Noch macht Biontech keine Gewinne
10. November 2020Es ging an diesem Dienstag in Mainz um so alltägliche Sachen wie die Bilanzzahlen einer Firma zum dritten Quartal des Jahres. Bei Biontech sprechen die eine andere Sprache als die Erfolgsmeldungen vom Vortag. Biontech hat wieder keinen Gewinn gemacht, aber das hatte auch niemand erwartet. Im Gegenteil: Aufgrund "gestiegener Verwaltungskosten" hat das Unternehmen seine Verluste ausgeweitet. Netto fiel ein Minus von 210 Millionen Euro an nach einem Minus von 30,1 Millionen vor Jahresfrist. Kumuliert ergibt sich in den ersten neun Monaten ein Fehlbetrag von 351,7 Millionen Euro.
Biontech bleibt sich also treu: In den zwölf Jahren seiner Existenz hat das Unternehmen noch nie einen Gewinn gemacht. Und doch ist es an der Börse mehr wert als die deutsche Lufthansa oder die ehrwürdige Commerzbank - ganz genau lag der Börsenwert Mitte Oktober bei 18,4 Milliarden Euro. Und das war lange vor den Erfolgsmeldungen der letzten Tage.
Hinter Biontech stecken zwar zwei brillante Wissenschaftler, die Gründer Ugur Sahin und Ölem Türeci. Aber hinter dem Biotech-Pionier stehen auch potente Geldgeber, die von Anfang an dabei waren: die Brüder Thomas und Andreas Strüngmann, die mit dem Pharma-Unternehmen Hexal sehr reich geworden waren. Im September 2007 entschlossen sich die beiden, die Gründung von Biontech mit anzuschieben.
Gewaltiger Druck - gewaltige Chance
Biontech, das ist heute eine Zentrale in Mainz mit 500 Fachkräften; weltweit sind es 1300 Mitarbeiter in 60 Ländern. Das Unternehmen profitierte nicht nur von dreistelligen Millionen-Investitionen durch die Brüder Strüngmann, die die Hälfte der Firmenanteile halten. Wenn es darum geht, Wagniskapital einzuwerben, dann sind die Mainzer erfolgreich wie wenige: Von 479 Millionen Euro Risikokapital für deutsche Biotech-Firmen im letzten Jahr entfielen 290 Millionen Euro allein auf eine Finanzierungsrunde von Biontech.
Seit Biontech im weltweiten Rennen um den Corona-Impfstoff ganz weit vorn mitmischt, sind zudem potente Partner dazugekommen - allen voran der US-Pharmagigant Pfizer. Die Amerikaner steigen im Frühjahr 2020 bei Biontech ein, übernehmen Entwicklungskosten und helfen nicht zuletzt beim Aufbau von Produktionsanlagen. Dem deutschen Magazin Spiegel zufolge sollen dank Pfizer bis Ende 2021 Herstellungskapazitäten von 1,5 Milliarden Impf-Dosen bereitstehen - für einen Impfstoff, den es letztendlich noch gar nicht gibt, der jedenfalls noch nicht zugelassen ist.
Das Risiko ist also gewaltig, aber der Druck, einen Impfstoff zu finden, eben auch. Dieses Risiko übernimmt der Gigant Pfizer zu einem erheblichen Teil - auch die Gewinne aus der Operation Anti-Corona-Impfung dürften also zu einem nicht unerheblichen Teil an Pfizer gehen. Zugesichert hat Pfizer Zeitungsberichten zufolge Zahlungen von zunächst knapp 750 Millionen Dollar. Eventuelle Gewinne wollen sich beide Seiten dann teilen. Obwohl Biontech-Gründer Sahin nicht müde wird zu betonen, seine Firma bleibe Auftraggeber. "Es ist unsere Technologie", so Sahin zum Spiegel.
"Amazon der Biotechs"
Um beim Aufbau der benötigten gewaltigen Produktionskapazitäten zu helfen, stellte inzwischen auch die deutsche Regierung Biontech Mittel in Höhe von 375 Millionen Euro zur Verfügung. Und in China arbeiten Biontech und Pfizer für den dortigen Markt mit dem chinesischen Unternehmen Fosun Pharma zusammen: Fosun hat sich so angeblich die Lieferung von 10 Millionen Impfdosesn für China, Hongkong und Macau gesichert. Nachrichtenagenturen zufolge sicherte Fosun dafür Investionen in Höhe von 50 Millionen Dollar zu und bezahlt 85 Millionen an Lizenzgebühren.
Für die Länder der Europäischen Union hieß es am Dienstag aus Kreisen der EU-Kommission, ein Vertrag mit Biontech und Pfizer sei "in trockenen Tüchern". Die Verhandlungen mit den beiden seien abgeschlossen, nach Vertragsunterzeichnung sollen in der EU alle 27 Länder gleichzeitig Zugriff auf erste Lieferungen des Impfstoffs bekommen. Die EU-Kommission verhandelt seit Monaten mit Biontech und Pfizer. Nach Vorgesprächen hatte sie schon im September erklärt, man wolle bis zu 300 Millionen Impfdosen der Hersteller beziehen.
Kein Wunder, dass Geldgeber und Mitgründer Strüngmann ein riesiges Potential für sein Pionierprojekt sieht und auch die ganz großen Vergleiche nicht scheut. Der Zeitschrift Wirtschaftswoche sagte Strüngmann kürzlich: "Biontech kann das Amazon der Biotechs werden."
ar/hb (rtr. afp, dpa - Archiv)