die Zahl stammt vom Bundesgesundheitsminister. Es gibt in Deutschland aber nicht wenige Impfgegner. Selbst bei einer Impfung gegen Masern, mit denen man sich noch schneller anstecken kann als mit COVID-19, gibt es Vorbehalte.
Gerade die Politik müsse mit dafür sorgen, sagen die Experten, dass die Impfkampagne ein Erfolg wird. Sie raten zu Transparenz, guter Kommunikation und einer "klaren parlamentsgesetzlichen Regelung". Im Bundestag und in der Bevölkerung gab es zuletzt Beschwerden darüber, wie die Corona-Maßnahmen beschlossen wurden. Nämlich zu stark an den Parlamenten vorbei. Gegenüber der Bevölkerung sei es wichtig, "respektvoll und erklärend auf Bedenken einzugehen", sagte der Präsident der Leopoldina Gerald Haug.
Der Bundesgesundheitsminister begrüßte die Empfehlungen der Experten und rief zu einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion auch am Arbeitsplatz und zu Hause auf. Vor dem Hintergrund voraussichtlich begrenzter Impfdosen wies Spahn darauf hin, dass zunächst Menschen "vertröstet" müssten, die sich eigentlich impfen lassen wollten. Spahn weiß, das braucht gute Argumente. Denn nicht Ärzte werden vorgeben, wer zuerst geimpft werden kann, sondern die Politik.
Zentrales Monitoring geplant
Ein anderer Punkt führt schon jetzt zu Diskussionen - zumindest bei manchen Journalisten. Alle Geimpften sollen in einer zentralen Datenbank gespeichert werden. Bei der Corona-Warn-App hatte sich Deutschland für einen dezentralen Ansatz entschieden. Aus Datenschutzgründen und um die Gefahr durch Hacker zu minimieren. Nun heißt es von der Impfkommission, man brauche einen schnellen Zugriff auf einheitliche Datensätze für die Überwachung, auch um mehr über mögliche Nebenwirkungen und Erfahrungen mit neu hinzukommenden Impfstoffen zu erfahren. Leider gebe es in Deutschland kein zentrales Impfregister wie in Finnland, sagte Präsident Mertens.
Wie viele Leute in der ersten Phase nun tatsächlich geimpft werden sollen, steht also noch nicht fest. Auch nicht, wann mit einer Impfung begonnen werden kann. Die Experten warnten auch vor allzu großen Hoffnungen auf eine schnelle Rückkehr ins alte Leben. Selbst wenn die Impfungen liefen, müssten die Kontakte wohl wegen zu niedriger Impfquoten zunächst reduziert bleiben.