Milliardendeal per Handschlag
16. April 2021Sie waren die Ersten: Gemeinsam mit dem Mainzer Unternehmen BioNTech stellt das US-Unternehmen Pfizer ein erfolgreiches Vakzin her und vertreibt es. In einem Interview erzählt Pfizer-Chef Albert Bourla vom ungewöhnlichen Beginn der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit: "Wir hatten anfangs keinen Vertrag. Wir (BioNTech-Gründer Ugur Sahin und Bourla, Anm. der Red.) haben gesprochen und uns gesagt: Wenn wir warten, bis wir einen Vertrag haben, verlieren wir Zeit. Und das sind Multi-Milliarden-Dollar-Verträge. Wir haben einen Handschlag per Zoom gemacht und angefangen zu arbeiten."
Etwas Schriftliches habe es aber erst drei Wochen später gegeben, bis zu einem "ordentlichen Vertrag" dauerte es sogar noch länger: "Sie werden schockiert sein, wenn Sie hören, wann wir den endgültigen Vertrag unterzeichnet haben: im Januar 2021."
Viel zu sagen gebe es dazu aber nicht: "Das ist eine Fifty-fifty-Partnerschaft." Nur einmal wird Bourla etwas genauer: "BioNTech hat seine Werke, wir haben unsere. Wir legen alle Ausgaben, alle Einnahmen und alle Gewinne zusammen, und dann teilen wir."
Das Beispiel Israel
Das sagte der Pfizer-CEO Vertretern von vier europäischen Zeitungen - der italienischen La Stampa, der spanischen El Mundo, Les Echos aus Frankreich und dem deutschen Handelsblatt. Aus diesem Interview, per Zoom geführten Gespräch stammen die hier zitierten Äußerungen.
Auf die Frage, wie lange es dauern wird, bis alle EU-Bürger geimpft seien, sagte Bourla, er wolle nicht über die Lieferungen der Konkurrenz spekulieren, BioNTech-Pfizer aber werde seine Lieferungen an die EU drastisch erhöhen: "Im laufenden zweiten Quartal werden wir viermal mehr liefern als im ersten, 250 Millionen Dosen nach 62 Millionen im ersten Quartal. Und wir diskutieren darüber, noch mehr zu tun."
Zum Herbst könnten die Menschen wieder mit einer weitgehenden Normalisierung des Lebens rechnen: "Wir haben das am Beispiel von Israel gesehen. Wenn man erst einmal einen bedeutenden Teil der Bevölkerung geimpft hat, kann das Leben fast wieder so werden wie vorher."
Das ersehnte "Licht am Ende des Tunnels"
In der Europäischen Union macht sich das Gefühl breit, es werde nicht genug geimpft, die EU würde im internationalen Vergleich zurückfallen. Diesem Eindruck widerspricht Albert Bourla ausdrücklich: "Wenn Sie sich die Daten für Europa ansehen, denke ich, dass die EU nicht hinter anderen großen, komplexen Ländern liegt. Es ist eine monumentale Aufgabe, Dosen für 447 Millionen Menschen zu liefern und zu verabreichen."
"Das Problem ist, dass nicht alle Lieferanten liefern konnten, was sie versprochen haben. Jetzt fahren wir alle, wie ich hoffe, die Produktion hoch. In ein paar Monaten wird die Zahl der Dosen kein Thema mehr sein", zeigt sich Bourla überzeugt und bemüht dann auch ein von der deutschen Bundeskanzlerin gern benutztes Bild: "Dann bin ich optimistisch, dass das Licht am Ende des Tunnels immer heller wird."
Und gerade die Zusammenarbeit mit den Brüsseler Instanzen funktioniere gut. Er spreche sehr oft mit Vertretern der "höchsten Ebene". Besonders die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat es ihm dabei angetan: " Ich habe noch nie eine Führungsperson gesehen, die so viele Details über COVID-19 weiß."
Persönliche Geschichte als Hilfe und Inspiration
Auch erzählt Albert Bourla von seiner persönlichen Geschichte und vergleicht sie mit dem US-deutschen Joint Venture und dessen Erfolg. "Für diejenigen, die es nicht wissen: Ich bin wirklich Grieche", so Bourla. Es bedeute ihm viel, dass "ein griechischer Jude und türkische Muslime, alle Einwanderer in verschiedenen Ländern, zusammenarbeiten, ohne einen Vertrag zu unterschreiben."
Seine Herkunft, so der CEO, habe ihn gut vorbereitet auf die Herausforderungen, denen er jetzt gegenüber steht: "Ich war Jude in einem Land, in dem die Juden eine kleine Minderheit waren. Da lernt man, widerstandsfähig zu sein. Man lernt, dass man seine Identität, seine Andersartigkeit annehmen sollte. Ein Immigrant zu sein ist meiner Meinung nach die wichtigste Eigenschaft von allen."
Auch der Nachbar muss geschützt sein
Internationalismus ist für Albert Bourla entscheidend in der Pandemie. Denn genauso, wie das Virus vor keiner Grenze halt macht, kann auch seine Bekämpfung nicht von einem Land allein geleistet werden, internationale Zusammenarbeit sei unerlässlich.
Das sei auch der Grund, dass der BioNTech-Pfizer-Impfstoff nicht überall gleich viel koste. Man habe sich bewusst für ein "System mit drei verschiedenen Preisen entschieden." Konkret sehe das so aus, dass es in den einkommensstarken Ländern in Europa und den USA, in Japan oder Kanada "vielleicht einen gewissen Rabatt gebe, das Vakzin aber einen klaren Preis" hat, der sich an "den Kosten für eine Mahlzeit" orientiert. In Ländern, die nach Weltbank-Definition wirtschaftlich im Mittelfeld liegen, gelte ungefähr der halbe Preis. "In Ländern mit niedrigem Einkommen geben wir den Impfstoff zum Selbstkostenpreis ab."
Eines sei jedenfalls sonnenklar: "Dass jeder bei einer Pandemie nur so gut geschützt ist wie sein Nachbar." Daher müsse man alle Menschen impfen - gerade auch in den ärmeren, bevölkerungsreichen Ländern des Südens: "Wenn letztlich in Afrika nicht genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen, wäre das nicht nur unethisch. Afrika würde zu dem Pool, in dem sich das Virus weiter repliziert, und dort würden die meisten Varianten auftreten."