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Corona: Sorgen im Dreiländereck

25. September 2020

Die Zahl der Corona-Infektionen steigt. Auch im Gebiet zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Die Menschen haben Angst vor einer erneuten Grenzschließung. Eine Reportage von Sabine Kinkartz.

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Niederlande Corona Krise
Kinder spielen dort, wo sich die Grenzen von Deutschland, Belgien und den Niederlanden treffenBild: Sabine Kinkartz/DW

Die Sonne scheint, böiger Wind lässt immer wieder Kaskaden von Eicheln auf den Waldboden prasseln. Es ist ein schöner Herbsttag auf dem dicht bewaldeten Vaalserberg, der sich auf drei Länder verteilt: Deutschland, Belgien und die Niederlande. Der Gipfelpunkt liegt auf niederländischer Seite und ist mit 322 Metern die höchste Erhebung des ansonsten so flachen Landes. Eine Attraktion, an der sich die Touristen drängen und Fotos schießen, bevor sie im nahegelegenen Ausflugs-Restaurant kleine Poffertjes-Pfannkuchen und Waffeln essen.

Ohne Mund-Nasen-Schutz natürlich, denn in den Niederlanden müssen in der Corona-Pandemie Masken nur in öffentlichen Verkehrsmitteln getragen werden. Läge das Restaurant nur ein paar Meter weiter östlich oder südlich und somit in Belgien oder Deutschland, würden andere Corona-Regeln gelten.

Wo gilt welche Vorschrift?

Ein etwa ein Meter hoher Stein markiert auf dem Vaalserberg den Dreiländerpunkt, dahinter wehen die Landesfahnen in schwarz-rot-gold, rot-weiß-blau und schwarz-gelb-rot. Eine Gruppe Kinder balgt sich darum, wer auf dem Stein sitzen darf. "Ich stehe in Deutschland", "ich in Belgien", "ich in den Niederlanden", rufen sie, während sie um den Stein herumspringen.

Karte - Ländereck Deutschland, Niederlande, Belgien - DE

So spielerisch der Grenzübertritt der Kinder ist - anderen bereitet er in der Pandemie Kopfzerbrechen. Denn die Länder haben keine einheitlichen Corona-Regeln. Am vergleichsweise strengsten sind sie in Belgien. Bis Mitte Juni waren wochenlang sogar die Grenzen dicht. Nur die rund 6000 Berufspendler und die Abiturienten, die in Deutschland ihre Prüfungen ablegen mussten, durften passieren.

Grenzüberschreitend zuhause

Das sei schlimm gewesen, erinnert sich Elvira Ney, die in Hergenrath, einer kleinen belgischen Gemeinde, direkt an der Grenze lebt. Mit Sorge verfolgt die Deutsche, wie die Infektionszahlen wieder steigen. "Wir können von Glück sagen, dass im Moment noch nicht wieder alles zu ist." Regelmäßig fährt die 83-jährige Rentnerin mit ihrem Auto ins nur acht Kilometer entfernte Aachen. Dort hat sie jahrzehntelang gearbeitet, dort leben die meisten ihrer Freundinnen, dort kauft sie ein. Ihren Hausarzt hat Ney im belgischen Eupen, den Zahnarzt und den Orthopäden in Aachen.

Elvira Ney steht auf ihrem Balkon im belgischen Hergenrath
Elvira Ney hofft, dass die Grenzen offen bleibenBild: Sabine Kinkartz/DW

In den Wochen der Grenzschließung musste Elvira Ney zuhause bleiben. Einmal fuhr sie zur Grenze und fragte den belgischen Beamten, ob sie nur mal kurz die 300 Meter bis zur ersten deutschen Tankstelle zu Fuß gehen und sich dort eine deutsche TV-Zeitschrift kaufen könnte. Das durfte sie nicht. Ein anderes Mal schaffte sie es aber doch noch, die Grenze zu passieren. "Ich hatte ein Rezept für ein Medikament, das ich nur in einer deutschen Apotheke bekommen konnte, da durfte ich fahren."

Einkaufen verboten

Natürlich habe sie in Aachen heimlich auch Lebensmittel besorgt, erzählt die Rentnerin mit einem verschmitzten Grinsen. Das war verboten, wurde an der Grenze kontrolliert und war mit einem Bußgeld von 250 Euro belegt. "Meine Tochter, die in Aachen arbeitet und pendeln durfte, haben sie erwischt, die musste alles ausräumen und abgeben", erzählt Ney. Sie selbst habe an der Grenze nur kurz ihre Tüte von der Apotheke hochgehoben und da habe man sie ohne Kontrolle passieren lassen, freut sie sich noch heute.

Niederlande Corona Krise
Ein außer Dienst gestellter, blumengeschmückter Schlagbaum erinnert an die Grenze zwischen Deutschland und BelgienBild: Sabine Kinkartz/DW

Seit gut drei Monaten ist die Grenze wieder offen. Doch nachdem die Infektionsrate in Belgien mit 139 Fällen pro 100.000 Einwohnern in 14 Tagen stark angestiegen ist, wird in Brüssel über eine erneute Schließung zumindest nachgedacht. Das entsetzt den Aachener CDU-Politiker Tim Grüttemeier, der als Städteregionsrat oberster gewählter Repräsentant der rund 550.000 Menschen ist, die auf der deutschen Seite des Dreiländerecks leben. "Das würde ich für das vollkommen falsche Signal halten", sagt er im Gespräch mit der DW.

Die Grenzen offen halten - unbedingt

Das Virus mache an den Landesgrenzen nicht halt und im vereinten Europa sei auch politisch nicht zu erklären, dass jedes Land plötzlich wieder eigene Lösungen suche. "Das ist in unserer Region in der DNA eigentlich ganz anders verankert", so Grüttemeier, der in der Pandemie noch enger als sonst mit seinen Kollegen jenseits der Grenzen zusammenarbeitet.

Niederlande Corona Krise
Verkehrsschilder in Hergenrath: Vaals in den Niederlanden ist nebenan und Aachen nicht weit wegBild: Sabine Kinkartz/DW

Der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens habe ihm gesagt, dass auch er eine Grenzschließung unbedingt verhindern wolle und das in Brüssel auch deutlich gemacht habe, berichtet der Aachener. Zumal die Infektionsrate in der belgischen Grenzregion in den letzten 14 Tagen bei lediglich 21 Infektionen pro 100.000 Einwohnern gelegen habe. Doch so regional wird das Infektionsgeschehen in Brüssel nicht bewertet.

Was passiert, wenn die ganze Region Risikogebiet wird?

Die belgische Hauptstadt ist vom deutschen Robert-Koch-Institut inzwischen als Risikogebiet eingestuft. So wie inzwischen auch drei Provinzen im Nordwesten der Niederlande. Wie wird man im Dreiländereck damit umgehen, wenn die Nachbarländer insgesamt als Risikogebiet ausgewiesen würden? Laut Grüttemeier würde dann von deutscher Seite die sogenannte 48-Stunden-Regelung greifen. Das heißt, dass alle, die nur für zwei Tage einreisen und dann wieder nach Hause fahren, nicht in Quarantäne müssten.

Corona-Testcenter am Flughafen Dresden
Wer aus einem Riskogebiet nach Deutschland einreist, muss in Quarantäne und darf sich erst nach fünf Tagen testen lassenBild: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa/picture-alliance

Ob Belgien und die Niederlande diese Regelung übernehmen oder adaptieren würden, kann der Deutsche nicht sagen. "Ich glaube aber, dass die Sorge auf allen Seiten der Grenze gleich groß ist", sagt Grüttemeier mit ernster Stimme, "denn wir sehen, wohin sich die Fallzahlen entwickeln." Die Menschen seien sorgloser geworden. "Was auch nachvollziehbar ist, denn Corona nervt natürlich alle von uns, aber das hilft nicht, denn man muss da weiterhin achtsam sein."

Party in Maastricht

Vielfach werden für die steigenden Infektionszahlen jüngere Menschen verantwortlich gemacht. Da die Clubs nach wie vor geschlossen sind, feiern sie - oft zu Hunderten - in Parks und an anderen Orten im Freien. Auch im niederländischen Maastricht ist das so. In der Stadt leben viele Studenten, rund 25.000 sind an der Universität eingeschrieben. Gerne trifft man sich an einer breiten Steintreppe an der Maas, dem Fluss, der die 30 Kilometer von Aachen entfernte Stadt teilt. "Da ist immer richtig was los", erzählt Henni, eine 19-jährige Deutsche, die seit Anfang September in Maastricht studiert und dort mit zwei anderen Studentinnen in einer Wohngemeinschaft lebt.

Niederlande Corona Krise
1,5 Meter Abstand und getrennte Laufrichtungen in MaastrichtBild: Sabine Kinkartz/DW

"Die Polizei kommt oft vorbei, aber sie löst die Feiern nicht auf, sondern weist nur darauf hin, dass man Abstand halten soll," schildert Henni. 1,50 Meter Distanz, das ist die zentrale Maßnahme, mit der die Pandemie in den Niederlanden bekämpft wird. "Am Anfang fand ich es ganz komisch, dass ich hier in den Geschäften und in der Uni im Unterschied zu Deutschland keine Maske tragen muss", sagt die ebenfalls 19-jährige Louisa. Sie findet das gar nicht gut, denn die Maske erinnere einen stets daran, dass man vorsichtig sein muss. "So wie sie hier in Maastricht damit umgehen, da hat man das Gefühl, Corona sei schon vorbei."

Online studieren, aber eng auf den Tischen tanzen

Die Studentinnen erzählen von Fotos aus Studentenheimen, die in den sozialen Netzwerken kursieren. "Da sieht man die Leute eng zusammen auf den Tischen tanzen", erzählt Louisa. An einem Abend hätten sie unterwegs ein Haus gesehen, wo in einer Wohnung bei geöffneten Fenstern, lauter Musik und blinkender Disko-Kugel eine große Party gefeiert wurde.

Niederlande Corona Krise
Von der Uni haben Louisa, Emma und Henni Masken bekommen, die sie im niederländischen Alltag aber nicht brauchen Bild: Sabine Kinkartz/DW

Offiziell dürfen sich in den Niederlanden in privaten Räumen maximal sechs Personen treffen. Eine Corona-Regel, die nach der Erfahrung der Studentinnen vielfach missachtet wird. Streng geht es hingegen an der Universität zu. Die Gebäude darf nur betreten, wer berechtigt ist. Der Uni-Ausweis wird am Eingang gescannt, auf den Fluren und Treppen sind die Laufrichtungen vorgegeben. Dort Unterricht haben Henni, Louisa und Emma, die dritte Studentin im Bunde, aber kaum. Fast alle Vorlesungen und Tutorien finden nur online statt.

Zurück nach Hause?

Auch in Maastricht steigen die Infektionszahlen immer weiter an und die Studentinnen machen sich langsam Gedanken darüber, was das für sie bedeuten könnte. Nur noch Online-Unterricht wäre das eine. "Ich würde wahrscheinlich wieder zuhause in Aachen wohnen wollen, wenn hier ein neuer Lockdown kommt oder es schwierig wird, am Wochenende nach Deutschland zu fahren ", sagt Emma. Zumal ihr Freund in Köln studiert und ebenfalls aus Aachen kommt.

Auch Henni und Louisa würden Maastricht wahrscheinlich vorübergehend den Rücken kehren. Wenn auch ungern, denn ihre Studienzeit hat doch gerade erst begonnen. Aber die Vorstellung, von ihren Familien komplett getrennt zu sein, wiegt schwerer. "Wenn meine Großmutter oder meine Eltern erkranken würden und ich könnte nicht zu ihnen, das könnte ich nicht ertragen", sagt Louisa und ihre Freundinnen nicken bestätigend. Wenn es hart auf hart kommt, dann wären sie alle lieber auf der deutschen Seite der Grenze.