Impf-Weltmeister Israel streitet über Lockdown
30. Januar 2021Rund 1,7 Millionen Israelis seien bereits zweimal geimpft worden, teilte das Gesundheitsministerium mit. Gleichzeitig blieben die Infektionszahlen in dem kleinen Mittelmeerland hoch. 6435 neue Fälle wurden den Angaben zufolge binnen 24 Stunden verzeichnet.
Israel ist ein vergleichsweise kleines Land. Der Staat hat etwas mehr als neun Millionen Einwohner, in Deutschland leben etwa neun Mal so viele Menschen. Zum Vergleich: Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut zuletzt 11.192 Ansteckungsfälle binnen eines Tages gemeldet. In Deutschland haben rund 1,8 Millionen Menschen eine Erstimpfung und mehr als 460.000 eine Zweitimpfung erhalten.
Viel Licht, viel Schatten
Israel impft also deutlich schneller. Allerdings: Die Infektionszahlen sind insbesondere in den ultraorthodoxen jüdischen und den arabischen Bevölkerungsteilen hoch. Vor allem die britische Mutation des Virus bereitet Sorgen. Für bis zu 50 Prozent der Neuinfektionen soll sie verantwortlich sein. Glaubt man neuesten Schätzungen, müssten wegen der mutmaßlich deutlich ansteckenderen Variante mindestens 80 Prozent der Bevölkerung in Israel geimpft werden, um Herdenimmunität zu erreichen.
Seit drei Wochen gilt in dem Land ein Lockdown, gegen den es allerdings immer wieder Verstöße gibt. Wegen eines Streits zwischen dem rechtskonservativen Likud des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sowie dem Mitte-Bündnis Blau-Weiß von Verteidigungsminister Benny Gantz könnten die Maßnahmen komplett aufgehoben werden. Gantz fordert eine Verschärfung der Strafen für Regelverstöße als Bedingung für eine Verlängerung.
Bleibt der Airport zu?
Das Gesundheitsministerium dringt angesichts der hohen Infektionszahlen auf eine Verlängerung der Maßnahmen, die in der Nacht zum Montag auslaufen. Auch die Schließungen des internationalen Flughafens Ben Gurion und der Landesgrenzen sind nur bis Ende Januar terminiert. An diesem Sonntag wird mit einer Entscheidung über das weitere Vorgehen gerechnet.
Die Koalition aus Likud und Blau-Weiß sowie kleinerer Partner war Ende vergangenen Jahres wegen eines Etatstreits geplatzt. Am 23. März steht eine Neuwahl an. Es ist bereits das vierte Mal innerhalb von zwei Jahren, das Israel ein neues Parlament wählt.
Nicht alle folgen Netanjahus Corona-Politik
Israels Regierungschef Netanjahu hofft, dass er mit seiner Corona-Politik in der Bevölkerung punkten kann. Alle erreicht er aber sicher nicht. Strengreligiöse Juden, also Ultraorthodoxe oder die Haredim, stellen rund zehn Prozent der Israelis. Unter den aktuellen Infizierten machen sie 40 Prozent aus. Die Lockdown-Regeln, das legen zumindest tägliche neue Nachrichten über gewalttätige Zusammenstöße mit der Polizei nahe, gelten hier nicht viel. Viele Synagogen und Bildungseinrichtungen bleiben trotz anderslautender behördlicher Anweisung in Betrieb.
Netanjahu kann also auf Unterstützung der Orthodoxen kaum zählen. Das wiegt schwer, denn die Haredim sind im Parlament das Zünglein an der Waage, ein hartes Durchgreifen mitten im Wahlkampf will überlegt sein. Unklar ist zudem, wie sich das Verhältnis zwischen Israel und den USA in den kommenden Wochen und Monaten gestaltet. Netanjahu äußerte nach der Vereidigung des neuen US-Präsidenten Joe Biden die Hoffnung auf eine weiterhin enge Zusammenarbeit. "Präsident Biden und ich, wir unterhalten seit Jahrzehnten eine warme persönliche Freundschaft", sagte Netanjahu.
Die Zeit nach Trump
Soviel Sympathie für Biden ist nicht selbstverständlich. Immerhin galt Netanjahu als einer der engsten Verbündeten von Ex-Präsident Donald Trump. Zwischen der Nahost-Politik Trumps und der des Demokraten Biden liegen Welten. Biden ist als Kritiker der israelischen Siedlungspolitik bekannt, die Trumps Regierung zuletzt unterstützt hatte. Außerdem hat Israel die Sorge, Biden könnte anders als sein Vorgänger gegenüber dem Iran eine Art Beschwichtigungspolitik führen. Trump wollte den Iran mit einer Politik des maximalen Drucks zwingen, das Atomabkommen neu zu verhandeln und dabei härteren Auflagen zuzustimmen. Trump war im Mai 2018 aus dem Atomdeal ausgestiegen.
haz/ml (dpa, kna)