Corona: Globale Impf-Strategie gesucht
3. Februar 2021In Blantyre ist an eine Impfung gegen das Coronavirus noch nicht zu denken. Rund 800.000 Einwohner hat die Stadt im Süden Malawis in Ostafrika. Seit einigen Tagen ist Tankred Stöbe vor Ort, im Einsatz für Ärzte ohne Grenzen. Der Intensivmediziner hilft, die Covid-19-Station des größten Krankenhauses des Landes auszubauen. Denn alle 80 Betten, die für Covid-19 freigeräumt wurden, sind bereits belegt.
"Die erste Welle ist hier praktisch nicht groß bemerkt worden. Es gab wenige Infektionen und kaum nennenswerte Todesopfer. Jetzt wird vermutet, dass dieses mutierte Virus aus Südafrika hier eingetragen wurde und sich dann lokal schnell verbreitet hat", sagt Stöbe der DW per Telefon. Die Infektionszahlen steigen sprunghaft an; alle vier oder fünf Tage verdoppeln sie sich. Ob es sich in Malawi tatsächlich um das mutierte Virus handelt, können die Ärzte nicht sagen. Es gibt in dem Land nicht die geeigneten Labore. Die Proben wurden nach Südafrika geschickt, bisher noch ohne eine Rückmeldung.
Vorbereitungen zum Impfen würden in Malawi noch nicht getroffen, sagt Stöbe. Es gehe zunächst darum, die akut Erkrankten zu behandeln. "Der Impfstoff ist auch in den nächsten Monaten noch nicht zu erwarten. Im Moment sind die größten Hoffnungen, dass er zum April hin hier verfügbar sein wird."
Zu wenig, zu langsam
Um diesen Impfstoff streitet derweil die ganze Welt. Die Impfstoffe dreier Unternehmen sind bisher in der Europäischen Union zugelassen: BionTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca. Bisher kamen sie fast ausschließlich den Menschen in Industrienationen zugute. Und selbst dort laufen die Impfkampagnen nur stockend an. Lieferengpässe und Unstimmigkeiten in Verträgen verzögern ein rasches Impfen und sorgen für Missmut. Die Impfstoff-Hersteller mussten nachrüsten und versprechen eine schnellere Produktion.
Dabei herrscht ein ausgeprägter Impf-Nationalismus. Länder wie Israel weisen auch deshalb eine beeindruckende Impfquote auf, weil sie sich vorab viele Millionen Impfdosen gesichert haben, vermutlich zu einem erhöhten Preis. Die Europäische Union kritisierte AstraZeneca scharf, weil es den Verdacht gab, der Konzern würde Impfdosen nach Großbritannien liefern, obwohl das Unternehmen gleichzeitig seine Lieferversprechen an die EU nicht einhalten konnte.
Im Ringen um den bisher einzigen wirklichen Ausweg aus der Pandemie wird mit harten Bandagen gekämpft. Dabei sind sich eigentlich alle Akteure einig, dass es sich um eine globale Herausforderung handelt, die Zusammenarbeit erfordern müsste. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte noch vergangene Woche beim virtuellen Weltwirtschaftsforum: "Es ist die Stunde des Multilateralismus." Sie mahnte, "dass ein Abschottungsansatz uns nicht helfen wird, die Probleme zu lösen".
Für eine gerechte Impfverteilung
Auch deshalb wurde bereits im April 2020 die Initiative "Covax" gegründet – ein Gemeinschaftsprojekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Europäischen Kommission und Frankreichs, dem mittlerweile 190 Staaten weltweit beigetreten sind. Die Initiative soll sicherstellen, dass auch ärmere Länder mit Corona-Impfstoffen versorgt werden. Der Ansatz sei zwar gut, "aber die Initiative erhält noch nicht die Unterstützung von reicheren Staaten, aber auch nicht von Pharmaunternehmen, die sie eigentlich erhalten müsste", sagt Stephan Exo-Kreischer, Deutschland-Direktor der Entwicklungsorganisation One, der DW.
Vor allem die Impfstoff-Hersteller sind in den vergangenen Tagen ins Blickfeld der Kritik gerückt. Die erste Runde der Impfstoff-Verkäufe kam den reicheren Nationen zugute; an ärmere Länder wurden nur wenige Impfdosen verkauft. "Dass reiche Impfhersteller jetzt auf dem Rücken dieser Pandemie Profite machen, das finden wir nicht angemessen, und da muss dringend eine andere Strategie her", kritisiert Intensivmediziner Stöbe. Deshalb fordern unter anderem Ärzte ohne Grenzen und One, dass die großen Impf-Hersteller ihre Lizenzen abgeben und die Patente auf die Impfstoffe ausgesetzt werden. So könnte in mehr Fabriken und in mehr Ländern der begehrte Impfstoff hergestellt werden. Ein Aussetzen der Patente lehnt die Pharmaindustrie vehement ab. Der Verlust des geistigen Eigentums würde dazu führen, dass in späteren Pandemien kein Unternehmen mehr den Aufwand und das Risiko auf sich nähme, einen Impfstoff zu entwickeln.
Und noch etwas werde dabei übersehen, sagt Thomas Cueni, Generaldirektor der IFPMA, die forschungsbasierte Pharmaunternehmen und Verbände aus aller Welt vertritt, der DW: "Forderungen nach Preisgabe von Patenten auf Impfstoffe würden kurfristig nicht eine einzige Dosis Impfstoff zusätzlich bringen, denn sie übersehen, wie komplex die Impfstoffherstellung ist und ignorieren, wie stark Impfstoffhersteller und Pharmafirmen aus Industrie- wie Entwicklungsländern bereits heute zusammenarbeiten, um die Impfstoffkapazität hochzufahren. Vor lauter Euphorie über die Erfolge in der Entwicklung von hoch wirksamen Impfstoffen ist irgendwie der Eindruck entstanden, wenn ein Impfstoff da ist, drückt jemand auf den Knopf, und dann rollen eine Milliarde Dosen aus den Fabriken. Ich glaube man muss sich schon sehr bewusst sein, wie komplex, wie schwierig, diese Impfstoff-Produktion ist." Dem widerspricht One-Deutschland-Direktor Exo-Kreischer. Bei einigen Impfstoffen zumindest sehe es aus, als könnten diese auch in fremden Produktionsstätten hergestellt werden.
Auch im Interesse der Industrienationen
Tatsächlich existieren abseits des Streits um Patente und Lizenzen beispiele für Zusammenarbeit, die Hoffnung auf mehr Impfstoffe für mehr Weltregionen weckt. Ausgerechnet das viel gescholtene Unternehmen AstraZeneca geht dabei voran. Es ist bisher das einzige Pharmaunternehmen mit zugelassenem Impfstoff, das den Impfstoff zum Selbstkostenpreis abgibt und der Covax-Initiative mehrere Millionen Dosen zugesichert hat. Außerdem kooperiert der Konzern mit dem Serum Institute of India, dem weltweit größten Hersteller von Impfstoffen. Erste Früchte der Zusammenarbeit: Südafrika erhielt am Montag eine Million AstraZeneca-Impfdosen - produziert in Indien.
Die Versorgung auch ärmerer Länder mit Covid-19-Impfstoffen liege durchaus im eigenen Interesse der Industrienationen, sagt One-Deutschland-Direktor Exo-Kreischler: "Wenn wir die Pandemie wirklich so schnell wie möglich beenden wollen, müssen wir begreifen, dass wir nicht in einem Wettrennen gegeneinander stehen, sondern gegen das Virus. Dieses unkoordinierte Vorgehen weltweit führt dazu, dass die Pandemie länger dauert, als sie dauern würde, wenn wir das wirklich gemeinsam angehen würden. Sie führt dazu, dass die Weltwirtschaft immense Kosten haben wird und es erhöht sich das Risiko, dass das Virus mutiert."
Und das kann weitreichende Konsequenzen haben. Impfstoffe könnten gegen mutierte Viren nicht mehr wirken. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Ein Wettlauf, von dem in Malawi noch nichts zu spüren ist. Es gibt weder Impfzelt noch Impfplan, schildert Intensivmediziner Stöbe: "Hier wäre es wichtig, dass tatsächlich eine globale Solidarität endlich greift, die monatelang versprochen worden ist. Aber ich sehe hier in Malawi, dass das leider noch nicht einmal am Horizont sichtbar wird."